Fotostrecke

Talentsuche im Fußball: Große Clubs jagen kleine Kicker

Foto: Marcus Brandt/ picture alliance / dpa

Kinder zu Fußballstars "Ein bisschen wie Menschenhandel"

Messi und Neymar sind Ikonen, doch der Weltfußball braucht auch morgen frisches Blut. Und weil Millionen Kinder und ihre Familien vom Ruhm träumen, werden schon Jugendliche gejagt, verheizt und aussortiert. Aimar Centeno erging es so.

Aimar Centenos Traum von der großen Karriere dauerte 21 Tage. Drei Wochen spielte er bei Real Madrid vor. Es ging um die Aufnahme in "La Fábrica", die berühmte Fußball-Schule des Clubs. Der Junge aus dem kleinen Ort Agustín Roca im Hinterland von Buenos Aires war 16 Jahre alt und ein talentierter offensiver Mittelfeldspieler. Wenn er den Ball streichelte, sah es ein bisschen aus wie bei Mesut Özil: dynamisch, kreativ und torgefährlich. Wie Millionen argentinischer Kinder wollte auch Aimar eigentlich nur eins: Fußball-Profi werden.

Heute ist Centeno 28 Jahre alt, und sein kurzer Kontakt mit der großen Fußball-Welt liegt schon zwölf Jahre zurück. Es war 2002, als in seiner Heimat gerade die Casting-Shows in Mode kamen. Canal 13 schrieb damals einen Wettbewerb für Fußball-Talente aus. "Camino a la Gloria", "Der Weg zum Ruhm" hieß er - und für den Gewinner gab es ein Probetraining bei Real Madrid. 12.000 Kinder und Jugendliche bewarben sich. Am Ende mehrerer Ausscheidungsrunden durfte Aimar Centeno die Koffer packen.

Doch während des ersten Trainings in Madrid verletzte sich der Junge an der Leiste. Zehn Tage Pause waren die Folge, zehn Tage, in denen er die strengen Trainer nicht von seinem Talent überzeugen konnte. Das Ergebnis war absehbar: Aimar trainierte noch einige Tage, aber niemand kümmerte sich mehr um ihn. "Die Konkurrenz war so groß und ich so lange verletzt." Als Aimars Zeit um war, bekam er ein Flugticket nach Buenos Aires. Im Koffer hatte er ein Real-Trikot, ein paar Autogrammkarten und einen zerplatzten Traum.

Fußball-Kinder als Investment

Das Schicksal von Aimar Centeno ist eines von unzähligen, denen der Autor Juan Pablo Meneses bei seinen Recherchen zum Thema Fußball-Kinder begegnet ist. Zwei Jahre ist der Chilene durch 16 Städte in Lateinamerika gereist, hat mit Agenten, Spielern und Trainern gesprochen und ist zu dem Schluss gekommen: Der Handel mit talentierten Nachwuchsfußballern ist in Lateinamerika ein boomendes Geschäft. "Es ist ein Mode-Business", sagt Meneses. Man müsse wenig investieren und könne viel gewinnen. Und der Talenttransfer spiele sich oft in einer halblegalen Grauzone ab.

In jüngerer Zeit sei ein Nachwuchs-Monopoly entstanden, die Sitten seien in den vergangenen zehn Jahren noch rauer geworden. Der Argentinier Centeno war immerhin 16, als er so unglücklich bei Real Madrid scheiterte. In Brasilien gebe es laut Meneses heute kaum noch talentierte Zehnjährige, die nicht schon einen Agenten hätten, deren Eltern nicht irgendwas unterschrieben haben oder hinter denen kein großer Klub her sei. Es sei wie mit Rennpferden oder Geheimtipps an der Börse: Beteilige dich rechtzeitig und billig und hoffe, dass das Investment - also der Jugendspieler - Gewinn abwirft. Selbst Investmentfonds mischten im Fußballer-Geschäft mit. Allein aus Brasilien gingen pro Jahr rund tausend Nachwuchsfußballer fort.

Oft hängen an ganz großen Talenten viele Teilhaber. Am Transfer von Brasiliens Superstar Neymar nach Barcelona verdiente nicht nur sein Jugendklub FC Santos, sondern auch eine große brasilianische Supermarktkette, die anteilig Transferrechte an ihm hielt, und ein privater Millionär, den Neymar mal bei einem U15-Turnier begeistert hatte. "Es ist ein bisschen wie Menschenhandel", findet Meneses, der seine Recherchen in dem Buch "Niños Futbolistas"  ("Fußball-Kinder") zusammengefasst hat.

Laut Meneses koste die Beteiligung an einem Nachwuchstalent in Chile oder Mexiko etwa 200 Dollar, in Argentinien seien es 400 Dollar und in Brasilien 500 Dollar. Das sind die Summen, für die Eltern, Onkel oder Verwandte die begabten Kinder anpreisen. Bei erfolgreichen Transfers gäbe es dann traumhafte Gewinnspannen, der Einsatz könne sich verzehnfachen. Meneses schreibt, meist würden Eltern oder Großeltern nur allzu bereitwillig die Entscheidungsgewalt über die Kinder hergeben.

"Ein Friseurladen für Mama, ein Taxi für Opa"

Das große Geschäft machen dann die Agenten. Die Eltern verdienen manchmal mit, aber fast nie die Kinder. Denn Karrieren wie die von Neymar, Messi und Ronaldo sind die Ausnahmen. Dahinter stehen Tausende Nachwuchskicker, die weniger oder gar keinen Erfolg haben, so wie Aimar. Lediglich ein Prozent der "Niños futbolistas" schaffe es auch, einen Profivertrag zu unterschreiben.

Viele Kinder stammen aus armen Verhältnissen, was den Erfolgsdruck auf sie noch erhöht. Sie wissen schon ganz früh, dass nicht in erster Linie persönliche Triumphe wie WM-Titel oder Meisterschaften wichtig sind. Es gehe vielmehr darum, das Auskommen oder ein besseres Leben für die Familie zu erreichen, sagt Meneses. "Ein Junge aus Kolumbien hat mir erzählt, er wolle seiner Mutter einen Friseurladen kaufen, einer in Chile wollte ein Taxi für seinen Opa, und das Ziel eines Knirpses in Argentinien war eine Metzgerei für seinen Vater."

Wer scheitert, schafft es mitunter nicht mal mehr zurück nach Hause: Meneses hat in Peru einen 14-Jährigen aus Kolumbien getroffen, der in dem Klub, der ihn einst kaufte, als Gärtner arbeitete. In Europa - vor allem in Frankreich und Italien - geraten scheiternde Fußball-Kinder aus Afrika oft in die Fänge von Drogenhändlern.

Aimar Centeno aus Agustín Roca hat noch vergleichsweise Glück gehabt. Er hat ein kleines Auskommen. Er verkauft bei den Spielen seines Heimatklubs Origone FC in einer der zahllosen Amateurligen Argentiniens Süßigkeiten und Getränke.

An die drei Wochen Probetraining denkt er noch oft. Und er fragt sich, was wohl ohne die verdammte Verletzung geworden wäre.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten