Landesregierung contra Kirchen Kretschmann bekennt sich zu sexueller Vielfalt im Unterricht

Ministerpräsident Kretschmann (Grüne): "Menschen sind so, wie sie sind"
Foto: Hannibal Hanschke/ dpaStuttgart/Hamburg - Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) will trotz der Kritik der Landeskirchen im Südwesten das Thema sexuelle Vielfalt stärker im Unterricht verankern.
"Im Kern ist das durchaus richtig, was da steht", sagte Kretschmann am Dienstag in Bezug auf den Entwurf eines neuen Bildungsplans aus dem Kultusministerium, der in der vergangenen Woche für eine hitzige Debatte sorgte. Die grün-rote Landesregierung strebt an, dass Schüler im Unterricht künftig stärker über unterschiedliche Formen des Zusammenlebens informiert werden.
Per Twitter versendete die Landesregierung außerdem ein Porträtfoto Kretschmanns. Im Bildtext daneben erinnert der Regierungschef an den Verfassungsrang der Menschenwürde und schreibt weiter: "Menschen sind so, wie sie sind. Deshalb ist es richtig, dass sexuelle Vielfalt im Unterricht behandelt wird."
"Menschen akzeptieren, wie sie sind. Fertig. Aus. Amen."
Die Landeskirchen von Baden und Württemberg, sowie zwei katholische Diözesen hatten sich gegen sexuelle Vielfalt im Unterricht ausgesprochen und vor "Indoktrination" und "Ideologisierung" gewarnt. Kretschmann sagte, er werde noch in dieser Woche mit Vertretern der Kirchen auch über dieses Thema sprechen. Er glaube, dass es hier viele Missverständnisse gebe.
Gegen den Entwurf des Bildungsplans 2015 der grün-roten Regierung läuft seit einigen Wochen eine Online-Petition. Initiiert hatte sie der baden-württembergische Realschullehrer Gabriel Stängle, der einem fundamentalchristlichen Verein aus der Nähe von Stuttgart angehört. Der Ursprungstext seiner Petition enthielt klar homophobe Passagen. Unter anderem stellte er Homosexualität in ursächlichen Zusammenhang mit erhöhtem Selbstmordrisiko und Alkoholsucht.
Kretschmann, früher selbst Lehrer für Biologie und Ethik, erinnerte daran, dass niemand wegen seiner sexuellen Orientierung diskriminiert werden dürfe. "Das heißt, die Menschen so zu akzeptieren, wie sie nun einmal sind in ihrer Veranlagung. Fertig. Aus. Amen." Kretschmann, der auch Mitglied des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken ist, sagte in Stuttgart: "Wenn Ausdrücke wie 'schwule Sau' zu den beliebtesten Schimpfwörtern auf Schulhöfen gehören, dann ist da Handlungsbedarf da." Deshalb sei es richtig, die Themen Pluralität und Toleranz im Unterricht angemessen zu verankern.

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Der Annahme, homophobe Vorurteile seien unter Schülern besonders verbreitet, hatte auf dem Höhepunkt der Debatte der baden-württembergische Landesschülersprecher Christian Stärk widersprochen. Zwar gebe es noch immer Beleidigungen und Homophobie auf Schulhöfen. "Vor zehn Jahren war das aber noch viel schlimmer. Jugendliche sind da inzwischen toleranter als es immer heißt", sagte Stärk SPIEGEL ONLINE. Stärk steht dem Landesschülerbeirat Baden-Württemberg vor, der sexuelle Vielfalt im Unterricht befürwortet.
Unterdessen liefern sich die Petitionen gegen (129.000) und für sexuelle Vielfalt (67.000) im Unterricht weiter einen Klickwettstreit. Beide Initiativen laufen auf der Plattform openpetition.org, auf der nach Eingabe der Mailadresse allerdings auch anonym abgestimmt werden kann und bei der Mehrfacheintragungen möglich sind.
Openpetition.de weist auch aus, aus von welchen Webseiten die Unterzeichner kommen. Die meisten Stimmen gegen sexuelle Vielfalt sammelte Initiator Stängle bislang von der rechtspopulistischen Webseite "Politically Incorrect" und von einer erst kürzlich erstellten Unterstützerseite eines weiteren Mitglieds der fundamentalchristlichen Prisma-Gemeinschaft, der auch Stängle angehört. Die meisten Stimmen für die Gegenpetition kommen derzeit von SPIEGEL-ONLINE-Lesern und der Plattform queer.de.
Auswirkungen haben beide Petitionen nicht. Um eine echte Petition beim Landtag einzureichen, bedarf es in Baden-Württemberg keiner Mindestzahl an Unterschriften. Der Petitionsausschuss des Landtags setzt sich mit dem Begehren auseinander, dann entscheidet das Landtagsplenum darüber, ob eine Petition Erfolg hat oder nicht.

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