Abitur Vergleichbar unvergleichbar

Soll künftig einheitlicher werden: die Abiturprüfung
Foto: Federico Gambarini/ picture alliance / dpaEinen Tag im Frühjahr 2017 werden sich Lehrer und Schüler rot im Kalender markieren: Dann sollen Gymnasiasten in fast allen Bundesländern am selben Tag ihr Mathematik-Abitur schreiben - mit zentral gestellten Aufgaben. Zum ersten Mal überhaupt. Das zumindest ist das Ziel der Kultusminister.
"Es wäre sogar möglich, dass alle zum selben Termin die gleiche Aufgabe lösen müssen", sagt Sachsens Schulministerin Brunhild Kurth (CDU), die derzeit der Kultusministerkonferenz vorsteht. Am Freitag hat die Ministerrundeerste Beispielaufgaben veröffentlicht - damit sich Lehrer und Schüler auf die neuen gemeinsamen Standards vorbereiten können.
Das Ziel ist klar: Das Abitur in Deutschland soll vergleichbarer werden. Dazu wird ein gemeinsamer Pool an Prüfungsaufgaben in den Fächern Deutsch, Mathematik, Englisch und Französisch entwickelt, aus dem die Länder ihre Abituraufgaben künftig entnehmen können. Bis 2017 wollen die Länder und Bildungsexperten des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) eine Aufgabensammlung zusammenstellen. Ob eine Vergleichbarkeit aber auf diesem Wege erreicht werden kann, ist mehr als fraglich.
Standards sind nicht vergleichbar
Bislang unterscheiden sich die Abschlussnoten je nach Bundesland stark. Das hat eine Auswertung des SPIEGEL ergeben. Vergleichbarkeit? Fehlanzeige. Das belegen auch die Regelungen für die Oberstufenschüler: In manchen Ländern zählen Leistungskurse doppelt für die Abiturnote, in anderen nicht. Manchmal müssen die Schüler nahezu alle Fächer in die Endwertung einbringen, mal können sie auswählen. Mal schreiben sie am Ende in vier Fächern eine Abiturprüfung, mal in fünf.
Daran wird jedoch auch der Abi-Aufgabenpool nicht viel ändern. Obwohl ein einheitlicher Prüfungstermin das suggerieren mag: Von einem Zentral-Abi kann keine Rede sein.
Beispiel Mathematik: Es gibt Teilaufgaben, die mit dem Taschenrechner bearbeitet werden dürfen, und andere, bei denen Hilfsmittel verboten sind. Aber: Die Länder erlauben ihren Schülern unterschiedliche Taschenrechner - weshalb sich die Taschenrechner-Aufgaben im Pool noch einmal unterscheiden. Außerdem gibt es jeweils einfachere und schwierigere Aufgaben, damit die Länder sich unterschiedliche Prüfungen zusammenbauen können - denn: Die Oberstufenkurse werden in unterschiedlicher Stundenanzahl unterrichtet; dementsprechend muss auch das Prüfungsniveau angepasst werden.
Viele organisatorische Fragen haben die Bildungsminister zudem noch nicht geklärt. Zum Beispiel: Wie viele verschiedene Prüfungstermine wird es geben - und wie viele Aufgaben muss der Pool daher vorrätig haben? Wie werden die Pool-Aufgaben den Ländern zugeteilt? Niedersachsen kann schließlich seinen Schüler nicht dieselbe Prüfung stellen, die ein paar Wochen zuvor schon Abiturienten in Sachsen-Anhalt zu lösen hatten.
Ein weiteres Manko: Die Gymnasiasten sollen zwar vergleichbare Aufgaben bearbeiten - ob bayerische Schüler damit aber besser zurechtkommen als ihre Altersgenossen in Berlin, soll nicht systematisch überprüft werden. Das geht aus einer ebenfalls am Freitag von den Kultusministern abgesegneten Gesamtstrategie zur Qualitätssicherung in den deutschen Schulen hervor.
Bisher testen Schulforscher regelmäßig Viertklässler und Achtklässler und vergleichen die Länderergebnisse. Die Abiturienten sollen weiter ausgespart bleiben. Mit zusätzlichen Tests wolle man sie weder unmittelbar vor ihrer Abi-Prüfung noch bei Eintritt in die gymnasiale Oberstufe zeitlich "belasten", heißt es in dem Papier. Die Unterschiede bei den Leistungsanforderungen in den gymnasialen Oberstufen der einzelnen Bundesländer solle der KMK-Schulausschuss "identifizieren" - und "soweit erforderlich Möglichkeiten aufzeigen, wie mittelfristig eine größere Vergleichbarkeit erreicht werden könnte" - so der Beschluss der Ministerrunde.
Wissenschaft darf endlich beraten
Neu in dem Strategiepapier zur Qualitätssicherung ist der Auftrag an die Wissenschaft, Leistungsunterschiede in den 16 Bundesländern künftig nicht nur wie bisher "deskriptiv" zu diagnostizieren - sondern auch Ursachen aufzuzeigen und konkrete Tipps zu geben, wie sich die Schulen verbessern lassen. Also: Warum klappt etwa die Integration von Migranten in rheinland-pfälzischen Schulsystem besonders gut, warum aber nicht in Bremen?
Bisher hatten sich die Kultusminister konkrete Empfehlungen aus der Wissenschaft stets verbeten. Mit ihrem Papier leiten sie einen Paradigmenwechsel ein. In der Vergangenheit hatte es hinter den Kulissen oft genug Auseinandersetzungen gegeben, wenn einzelne Forscher die engen Grenzen zwischen reiner Zahlendarstellung hin zu Kommentierung und Empfehlungen überschritten hatten.
Außerdem wollen die Kultusminister die Begabtenförderung stärken. "Die Länder beabsichtigen, bestehende Maßnahmen zur Förderung leistungsstarker Schülerinnen und Schüler fortzusetzen, zu sichern und auszubauen", heißt es in dem Beschluss. Dazu zählen Wettbewerbe wie "Jugend forscht", das Überspringen von Klassen oder eigene Spezialschulen für Begabte. Bisher zeigen Studien jedoch, dass vor allem Kinder aus bildungsnahen Familien von Begabtenklassen profitieren.
Zusammengefasst: Ab 2017 können sich die Bundesländer bei der Abiturprüfung in Mathematik, Deutsch, Englisch und Französisch aus einem gemeinsamen Aufgaben-Pool bedienen. Erste Beispielaufgaben wurden am Freitag veröffentlicht. Das Ziel ist eine bessere Vergleichbarkeit - ob das so kommt, ist fraglich.