Jugend in Brandenburg "Hier gibt's nur Schüler und Asoziale"

In Forst in der Lausitz gibt es für Jugendliche keine berufliche Perspektiven, deswegen schlagen die meisten ihre Zeit mit Biertrinken und Rumhängen tot. Wie es ist, in einer schrumpfenden Stadt jung zu sein. Von Lisa Zimmermann und Elena Senft

Billiger als in der Disco-Oase kann man sich im ganzen Landkreis nicht betrinken: Bier, Longdrinks und Schnaps kosten jeweils 55 Cent. Ein Junge mit glasigem Blick erklärt, was ihm hier gefällt: "Hier kannste dich aufführen wie du willst, ohne rauszufliegen." Wie zur Bekräftigung fällt am Nebentisch mit einem dumpfen Geräusch ein Mann von seinem Stuhl und bleibt bäuchlings liegen. Es ist Samstagnacht im brandenburgischen Forst, und Samstag ist Oase-Tag. Hier gehen alle hin, ob es ihnen gefällt oder nicht. Die Oase ist die letzte Disco in Forst.

Der Saal der Disco-Oase im Stadtteil Bohrau ist mit so viel Kunstnebel gefüllt, dass man die Hand vor Augen kaum sieht. In den graublauen Schwaden bewegen sich ein paar Mädchen und Jungen zu Techno-Musik. Die Getränke holen sie sich im holzgetäfelten Gastraum, in dem es am Morgen Frühstück für Pensionsgäste und mittags Hirschgulasch für 6,80 Euro gibt.

Forst, das liegt in der Lausitz direkt an der Neiße, gegenüber der polnischen Stadt Zasieki. Vor zehn Jahren war fast jeder dritte Forster zwischen zwölf und 30 Jahre alt. Heute ist nur noch jeder Fünfte der 23.000 Einwohner so jung.

Jürgen Drews gilt hier noch als Stargast

Bei einem Bier-Cola-Mix sitzen Jessica, Jana und Vanessa um einen der Holztische. In der Oase finden sie es "übelst öde" - aber wo sollen sie sonst hingehen? "Forst ist eine Stadt für Alte, für die Jungen ist überhaupt kein Geld da", sagt die 19-jährige Jessica. Mit den wenigen Attraktionen gehe es bergab, beim Rosengartenfest habe es nur für Jürgen Drews als Stargast gereicht. "Früher war immerhin Roland Kaiser da." Trotzdem will sie die Stadt nicht schlecht machen. Darauf reagiert ihre 17-jährige Freundin Jana gereizt. "Stehste etwa zu Forst? Also ich steh' nich' zu Forst. Ich find's scheiße hier."

Dass sie in Forst nicht viele Chancen hat, sieht Jana an ihrer Schwester Vanessa. Die 21-Jährige ist für ihre Ausbildung zur Krankenschwester nach Fürstenwalde bei Berlin gezogen. Sie kann mit ihrer Heimatstadt nichts mehr anfangen, denn ihr Freundeskreis existiert nicht mehr, alle sind weggezogen. Kein Wunder: Die Arbeitslosigkeit der unter 25-Jährigen liegt bei über 26 Prozent. "Hier gibt's nur noch Schüler und Asoziale. Wer den Arsch nicht hochkriegt, sich woanders zu bewerben, der hängt in Forst ohne Job rum und säuft", sagt Jana.

Das weiß auch Andreas Kaiser, doch er spricht nicht gerne darüber. Der Amtsleiter für Schule, Jugend und Soziales verteilt lieber Broschüren vom Rosengarten und dem sanierten Freibad. Er ist enttäuscht vom Bild, das Medien zeichnen würden: Leerstand, Menschen, die in den Westen ziehen, und eine Stadtverwaltung, die das nicht interessiert.

"Die ewige Schwarzmalerei ist keine Hilfe für die Jugend in Forst oder anderswo in Ostdeutschland", sagt Kaiser. Über die Probleme spricht er erst nach beharrlichem Nachfragen. Es stimme schon, die Jugendlichen in Forst nähmen viele Drogen, am Abend lungerten Teenager trinkend in der Innenstadt herum und es gibt kaum Ausbildungsplätze.

Desillusionierte Sozialarbeiter

Die Streetworkerin Heike Rathmann hat deswegen schon resigniert. "Erfolgserlebnisse habe ich mir in meinem Job abgeschminkt", sagt die 43-Jährige bei einem Treffen im Café Mambo, einer verrauchten Kneipe, in der aus einem Fernseher Werbung für Klingeltöne plärrt. Die Jugendlichen, mit denen sie arbeitet, machen Rathmann Sorgen. "Spaß steht im Vordergrund: Rauchen, die Polizei ärgern, Komasaufen", findet sie. Die Teenager meckerten über die langweilige Stadt, ohne ihre Angebote wahrzunehmen. Sie dächten nicht an die Zukunft, lebten für den Moment, hätten zu wenig Selbstbewusstsein und zu wenig Eigeninitiative, beschwert sich die Sozialarbeiterin.

Trotzdem wollen viele Jugendliche diese Stadt nicht verlassen. Der DDR-Forscher Klaus Schroeder nennt dieses Festhalten an einer Heimat, die keine Perspektive bietet, "Wagenburgmentalität". Und er sagt auch: "Es gibt nichts Besseres, als nach der Schule raus zu wollen." Gerade aus Forst. Denn Forst liege in der Region Ostdeutschlands, in der die Perspektivlosigkeit junger Menschen am schlimmsten sei.

Davon kann man sich abends am Berliner Platz ein Bild machen. Mädchen und Jungen sitzen auf einer Mauer neben Weinflaschen und rauchen. Sie wollen nicht reden. "Wozu?", fragt ein Mädchen mit blonden Haaren, schwarz gefärbten Spitzen und einem Lippen-Piercing. Was soll man schon über Forst erzählen? Die Jungs neben ihr spucken Pfützen auf den Boden. Bewerbungen schreiben sie nicht, denn dann müssten sie die Gegend verlassen. "Forst ist halt unsere Stadt, hier kennst du alle, hast deine Leute."

Jakob hat sich anders entschieden, er wird weggehen. Der 18-Jährige macht gerade sein Abitur und kommt jeden Tag in den Park7. Seine Freunde und er organisieren auf dem alten Fabrikgelände Konzerte und Partys. Der Mietvertrag zwischen der Forster Wohnungsbaugesellschaft, die das Areal zur Verfügung stellt, und dem Park7-Verein läuft demnächst aus, dem Jugendprojekt droht die Schließung.

Das Projekt Park7 hat Jakob geholfen, etwas anzufangen mit seinem Leben. Jakob sagt, er engagiere sich in Forst, weil es ein schönes Gefühl sei. Das Gefühl, etwas zu bewegen. Die "No-Future-Haltung" der Forster Jugendlichen nervt ihn. Sie verbrächten ihre Tage auf dem Lidl-Parkplatz und am Bahnhof, weil ihnen ein Ort fehle, an dem sie lernen könnten, selbst etwas auf die Beine zu stellen, sagt er. "Denen ist egal, was aus ihnen wird. Döner und Sternburg-Pils, das reicht ihnen."

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