Kein Bund, kein Zivildienst Alex hat totalverweigert
Die Bundeswehr nennt einen wie Alexander Hense, 20, dunkelblonde Haare, ruhiger Blick, einen Fahnenflüchtigen, einen Deserteur. Seit es die Wehrpflicht in Deutschland gibt, verweigern junge Männer den Dienst an der Waffe - und mitunter auch den zivilen Ersatzdienst. Das Bundesverteidigungsministerium führt nach eigenen Angaben keine Statistik darüber, wieviele das jedes Jahr tun: totalverweigern.
Eigentlich gibt es Totalverweigerer für das Ministerium überhaupt nicht, weil es sie nicht geben kann: "Weder das Grundgesetz noch das Wehrpflicht- beziehungsweise das Kriegsdienstverweigerungsrecht sehen ein Recht auf Totalverweigerung vor", sagt eine Sprecherin. Oft haben diese jungen Männer einen pazifistischen Hintergrund oder lehnen den deutschen Staat und die Gesellschaft als Ganzes ab.
Bei Alexander sieht die Sache anders aus. Er denkt einfach viel nach - und zwar sehr gründlich. Ihm geht es um Gerechtigkeit und um die Gewissensfreiheit. Er sagt: "Momentan muss man sich dafür rechtfertigen, dass man keine Waffe halten möchte. Dass man nicht schießen möchte, nicht dazu ausgebildet werden will, Menschen zu töten. Dass deutsche Soldaten in Länder geschickt werden, um Angriffskriege zu führen, widerspricht dem, wofür die Bundeswehr ursprünglich vorgesehen war. In meinen Augen ist das verfassungswidrig."
Außerdem stört ihn, dass Frauen keinerlei Dienst machen müssen. Und dass viele junge Männer, die gemustert werden, "durchs Raster fallen" - also weder Wehr- noch Zivildienst leisten müssen. Und ähnlich viele werden freigestellt oder einfach nicht vorgeladen. Die Statistik: Im ersten Halbjahr 2007 wurden gerade noch 54 Prozent aller Gemusterten für diensttauglich erklärt. 46 Prozent mussten weder Wehr- noch Zivildienst leisten. Von damals 223.000 gemusterten Männern wurden 103.000 als "nicht wehrdienstfähig" eingestuft.
Alexander geht es um die Wehrpflicht-Willkür
Etliche junge Männer sehen den Wehrdienst vielleicht ähnlich wie Alexander, ziehen aber eine andere Konsequenz. Sie verweigern die Bundeswehr und suchen sich eine Zivi-Stelle. Das kam für Alexander aber auch nicht in Frage: "Mit der Leistung des Zivildienstes unterstützt man dennoch das System als Ganzes. Und im Ernstfall kann es sein, dass Zivildienstleistende die Soldaten oder das Militär auf die eine oder andere Weise unterstützen müssen."
Seine Mutter, eine Bürokauffrau, und sein Vater, ein Bauarbeiter, haben ihn nach anfänglichem Zögern in seiner Haltung unterstützt. Nach seiner Musterung überlegte er ein Jahr lang - und traf die Entscheidung verweigern. Total.
Noch bevor die Einberufung kam, hatte er ein Verweigerungsschreiben verfasst und an das zuständige Kreiswehrersatzamt in Karlsruhe geschickt. Drei Tage später lag der Einberufungsbescheid im Briefkasten. In seiner Schule, erzählt Alexander, "gab es oft Leute, die gesagt haben: 'Gott sei Dank habe ich ein Attest, ich werde sicher ausgemustert.' Das hätte ich auch versuchen können."
Aber Alexander machte seine Verweigerung zu einem politischen Projekt: "Ich wollte auf die Ungerechtigkeit an sich hinweisen." Im Sommer 2007 sollte er zu seinem Einzugstermin erscheinen, er ging nicht hin.
Feldjäger vor der Tür: "Als ob man entführt wird"
Wenige Tage später stand die Militärpolizei vor der Tür der Henses. Sie sagten, er sein "fahnenflüchtig". Im Paragraf 16, Absatz eins des Wehrstrafgesetzes steht, was das bedeutet: Fahnenflucht heißt, "eigenmächtig seine Truppe oder Dienststelle" zu verlassen oder ihr fernzubleiben. Und zwar, "um sich der Verpflichtung zum Wehrdienst dauernd oder für die Zeit eines bewaffneten Einsatzes zu entziehen oder die Beendigung des Wehrdienstverhältnisses zu erreichen". Die vorgesehene Strafe: "bis zu fünf Jahren".
Die Feldjäger nahmen ihn mit zur Kyffhäuser-Kaserne in Bad Frankenhausen in Thüringen. "Es war, als ob man entführt wird. Du wirst einfach irgendwo hingebracht, ohne etwas machen zu können. Das ist schon krass", sagt Alexander.
Er tat weiter nicht, was die Soldaten von ihm wollten. Er verweigerte ihre Befehle und kam in den Arrest, zuerst für eine Woche. "Meine Zelle war sieben Quadratmeter groß, das habe ich mit dem Geodreieck ausgemessen", sagt Alexander. "Nach zwei oder drei Tagen wurde mir erlaubt, meine Bücher mit auf die Zelle zu nehmen."
Nach sieben Tagen untersuchte ihn ein Militärarzt. "Ich sagte zu ihm, er mustere mich wie ein Objekt. Als ob man bei einer Waffe überprüft, ob sie noch schussfähig ist. Das gehe gegen die Menschenwürde." Wieder gab es 18 Tage Arrest, dieses Mal bei schärferen Haftbedingungen.
"Mit dem Handy die Familie anrufen ging nun nicht mehr - und an ein paar Tagen musste ich in Begleitung, also bei offener Türe, duschen", so Alexander. Eigentlich sollte er noch ein drittes Mal in den Arrest, aber das Truppendienstgericht verweigerte den Antrag. Es hätten mehr als 60 Tage dabei herauskommen können. Stattdessen wurde Alexander aus der Bundeswehr entlassen.
Die Soldaten waren entsetzt
Vor Gericht musste er allerdings noch: Er erhielt zuerst nur eine Jugendstrafe auf Bewährung und wurde zu 100 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt. Der anklagenden Staatsanwältin war das zu wenig. Sie legte Berufung ein, weil die Begründung für seine Verweigerungshaltung nicht jugendtypisch sei.
"Ich verstehe auch nicht ganz, warum der Richter eine Jugendstrafe verhängt hatte", sagt auch Alexander. "Vielleicht zur Schadensbegrenzung. Die meisten in meinem Alter würden so etwas jedenfalls nicht machen, das stimmt schon."
Am Freitag wurde Alexander in Pforzheim nun zum zweiten Mal verurteilt, diesmal zu einer Geldstrafe nach dem Erwachsenenstrafrecht: 90 Tagessätze à 15 Euro, insgesamt 1350 Euro.
Er sei trotz allem in der Thüringer Kaserne gut behandelt worden, sagt Alexander. Aber: "Die Soldaten waren entsetzt. Sie konnten meine Beweggründe nicht wirklich verstehen." Einer der Militärärzte, mit denen er zu tun hatte, fragte ihn: "Was denken Sie sich eigentlich dabei? Was möchten Sie mal machen?" Alexander antwortete: "Informatik studieren". Der Arzt meinte, es müsse ihm schon klar sei, dass das nicht mehr gehen werde. Er werde in Deutschland keinen Studienplatz mehr bekommen.
Das ist natürlich Unfug. Alexander lachte in sich hinein. Er hatte bereits seine Zulassung für die Universität Karlsruhe. Dort lernte er einen anderen Totalverweiger kennen, nach seinen Informationen gab es 2007 genau zwei außer ihm im ganzen Land. Auch der saß im Arrest. Jetzt studieren beide Informatik.