Desillusionierte Lehramtsstudentin Warum ich mein Referendariat abbreche

Schüler im Unterricht
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Larissa Sarand, Jahrgang 1988, machte 2007 Abitur in Berlin und anschließend eine Ausbildung zur Medienkauffrau. Danach studierte sie Lehramt für Deutsch und Politische Bildung an Gymnasien, im August 2016 begann sie ihr Referendariat. Über ihren Studienspaß und -frust hat sie ein E-Book im Eigenverlag verfasst: "5 Jahre Bastelstunde: Was man in der Uni lernt - oder eben auch nicht...".

Mit meiner Ausbildungsschule hätte ich es besser nicht treffen können: Ein Gymnasium mit freundlichen Lehrern und Schülern aus gutem Hause, die sich zumeist artig betragen, ihre Hausaufgaben erledigen und vor allem nach guten Noten streben. Ja, ich hätte einen großartigen Job - wenn mir nicht so verdammt gegen den Strich ginge, dass die Schüler den Lehrern so oft nach dem Munde reden.
Als ich in einer neunten Klasse eine Vertretungsstunde über die Rollenverteilung zwischen Männern und Frauen hielt, teilte ich einen Arbeitsbogen aus. Die Schüler sollten ankreuzen, welchen Thesen sie zustimmen und welchen nicht. Eine lautete: "Männer sollten immer die Hauptverdiener einer Familie sein." In der Auswertung zeigte sich, dass alle 25 ihr Kreuz brav bei "Nein" gesetzt hatten.
Ich notierte die Antworten an der Tafel. Das Bild hätte jedem Gleichstellungsbeauftragten Tränen der Rührung in die Augen getrieben. Bei nahezu jeder These hatten die Schüler offenbar ein und dieselbe emanzipierte, politisch korrekte Meinung.
Ich wendete mich an die Jungs der Klasse: "Stellt euch vor, ihr wärt jetzt 30 und hättet eine kleine Familie. Eure Frau verdient 1000 Euro mehr pro Monat als ihr. Deshalb könnt ihr euch mehr leisten, das ist natürlich gut. Aber Hand aufs Herz: Wer von euch hätte heimlich ein Problem damit, dass er weniger Geld nach Hause bringt als seine Frau?"
"Es gibt heute keine Noten"
Kein einziger Schüler zeigte auf, aber ich sah, wie einige sich gegenseitig angrinsten. "Das hier ist eine Vertretungsstunde, es gibt keine Noten", sagte ich. Und siehe da: Ein Arm nach dem anderen ging nach oben. Von 14 Jungen beantworteten schließlich 13 die Frage, ob sie ein Problem damit hätten, wenn ihre Frau die Hauptverdienerin ist, mit "Ja".
"Warum habt ihr da dann eben mit 'Nein' geantwortet?" - "Na ja, weil das halt die richtige Antwort ist", sagte ein Schüler. "Aber ihr solltet ja eure persönliche Meinung äußern. Kann es da denn 'richtig' oder 'falsch' geben?" - "Klar, wenn es um die mündliche Note geht!"
Der Zensurendruck ist allgegenwärtig. Die Schüler würden ohne Weiteres wohl sogar das Telefonbuch auswendig lernen, wenn man ihnen dafür eine Eins in Aussicht stellt.
Selbst als den Elftklässlern ein Test angeboten wurde, der lediglich als Orientierungshilfe für das spätere Studium dienen sollte, kam prompt die Frage: "Wird der benotet?"
Mich hat an der Arbeit als Lehrerin die Aussicht darauf gereizt, Kinder und Jugendliche beim Erwachsenwerden zu begleiten, ihre Entwicklungen mitzuerleben, sie zu fördern und vor allem: Ihnen helfend zur Seite zu stehen, wenn sie in Schwierigkeiten geraten.
Aber unser Bildungssystem ist so leistungsorientiert, dass es individuelle Bedürfnisse der Kinder völlig außer Acht lässt. Entwickelt werden sollen lediglich Kompetenzen, nicht Persönlichkeiten - und zwar so schnell und gleichzeitig so umfassend wie möglich, was natürlich schon ein Widerspruch in sich ist. Und bei Schülern wie Fridolin schlichtweg nicht funktioniert.
Der 14-Jährige ist, euphemistisch ausgedrückt, eine Herausforderung. Schon in meiner ersten Stunde ließ er mich auflaufen. Er kritzelte auf sein Namensschild "Kevin-Mercedes" anstatt seines richtigen Namens und lachte ausgiebig über seinen Gag. Lautstark unterhielt er sich über mehrere Reihen hinweg mit seinen Kumpels, begann zu singen, fiel mir ungefragt und frech ins Wort und zeigte sich immun gegenüber jedem Aufruf zur Räson. Kurzum: Der Backfisch sprengte mir die ganze Stunde. Er bettelte förmlich um meine Aufmerksamkeit und sei diese noch so negativ.
"Nehmen Sie das nicht persönlich"
Sauer war ich auf Fridolin nicht. Man muss kein Psychiater sein, um zu checken: Das Kind hat Probleme. Er verhält sich doch nicht so, weil er so gern vom Lehrer getadelt wird - da steckt doch etwas anderes dahinter.
Ich sprach eine Kollegin auf ihn an. "Ja, er ist sehr schwierig. Nehmen Sie das nicht persönlich", sagte sie sofort. Sie wisse auch nicht, was da los sei. Aber das Einzige, was wir machen könnten, sei Druck über Noten ausüben. "Wenn er stört, sagen Sie ihm einfach, dass Sie ihm für die Stunde eine Fünf oder eine Sechs eintragen. Das wirkt."
Ich mache der Lehrerin keinen Vorwurf - sie ist genauso überarbeitet wie alle anderen und es mangelt einfach überall in den Schulen an Sozialarbeitern. Aber: 'Das wirkt?' Wogegen? Gegen Fridolin?
Ich bewundere Lehrer, die unter diesen Bedingungen mit strahlendem Gesicht einen guten Job abliefern und "nebenbei" auch noch die Sache mit der Inklusion auf die Kette bekommen. Und ich ziehe den Hut vor Schülern, die es schaffen, diesem Druck standzuhalten und nach acht Stunden Schule in unterschiedlichen Fächern zu Hause noch brav ihre Hausaufgaben erledigen und für die nächste Klassenarbeit büffeln, anstatt sich mit Freunden zu treffen oder Hobbys nachzugehen.
Aber ich glaube nicht, dass ich in dieses System passe.
Ich will da nicht mitmachen. Ich kann da nicht mitmachen. Und so bin ich nach langem Zaudern zu dem einzig richtigen Entschluss gekommen: Ich schmeiße mein Referendariat hin. Wo die Reise nun hingehen wird? Keine Ahnung. Aber mit Sicherheit nicht auf Klassenfahrt.
Eine lange Version dieses Textes hat die Autorin auch auf ihrem Blog veröffentlicht.