Mathe und Naturwissenschaften Leistungsgefälle zwischen Schülern in Ost und West ist gravierend

Der Osten hat die Musterschüler: Sachsen und Thüringen führen beim bundesweiten Schulvergleich in Mathematik und Naturwissenschaften. Schlusslichter sind die Stadtstaaten und NRW. Dort liegen Schüler um bis zu zwei Jahre zurück.
Mathematik-Unterricht: Neue Bundesländer liegen vorn

Mathematik-Unterricht: Neue Bundesländer liegen vorn

Foto: A3602 Frank Rumpenhorst/ picture alliance / dpa

Ist die Siedetemperatur von Wasser auf einem Sechstausender höher oder niedriger als in Deutschland? Wenn 73 Cent Steuern je Euro für Benzin anfallen, wie viel Steuern bezahlt man für eine gut 58 Euro teure Tankfüllung? Und was kommt zuerst: die kalte Luft oder die Gänsehaut?

Mit solchen Textaufgaben aus den Bereichen Mathematik, Biologie, Chemie und Physik bekamen es im Jahr 2012 bundesweit knapp 44.600 Schüler der neunten Klassen aller Schularten zu tun. Erstellt hatten die Fragen Lehrer und Forscher an der Berliner Humboldt-Universität für den Ländervergleich 2012 in Mathematik und Naturwissenschaften, einer großen Lernstandserhebung im Auftrag der Kultusministerkonferenz der Bundesländer.

Die großangelegte Untersuchung zeigt: Die Leistungen der Schüler in Mathematik und Naturwissenschaften sind sehr stark vom jeweiligen Bundesland abhängig, und zwar in allen vier untersuchten Fächern, sie "variieren erheblich", schreiben die Forscher in ihrem Bericht (hier als pdf , Umfang: 416 Seiten).

Als klare Sieger weist die neue Studie die Bundesländer Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt und, mit leichten Abstrichen, Brandenburg aus. Sie liegen in allen vier Fächern signifikant über dem deutschen Durchschnitt. Mecklenburg-Vorpommern schafft es in den Naturwissenschaften ebenfalls in die Spitzengruppe und verfehlt eine Top-Platzierung in Mathematik nur knapp.

Nordrhein-Westfalen, Bremen und Hamburg haben Rechenschwäche

Auf den hinteren Rängen, und damit signifikant schlechter als der Bundesdurchschnitt, finden sich in allen vier Fächern die Stadtstaaten Hamburg und Bremen sowie das bevölkerungsreichste Bundesland Nordrhein-Westfalen wieder. In Mathematik gehören außerdem das Saarland und Berlin zur Schlussgruppe, in Biologie schneidet Hessen signifikant schlechter ab als der Bundesdurchschnitt.

Bei der Punktevergabe orientierten sich die Forscher an der Pisa-Studie sowie an den Ländervergleichen aus den Jahren 2008/2009 (Deutsch, Englisch, Französisch) und 2011 (Grundschulen): Ausgehend von einem deutschen Mittelwert, der bei 500 Punkten liegt, liegen die bestplazierten Bundesländer und die Schlusslichter zwischen 50 (Biologie) und 68 (Physik) Punkte auseinander. Das ist eine erschreckend große Differenz, die den Forschern zufolge einem Lernstandsunterschied von circa zwei ganzen Schuljahren entspricht.

Hier die Ergebnisse der einzelnen Länder im Überblick:

Mathematik: Überdurchschnittlich gut waren hier die Schüler in Sachsen (536), sie schnitten selbst in der Spitzengruppe mit deutlichem Punkteabstand vor den Testteilnehmern anderer Bundesländer ab. Messbar besser als das Mittelfeld waren auch Thüringen und Brandenburg sowie Bayern und Sachsen-Anhalt.

Am Ende der Liste, mit nur 471 Punkten, liegt Bremen. Die weiteren Länder mit signifikant unterdurchschnittlicher Schülerleistung in Mathematik sind Berlin (479) und Nordrhein-Westfalen (486) sowie Hamburg und das Saarland (beide 489).

Naturwissenschaften: Auch beim Fachwissen in Biologie, Chemie und Physik liegt Sachsen vorn, allerdings beinahe gleichauf mit Thüringen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg. Zwischen den Resultaten der drei naturwissenschaftlichen Fächern zeigte der Neuntklässler-Test nur geringe Abweichungen. Mit leichtem Abstand zu den vier führenden Bundesländern erreichten auch die Schüler in Mecklenburg-Vorpommern durchweg überdurchschnittlich gute Werte. Bayern schaffte es in Chemie und Physik, Rheinland-Pfalz in Biologie knapp in die Gruppe der Bestplazierten.

Die schlechtesten Leistungen im Feld Naturwissenschaften erbrachten die Schüler in Hamburg, Bremen und Nordrhein-Westfalen. Hessen rutschte in Biologie mit in die Gruppe der signifikant schlechten Leistungen, Berlin entging einem Platz in der Schlussgruppe in den Naturwissenschaften jeweils nur sehr knapp.

Jeder zehnte Bremer würde keinen Hauptschulabschluss schaffen

So dramatisch die Werte sind, richtig überraschend kommen die meisten Ergebnisse nicht. Seit der ersten Pisa-Auswertung auf Länderebene Anfang der Nullerjahre ist Bremen Träger der roten Laterne - auch wenn es ums Leseverständnis, Deutsch und Fremdsprachen geht. Die neue Studie hat nun ergeben, dass in Bremen einer von zehn Neuntklässlern an den bundesweiten Mindestanforderungen für den Hauptschulabschluss scheitern würde. Im Siegerland Sachsen teilt dieses Schicksal nur jeder hundertste Schüler.

In Naturwissenschaften und Mathematik stehen Hamburg und Nordrhein-Westfalen ebenfalls beinahe schon traditionell weit hinten. Deutlich verbessert haben sich in den vergangenen gut zehn Jahren Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Bayern und Baden-Württemberg, die damals noch Spitzenplätze belegten, sind mittlerweile hinter die neuen Bundesländer zurückgefallen, im Fall von Baden-Württemberg sogar bis ins Mittelfeld.

Herkunft macht drei Jahre Leistungsunterschied

Kopfzerbrechen bereitet den Forschern nach wie vor, wie stark der Bildungserfolg in Deutschland vom Elternhaus abhängt. Im Forscherdeutsch heißt es dazu in der Studie: "Der sozioökonomische Status spielt (…) für die Erklärung der Kompetenzunterschiede nach wie vor eine substantielle Rolle." In Punkten ausgedrückt wird die Dramatik erst deutlich: Schüler aus besser gestellten Familien erreichen in Mathematik im Schnitt 82 Punkte mehr als Kinder aus schwächer gestellten Familien, ein Unterschied von fast drei Schuljahren. Am drastischsten wirkt dieser Herkunftsfaktor im Land Brandenburg, was die Feierstimmung trotz guter Platzierung etwas trüben könnte.

Aus den Daten einer zusätzlichen Befragung und Modellrechnungen stellten die Forscher außerdem dar, wie sich die Familiengeschichte auf den Testerfolg auswirkte. Kinder mit zwei im Ausland geborenen Eltern hatten unabhängig von ihrem sozialen Hintergrund signifikant schlechtere Ergebnisse als Klassenkameraden mit nur einem oder keinem eingewanderten Elternteil.

Als erste Erklärung bemühen Bildungsexperten für das gute Abschneiden der Ost-Bundesländer die mathematisch-naturwissenschaftliche Schultradition der DDR. Dort lag an Polytechnischen Oberschulen ein Schwerpunkt auf diesen Fächern.

Nachteile für Einwandererkinder, Armut und Bildungsferne als Hürde beim schulischen Erfolg sind die größten Probleme, die die Macher der Studie als Problemfelder an Schulen benennen. Auch diese Punkte sind lange bekannt und mit ein Grund für viele der schlechten Resultate, der nur schwer zu beseitigen ist.

Und wer eine zweiseitige Textaufgabe zum Temperaturerhalt durch Oberflächenvergrößerung in einer großen Gruppe von Kaiserpinguinen gut beantworten will, der sollte mit 15 Jahren außer in Mathe und Logik vor allem gut im Lesen und Verstehen sein. Da hilft es auch, wenn man mit den Eltern schon ein paar Mal im Tierpark war.

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