Kultusminister Der Unsinn der Elitenförderung

Schüler des Landesgymnasiums für Hochbegabte in Schwäbisch Gmünd: Künftig könnte es mehr Spezialeinrichtungen für die Schülerelite geben
Foto: Franziska Kraufmann/ picture alliance / dpaAm Freitag will die Kultusministerkonferenz eine neue Zielgruppe für ihre Bemühungen ausrufen: Die besonders guten, talentierten Schüler sollen verstärkt gefördert werden. Man will endlich etwas für die Begabten tun.
Endlich? Dass Spitzenschüler plötzlich als benachteiligte Gruppen gelten sollen, ist paradox - und ein falsches Signal: Begabtenförderung gibt denen, die schon haben - schlimmstenfalls auf Kosten derer, die am meisten Unterstützung brauchen.
Sachsens Schulministerin Brunhild Kurth hat die Initiative angestoßen. In Deutschland, wünscht sich die CDU-Politikerin, müsse endlich wieder unverkrampft von Elitenförderung die Rede sein: "Es war ja geradezu verpönt, das Wort in den Mund zu nehmen." Solche Einlassungen hört man in jüngster Zeit häufiger, und man wundert sich über die unverhohlene Erleichterung. Was soll eigentlich jemals so schlimm daran gewesen sein, dass man in einem demokratischen Land das Wort Elite mit Vorbehalt gebraucht?
Dass die Spitze im Bildungssystem bisher zu kurz käme, ist ohnehin ein Mythos. Gut 7100 Euro jährlich investiert der Staat in einen Gymnasiasten, einen Realschüler lässt er sich dagegen 5600 Euro kosten. Lehrer am Gymnasium verdienen mehr als ihre Kollegen an anderen Schulen, weil ihnen die verheißungsvollere Klientel anvertraut ist. Viel Geld geht an vermeintliche Elite-Studenten, das Stipendienwesen wurde massiv ausgebaut. Ein guter Teil der Mittel fließt dabei nicht in Bildungsmaßnahmen, sondern direkt als Taschengeld an die Auserwählten.
Akademikerkinder profitieren überdurchschnittlich
Kinder aus privilegierten Familien profitieren praktisch immer überdurchschnittlich von der Begabtenförderung. Das zeigen bisher nahezu alle Evaluationen. Beispiel Brandenburg: 2007 wurden hier für begabte Schüler an einigen Gymnasien und Gesamtschulen Spezialklassen geschaffen. Knapp 74 Prozent der Jugendlichen dieser Klassen haben Eltern mit Abitur, bei ihren Altersgenossen in den Regelklassen kommen nur 58 Prozent aus Abiturientenfamilien. Für Bayern und Baden-Württemberg stellt eine Studie fest, dass in den Begabtenklassen vor allem Akademikerkinder sitzen.
In einem Schulsystem, in dem der Bildungserfolg schon jetzt stark von der Herkunft abhängt, müssen solche Ergebnisse alarmieren. Umso beachtlicher ist die Ignoranz der Kultusminister: Ihr Papier geht mit keinem Wort auf die bestens dokumentierten Ungerechtigkeiten der Begabtenförderung ein.
Überhaupt stellt sich die Frage: Warum sollte man ausgerechnet diejenigen besonders fördern, die ohnehin schon die besten Voraussetzungen haben? Die aus Familien stammen, die sich locker teuren Geigenunterricht und Sprachreisen für die Kinder leisten können?
Bildungspolitiker verweisen dafür gern auf die Vergleichsstudien wie Pisa. Deutschland hat in den vergangenen Jahren aufgeholt, vor allem die schwächeren Schüler schneiden inzwischen deutlich besser ab als noch vor einigen Jahren. Das ist eine gute Nachricht, die Ansporn sein sollte. Stattdessen wird ein neuer Makel entdeckt: Die besten Schüler haben ihre Ergebnisse nämlich kaum gesteigert.
Schwache fördern ist die beste Bildungspolitik
Ein Argument für mehr Begabtenförderung ist der Hinweis auf die Pisa-Ergebnisse nicht. Im Gegenteil: Der Befund zeigt eher, dass es sich vor allem lohnt, die Schwachen zu fördern. Und es ist ja bei Weitem nicht so, dass es keine Bildungsverlierer mehr gäbe: 14 Prozent der Schüler lesen laut Pisa-Studie so schlecht, dass sie einem Text einfache Informationen nicht richtig entnehmen können. Weniger als früher, aber immer noch zu viele.
Dennoch wird neuerdings lieber für die Spitze getrommelt, angeblich auch, weil von deren Förderung letztlich alle profitieren würden. "Wir sind Exportweltmeister. Damit das so bleibt, muss die deutsche Wirtschaft ihr Niveau halten. Dazu braucht es die Begabten", findet Kultusministerin Kurth. Eine gewagte Verknüpfung: Woher weiß man, dass ein elfjähriger Schüler eines Tages so viel für das Land zu leisten vermag, dass eine Extra-Förderung gerechtfertigt ist, die anderen vorenthalten wird? Und welche Art von Begabung sollte man dafür fördern? Besonders intelligente Schüler, die aber schlechte Noten haben? Gute Schüler, die bei IQ-Tests eher durchschnittlich abschneiden?
Gut möglich übrigens, dass Begabtenklassen eher schaden als nutzen - und zwar denen, die nicht das Glück haben, in sie aufgenommen zu werden. In den ganz normalen Klassen fehlen den Zurückbleibenden dann nämlich die Mitschüler, von denen sie am meisten lernen können.