Kein Kindergeld für Blaumacher Wer schwänzt, geht leer aus
Den Eltern von Schulschwänzern wird in Frankreich künftig kein Kindergeld mehr gezahlt. Der Senat verabschiedete am Mittwochabend eine entsprechende Maßnahme, die auch in Deutschland diskutiert wird. Präsident hatte sich für die Initiative stark gemacht und den Kampf gegen das "Krebsgeschwür" des Schwänzens als "absolute Priorität" bezeichnet.
Wenn ein Kind mindestens vier halbe Tage pro Monat unentschuldigt fehlt, muss der Schulleiter das der Schulaufsicht melden. Es folgt eine Warnung an die Familie. Falls das Kind im nächsten Monat wieder ohne Entschuldigung wegbleibt, wird das Kindergeld gestrichen. Das Geld wird wieder gezahlt, wenn der Schüler einen weiteren Monat lang regelmäßig zur Schule gekommen ist. Die Nationalversammlung hatte dem Gesetzentwurf bereits Ende Juni zugestimmt.
Die Opposition geißelt das Gesetz als "populistische Maßnahme"
Die Streichung von Unterstützungsleistungen in Frankreich war eigentlich bereits in einem Gesetz aus dem Jahr 2006 vorgesehen. Dieses war aber kompliziert und sah ein gescheitertes Mediationsverfahren als Voraussetzung für strenge Sanktionen vor. Schätzungen zufolge wurde deswegen lediglich in einigen Dutzend Fällen das Kindergeld gestrichen.
Jetzt kommt die härtere Variante zum Einsatz. Bildungsminister Luc Chatel nannte die Streichung des Kindergeldes ein "letztes Mittel" bei Eltern, die ihre Kinder nicht unter Kontrolle hätten.
Das Gesetz stieß auf harsche Kritik aus der Opposition. Marie-Christine Blandin, Mitglied der französischen Grünen und Senatorin des Départements Nord, polterte, es handele sich um eine "populistische und aggressive Maßnahme", die sich gegen die ärmsten Familien richte.
"Eine Kürzung des Kindergeldes träfe die Falschen"
In Deutschland hatte zuletzt CDU-Generalsekretär Volker Kauder eine Kürzung des Kindergeldes für Schulschwänzer ins Gespräch gebracht. Im Februar sagte er, das würde Druck erzeugen, um "Menschen Zukunftschancen offen zu halten". Von den neun Millionen Schülern an allgemeinbildenden Schulen in Deutschland kommen schätzungsweise 300.000 bis 500.000 regelmäßig unentschuldigt nicht zum Unterricht.
Auch die verstorbene Berliner Jugendrichterin hielt eine Kürzung des Kindergeldes oder der Transferleistungen bei Hartz-IV-Empfängern als Sanktion für ein adäquates Mittel. Bei ihren Überlegungen zur war der Kampf gegen notorisches Schwänzen ein zentraler Punkt: "Nahezu alle Mehrfachtäter sind Schulverweigerer", schrieb sie in ihrem posthum veröffentlichten Buch "Das Ende der Geduld".
Dass es bisher bei Forderungen blieb, hat allerdings einen triftigen Grund: Die Kürzung des Kindergeldes wäre nicht mit der Verfassung zu vereinbaren, da das Kindergeld das Existenzminimum der Kinder mit abdeckt. Das war das Ergebnis eins Gutachtens, das die Neuköllner Bundestagsabgeordnete Stefanie Vogelsang (CDU) eingeholt hat. "Zudem ist es ein Verfehlen der Eltern, wenn die Kinder nicht in die Schule gehen - eine Kürzung des Kindergeldes träfe die Falschen", sagte Vogelsang SPIEGEL ONLINE. Aus diesen Gründen hatte auch schon der Bremer Senat im Jahr 2002 entsprechende Pläne gestoppt.
Kürzung von Transferleistungen soll diskutiert werden
Vogelsang sieht die Kürzung von Fördermitteln für Eltern trotzdem als probates Mittel, um gegen Schulverweigerer vorzugehen. "Wenn man das einmal gemacht hat, kommen die Kinder fortan wieder regelmäßig in die Schule, da bin ich mir sicher." Sie favorisiert nun, bei den Transferleistungen von Hartz-IV-Empfängern anzusetzen. "Wir wissen, dass rund 95 Prozent der Eltern von Schulverweigerern Hartz-IV-Empfänger sind".
Sie sei sich bewusst, dass somit nicht alle belangt werden könnten. "Aber wenn Eltern ihrer Verpflichtung gegenüber ihren Kindern nicht nachkommen, müssen Sie hinnehmen, dass sie entsprechend weniger gefördert werden." Die Eltern müssten spüren, "dass der Staat nicht einfach zusieht, wenn sie sich derart fehlverhalten".
Sie kündigte an, dass dieses Modell in den parlamentarischen Beratungen zur Einführung einer diskutiert werde.
Elektromärkte haben ihre Daddelbereiche vormittags geschlossen
In Frankreich hatten Schulen vor rund einem Jahr angekündigt, statt negativen Sanktionen Anreize zu schaffen, um Jugendliche und Kinder vom Schwänzen abzuhalten. So verteilt eine Berufsschule in Marseille Gratistickets für Fußballspiele des Clubs Olympique in der Ersten Liga.
Im Schulbezirk Créteil südöstlich von Paris locken drei Berufsschulen ihre Schüler mit Bargeld. Bis zu 10.000 Euro kann eine Klasse am Jahresende bekommen, wenn ihre Schüler zum Unterricht gehen. Das Geld kann die Klasse dann für eine Abschlussfahrt verwenden oder unter den Schülern für den Erwerb des Führerscheins aufteilen. Der Trick: Die Belohnungen bekommen nicht einzelne Schüler, sondern die Klassen mit der niedrigsten Fehlquote. Wer also unentschuldigt fehlt, schadet der ganzen Klasse - und die wird entsprechend auf ihn einwirken, so das Kalkül.
Auch in Deutschland werden bereits verschiedene Maßnahmen gegen das Schwänzen eingesetzt: Die Elektromärkte Media Markt und Saturn etwa schalten ihre Spielekonsolen schon seit einigen Jahren erst ab 14, zum Teil auch erst ab 15 Uhr ein. Die Daddelbereiche der Märkte waren zuvor unter Schulschwänzern beliebt.
Das Bundesfamilienministerium startete 2007 die Initiative "Die 2. Chance" für Hauptschüler, die so häufig fehlen, dass ihr Abschluss gefährdet ist. Mittlerweile betreuen an deutschlandweit 194 Standorten Sozialarbeiter notorische Schulverweigerer intensiv und rufen sie zum Beispiel morgens an, wenn es Zeit zum Aufstehen ist.
Und die Länder und Kommunen greifen zunehmend hart durch: Behörden lassen Eltern Bußgelder zahlen oder lassen Kinder mit dem Streifenwagen in die Schule fahren. Bei hartnäckigem Fernbleiben von Schülern erhalten Eltern sogar Freiheitsstrafen - oder Schüler Jugendarrest. Auch in Vogelsangs Bezirk Neukölln wird derart vorgegangen. "Aber ich weiß aus jahrelanger Erfahrung: Das hat keinen nachhaltigen Effekt", sagte sie SPIEGEL ONLINE.