Neue KMK-Präsidentin Kurth "Das Zentralabitur ist eine Vision"

Abi 2014 in Niedersachsen: "Eine einheitliche Abiturprüfung ist eine Vision"
Foto: Julian Stratenschulte/ dpaSPIEGEL-Redakteur Jan Friedmann ist im vergangenen Spätsommer mit seiner Familie von Hamburg nach Stuttgart umgezogen, sein Sohn und seine Tochter mussten die Grundschule wechseln. "Dort geht es derart anders zu als in Hamburg, dass die Merkmale von Nord und Süd bei uns immer wieder Thema am Esstisch sind", schreibt Friedmann im aktuellen SPIEGEL.
Friedmanns Sohn findet die neue Schule in Stuttgart "strenger, aber cooler". Friedmann stellt fest, dass seine Kinder plötzlich täglich Hausaufgaben zu erledigen haben, dass Schulnoten selbstverständlich sind - und Strafarbeiten ebenfalls.
16 Bundesländer, 16 Bildungssysteme: Solange Bildung Ländersache ist, wird sich daran vermutlich nicht viel ändern, oder doch? Fragen an Sachsens Bildungsministerin Brunhild Kurth, die am Mittwoch die Präsidentschaft der Kultusministerkonferenz (KMK) übernommen hat.

Brunhild Kurth, Jahrgang 1954, arbeitete als Lehrerin in der ehemaligen DDR. Seit 2012 ist die CDU-Politikerin Bildungsministerin von Sachsen, im Januar 2015 hat sie die Präsidentschaft der Kultusministerkonferenz (KMK) übernommen.
SPIEGEL ONLINE: Frau Kurth, das Grundgesetz verspricht den Bürgern in Deutschland gleichwertige Lebensverhältnisse - über die Grenzen der Bundesländer hinweg. Gilt dieser Leitsatz auch für Familien mit Schulkindern, angesichts der unterschiedlichen Schulsysteme?
Kurth: Gleichwertig heißt ja nicht gleich. Schule spiegelt selbstverständlich auch regionale Differenzen wider.
SPIEGEL ONLINE: Sie befürworten den föderalen Wirrwarr?
Kurth: Ich habe als Lehrerin in der DDR erleben müssen, wie Einheitlichkeit verordnet wurde, und auch an den Schulen Individualität nicht gelebt werden durfte. Insofern finde ich Vielfalt wichtig, Lehrer sollten sie ausüben dürfen und das auch ihren Schülern vermitteln.
SPIEGEL ONLINE: Viele Eltern wünschen sich ein einheitliches Schulsystem in Deutschland. Liegen sie falsch?
Kurth: Die Politik kann und soll keine Schablonen anlegen oder gar befehligen, wie Schule funktionieren soll. Wir sollten uns über Werte und Normen und auch über unterschiedliche pädagogische Konzepte austauschen. Dabei wünsche ich mir insgesamt, dass Vergleichbarkeit in der Diskussion eine größere Rolle spielt.
SPIEGEL ONLINE: Sie sind in diesem Jahr Präsidentin der Kultusministerkonferenz. Wie wollen sie die Vergleichbarkeit fördern?
Kurth: Wir sollten Standards einhalten und ausbauen. Zum Beispiel gibt es in Deutschland noch keine Standards für die Abiturprüfung in den Naturwissenschaften. Die möchte ich auf den Weg bringen. Und auch am Aufgabenpool für vergleichbare Abituraufgaben in den Kernfächern sollten wir weiterarbeiten.
SPIEGEL ONLINE: Geht es nicht ein bisschen einfacher: Mit einem Zentralabitur?
Kurth: Eine einheitliche Abiturprüfung mit identischen Aufgaben an einem gemeinsamen Termin ist eine Vision. Ich sehe nicht, dass sie demnächst Wirklichkeit werden könnte. Daran hindern uns zum Beispiel die unterschiedlichen Ferientermine, die ja gerade die Tourismusindustrie immer wieder fordert.
SPIEGEL ONLINE: Ihr Bundesland Sachsen schneidet bei Leistungstests regelmäßig sehr gut ab. Was kann Deutschland von Sachsen lernen?
Kurth: Bildungspolitische Reformen brauchen Zeit und müssen die Beteiligten mitnehmen. Es bringt nichts, über Nacht Veränderungen herbeizuführen und zum Beispiel für die Inklusion Förderschulen zu schließen oder überhastet G8 einzuführen. Umgekehrt kann Sachsen viel von anderen Bundesländern lernen, zum Beispiel bei der Kompetenz in Fremdsprachen.
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