Junge Karrieristen "Faulenzen sollen andere"

Urlaub am Strand war mal. Heute verbringen Schüler ihre Ferien in Hörsälen und Seminaren, entschlossen planen sie ihre Zukunft. Workshops wie der Schülercampus einer Hamburger Jura-Hochschule sollen Jugendliche fit machen für Studium und Karriere.

Sommerferien in Deutschland: Keiner spricht, niemand turnt auf den Stühlen. Alle Blicke sind auf Prof. Dr. Dr. h.c. Dr. h.c. Reinhard Zimmermann gerichtet. Der Jurist mit den vielen Titeln doziert über "Antike und Christentum als Grundlage europäischer Rechtskultur". Von seinen Zuhörern ist keiner älter als 19 Jahre. Es sind Schüler. Sie kommen aus ganz Deutschland, vom Fichtelgebirge und vom Bodensee, und sie sind nach Hamburg gefahren - nicht um Urlaub zu machen, sondern um Fragen zu stellen: Was ist Rechtswissenschaft? Worum geht's im Jurastudium? Passt Jura zu mir?

Der Schülercampus Jura 2005 an der Hamburger Bucerius Law School soll diese Fragen beantworten. 56 Jugendliche nehmen daran teil, 200 hatten sich beworben. An der privaten Hochschule für Rechtswissenschaft hören die Schüler eine Woche lang Vorträge zum Thema Recht, diskutieren über die Effizienz des deutschen Steuersystems und lernen in Workshops Softskills fürs Jurastudium.

"Junge Menschen sollen wissen, worauf sie sich einlassen, wenn sie Jura studieren", sagt Andrea Leuck-Baumanns, Hauptorganisatorin des Schülercampus. Die Abbrecherquote an den Universitäten sei erschreckend hoch - "wir wollen das ändern, indem wir Schüler im Vorfeld über das Studium informieren".

"Ich bin hier, um etwas zu lernen"

Professor Zimmermann spricht in seinem Vortrag über den Einfluss des Römischen Reichs auf die heutige Rechtssprechung. Zimmermann ist Direktor am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Recht; seine Ausführungen sind komplex und anspruchsvoll. Angestrengte Mienen bei den Schülern im Hörsaal. Viele schreiben mit, aus dem Fenster sieht keiner. "Ich bin hier, um etwas zu lernen, nicht zum Faulenzen. Das sollen andere machen", sagt Pascal Härdtner. Der 17-Jährige besucht die 12. Klasse des Elite-Internats Salem. Warum er seine Ferien in der Bucerius Law School verbringt? "Weil es die beste Hochschule Deutschlands ist und ich mich über das Fach Jura informieren möchte."

Äußerlich kommt der Teenager dem gängigen Bild des Jurastudenten schon sehr nah: Er trägt hellbraune Lederschuhe, den Kragen seines Polo-Hemds hat er aufgestellt, seine Haaren nach hinten gekämmt. Pascals Berufswunsch: Wirtschaftsanwalt in einer großen Kanzlei.

Und die anderen? Nicht alle Teilnehmer des Schülercampus wissen bereits, wo sie in 20 Jahren stehen wollen. Die meisten sind sich nicht mal sicher, ob Jura das Richtige für sie ist. Aber eines haben die 56 Schüler gemein: Die Entschlossenheit, mit der sie ihre Zukunft planen - Diplom nach acht Semestern, Auslandsaufenthalte und Praktika. Ihre Ferien verbringen sie nicht am Strand, sondern in Seminaren. Den Urlaub nützen sie für Sprachreisen oder Betriebsbesichtigungen.

Die Krise der deutschen Wirtschaft habe dazu geführt, dass auch unter jungen Leuten die Angst vor Arbeitslosigkeit groß sei, glaubt Professorin Anne Röthel. Die 37-Jährige lehrt seit einem Jahr an der Bucerius Law School. Die Teilnehmer des Schülercampus habe sie als aufmerksam und motiviert erlebt. "Die Jugendlichen machen sich schon früh Gedanken über Studium und Karriere. Sie wissen, dass es auch für Akademiker keine Jobgarantie mehr gibt", so Röthel. Die Folge: Immer mehr Schüler wünschen sich Informationen zu Studiermöglichkeiten und den damit verbundenen Berufsaussichten.

Teamfähigkeit? Wieso Teamfähigkeit?

Ein Trend, den die steigende Zahl an Schnupperstudiengängen und Einführungsvorträgen an den Universitäten bestätigt. Studieren vorm Studium ist mächtig in. Kaum eine Uni, die nicht versucht, Abiturienten mit Laien-Vorlesungen und Campusführungen zu ködern. In Bochum dürfen Schüler zu Laborbesichtigungen und fachspezifischen Vortragsreihen an die Ruhr-Universität kommen. In Dresden, Freiburg und an einigen anderen Hochschulen können Jugendliche bereits während ihrer Schulzeit Scheine erwerben, die für das spätere Studium angerechnet werden. "Ich opfere gerne einen Teil meiner Freizeit, wenn ich später davon profitieren kann", sagt Pascal Härdtner.

Die meisten Teilnehmer des Schülercampus sehen das so. Seit vier Tagen sind sie an der Bucerius-Law-School. Sie haben Strafrecht gepaukt und eine Ausstellung zu spanischer Malerei besucht; sie haben eine Einführung in das Zivilrecht erhalten und am Abend über den Film "Srebrenica: Triumph of Evil" debattiert.

Als nächstes steht der Workshop "Softskills fürs Jurastudium" auf dem Programm. Die Jugendlichen bekommen kleine Zettel. Sie sollen auf jeden Zettel ein Wort schreiben: die wichtigste Eigenschaft fürs Jurastudium? Ausdauer, Ehrgeiz, Disziplin haben ganz viele auf ihren Zetteln stehen. Eloquenz, abstraktes Denkvermögen, ein gutes Gedächtnis wenige. Nur zweimal fällt der Begriff Interesse. Als ein Mädchen Teamfähigkeit nennt, folgt allgemeines Staunen und Gelächter. Bei dem Wort Durchsetzungsvermögen staunt keiner.

"Jugendliche sind realistisch und pragmatisch"

Elisabeth Strack überrascht das nicht. Seit 20 Jahren arbeitet sie als selbstständige Karriere-Beraterin. Der Workshop "Softskills für das Jurastudium" im Rahmen des Schülercampus war ihre Idee. "Jugendliche sind heute realistischer und pragmatischer als früher. Sie kämpfen nicht mehr um Gerechtigkeit, sondern um den eigenen Studien- und Arbeitsplatz", so Strack. Gerade im Jura-Studium spiele die Leidenschaft für das Fach eine geringere Rolle als die späteren Berufsaussichten.

Der Schülercampus Jura 2005 endet mit einer Feedbackrunde. Was ist von der Veranstaltung hängen geblieben? Was hat sie bewirkt? Eine Woche lang waren die Schüler fast rund um die Uhr an der Bucerius Law School. Vorträge, Referate, Gruppenarbeiten - von früh bis spät. Nun sind sie müde, aber nicht unzufrieden. Von 56 Teilnehmern fühlen sich nach der Woche 36 bestärkt, Jura zu studieren, nur 6 sind von dem Wunsch abgekommen.

Pascal Härdtner will in einem Jahr wieder an die Law-School kommen. Dann als Student.

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