Lehrergeständnisse Ich bin der Kumpellehrer - und gebe manchmal Kumpelnoten

Lehrer Arne Ulbricht spielt mit seinen Schülern Fußball und geht auch mal bis morgens um vier mit ihnen tanzen. Das sorgt für gute Stimmung im Klassenzimmer - aber auch für Ärger.
Klassenzimmer (Archivbild): "Schüler haben ein unglaublich sicheres Gespür dafür, was sie sich bei welchem Lehrer leisten können"

Klassenzimmer (Archivbild): "Schüler haben ein unglaublich sicheres Gespür dafür, was sie sich bei welchem Lehrer leisten können"

Foto: Corbis

Ich war schon immer der Kumpeltyp. Im Referendariat fragte mich zum Beispiel ein Zehntklässler, ob ich nachmittags mit ihm und anderen Fußball spielen wolle. Ich wollte, spielte und war erstaunt, dass die Schüler keinen anderen Lehrer gefragt hatten.

Später, in Hamburg, unterrichtete ich an einer Abendschule. Nach der letzten Stunde vor den Weihnachtsferien gingen zehn Schüler und ich noch auf die Reeperbahn, wo wir bis 4 Uhr morgens tranken und tanzten. Meine Frau fand das unmöglich.

Später, ich wohnte längst in Berlin, rief mich eine der Schülerinnen von dem Reeperbahn-Abend an und heulte sich am Telefon aus, weil sie durchs Abitur gefallen war. Diese persönliche Nähe zu meinen Schülern macht meinen Beruf häufig sehr angenehm, denn: Die kumpelhafte Stimmung überträgt sich natürlich auch auf den Unterricht.

An einem Berliner Gymnasium unterrichtete ich zum Beispiel einen kleinen, extrem leistungsstarken Grundkurs in Französisch, den ich an einem Tag mit einer Novelle von Maupassant überforderte. Die Stimmung war trotzdem so gut, dass wir die Pause wie im Rausch durchgearbeitet haben. Meistens bitten Schüler ja eher darum, früher gehen zu dürfen.

"Ich nehme viel zu viel persönlich"

Wenn Schüler sich wohlfühlen, lassen sie sich eher darauf ein, Staatsformen pantomimisch darzustellen oder Familienmodelle als Rollenspiel einzuüben - sogar ohne dafür Noten einzufordern. Auch den Schülern geht es in solchen Situationen nämlich einfach darum, gemeinsam Spaß zu haben.

Wenn allerdings Schüler keinen Bock haben, bekomme ich Probleme. Denn sie haben ein unglaublich sicheres Gespür dafür, was sie sich bei welchem Lehrer leisten können. Jemand wie ich wird dann halt ausgenutzt. Bei einem wie mir gibt man Hausarbeiten gern zu spät ab, weil ich ja im Gegensatz zu anderen Lehrern keine Sechs gebe, wenn ein Schüler die Deadline nicht eingehalten hat. Dafür bin ich ja zu "nett". In solchen Situationen beneide ich oft meine strengeren Kollegen um ihre Konsequenz, die mir fehlt.

Wahrscheinlich gilt das nicht nur für mich, sondern für alle Kumpellehrer: Mit netten Klassen habe ich besonders viel Spaß, aber in Klassen, die schwierig sind, fehlt es mir manchmal an Autorität. Bei mir kommt erschwerend hinzu, dass ich viel zu viel persönlich nehme. Denn: Die Schüler sind ja nicht bloß meine Schüler, sondern meine Kumpels, und wenn diese Kumpels sich dann aber doch wie stinknormale Schüler verhalten und einfach mal nicht mitmachen oder nerven, verhalte ich mich wiederum wie ein Kind, das geärgert worden ist. Hin und wieder führt das dazu, dass ich aus lauter Enttäuschung anfange, die Schüler anzubrüllen. Das ist dann ziemlich peinlich.

Ja, ich gebe Kumpelnoten

Und wie sieht es beim heikelsten Thema aus? Gebe ich Kumpelnoten? Ja, das passiert. Es fällt mir jedenfalls schwer, in einem Kurs, in dem die Stimmung freundschaftlich ist, schlechte Noten zu geben. Es gibt wohl nur eine Sache, bei der ich genauso streng bin wie die meisten anderen auch: Wenn ich jemanden mit einem Spickzettel erwische, gibt es eine Sechs. Basta.

Zum Autor
Foto: Daniel Schmitt

Arne Ulbricht, Jahrgang 1972, unterrichtet an einer Gesamtschule in Nordrhein-Westfalen Französisch und Geschichte. Der Lehrer ist Autor mehrerer Bücher. Soeben ist sein Erzählband "Vatertag!" erschienen. Hier geht es zu seiner Website .

Wobei, na ja: Kürzlich beaufsichtigte ich in einer Prüfung einen Schüler, der mich während der Arbeit an meinem Buch beraten hat, weil ich Facebook nicht von Counterstrike unterscheiden konnte. Wenn dieser Schüler gespickt hätte - dann weiß ich nicht, was ich getan hätte. Und das darf eigentlich nicht sein. Eine Lösung sehe ich aber nicht. Denn ich bin nun mal der Kumpeltyp. Und ich kann mir auch nicht vorstellen, etwas anderes zu sein.

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