
Geständnis einer Studentin: Bitte mehr Praxiswissen
Bekenntnisse einer Lehramtsstudentin Wir lernen: nichts

Larissa Sarand, Jahrgang 1988, machte 2007 Abitur in Berlin und anschließend eine Ausbildung zur Medienkauffrau. Danach studierte sie Lehramt für Deutsch und Politische Bildung an Gymnasien, im August 2016 begann sie ihr Referendariat. Über ihren Studienspaß und -frust hat sie ein E-Book im Eigenverlag verfasst: "5 Jahre Bastelstunde: Was man in der Uni lernt - oder eben auch nicht...".

Ich will nicht behaupten, dass Lehrerin mein Traumjob war. Aber ich liebe gute Bücher, die deutsche Sprache, und ich finde Politik spannend und wichtig, weil sie sich auf jeden von uns auswirkt. Aber vor allem mag ich junge Menschen und die Aussicht darauf, ihnen über Jahre hinweg beim Wachsen und Erwachsenwerden zusehen zu können.
Ich werde Lehrerin am Gymnasium. Ich werde Ihre Kinder unterrichten. Ich möchte junge Menschen für meine Fächer begeistern. Ich möchte Talente fördern und schwächere Schüler unterstützen. Ich möchte für ein freundliches und produktives Miteinander im Klassenverband sorgen und auch nach der Stunde ein offenes Ohr für meine Schüler haben.
Ich möchte die Erwartungen, die Sie als Eltern zu Recht an mich als Lehrerin haben, erfüllen und Ihre Kinder gut und gewissenhaft auf Prüfungen vorbereiten, damit sie ein Abitur, ein gutes Abitur, ablegen und mit den bestmöglichen Voraussetzungen in die Berufsausbildung oder die Universität starten können.
Wie das geht, habe ich in den vergangenen vier Jahren während meines Lehramtsstudiums an einer deutschen Universität jedoch nicht gelernt. Leider.
Wie viele andere habe auch ich mich aus Verlegenheit für dieses Studium entschieden. Im Jahr 2009 war ich 23 Jahre alt, hatte ein mittelmäßiges Abitur und eine mittelmäßige Ausbildung zur Verlagskauffrau hinter mir - und kein Berufsziel. Ich war naturwissenschaftlich, künstlerisch und musikalisch ebenso unbegabt wie desinteressiert, jedoch im Besitz von rund 200 Büchern. Also: Deutsch im Hauptfach. Zweitfach: Politische Bildung. Zu Beginn wusste ich über das Studium nicht viel, außer: Lehrer brauchen eine pädagogische Ausbildung und didaktisches Handwerkszeug. Und das lernt man in einem praxisorientierten Studium oder zumindest im Pflichtfach Erziehungswissenschaften, oder?
Ich hatte ja keine Ahnung.
Ein paar Beispiele aus meinem Studium:
Ein erziehungswissenschaftliches Seminar beschäftigte sich laut Titel mit der "Psychologie des Lernens". Ich hoffte auf die Vermittlung einiger Methoden, die meinen künftigen Schülern, und vielleicht ja auch mir, das Lernen erleichtern. Memotechniken oder Assoziationsketten vielleicht. Tatsächlich handelte das Seminar vom sensiblen und lernfähigen Nervensystem der Meeresschnecke Aplysia bis hin zum Sabber des Pawlowschen Hundes. Wie ich diese Inhalte mit meiner späteren Lehrtätigkeit in Verbindung bringen soll, kann ich noch nicht sagen.
In einem anderen Kurs im Fach Erziehungswissenschaften lautete eine Klausuraufgabe: "Das deduktiv-hypothetische Forschungsparadigma kann mit verschiedenen Begriffen oder Dimensionen vom qualitativen, interpretativen Forschungsparadigma abgegrenzt werden. Welcher Begriff gehört nicht zum deduktiv-hypothetischen Forschungsparadigma?" Der Diplom-Pädagoge, der den Kurs leitete, hatte seiner Homepage zufolge vor seiner Habilitation an verschiedenen Unis als wissenschaftlicher Mitarbeiter gearbeitet. Einträge zu Tätigkeiten in Kitas, Heimen, Schulen oder anderen Einrichtungen für Kinder und Jugendliche habe ich nicht gefunden.
Über den Werdegang einer Dozentin am Lehrstuhl für Sonderpädagogik konnte ich leider nichts herausfinden. Die freundliche ältere Dame jedenfalls betrat unseren Kursraum stets ausgerüstet mit einem Karton voller Wachsmalstifte, Scheren und Klebstoff. In ihrem Kurs malten wir Bilder, bastelten Masken aus Papptellern, warfen uns gegenseitig einen Ball zu und lernten - nichts. Wir waren angehende Gymnasiallehrer, die mitten im Studium davon überrascht worden waren, dass in Zukunft Kinder mit körperlichen und/oder geistigen Behinderungen in ihren Klassen sitzen werden. Dringend hätten wir Informationen zur Inklusion benötigt, wir hätten erfahren müssen, welche besonderen Bedürfnisse diese Kinder haben und wie wir sie in den Klassenverband integrieren können. Doch statt dieser Informationen bekamen wir: Masken aus Papptellern.
Auch im Fach Politische Bildung durften wir basteln. Zunächst sollten wir in Kleingruppen einen Film aus mehr als hundert erfolgreichen Spielfilmen auswählen, die größtenteils nur wenig mit Politikunterricht in deutschen Klassenzimmern zu tun hatten. Unseren ausgewählten Film sollten wir anschließend an einem Stand im Seminarraum "bewerben", wir sollten Plakate gestalten und unseren Stand passend zum Film dekorieren.
Als ich mich im Masterstudium für das Seminar zur Literaturdidaktik anmeldete, hatte ich mich bereits daran gewöhnt, dass didaktische Kurse nicht zum Inhalt hatten, wie sich Lehrer im Klassenraum behaupten können.
Stattdessen besprachen wir Kurzgeschichten, Woche für Woche diskutierten wir die Bedeutung von Zeit, Ort und Raum für die jeweilige Geschichte - nach dem Motto "Es wurde schon alles gesagt, nur noch nicht von jedem". Zu einer der Kurzgeschichten erhielten wir Übungen aus einem Schulbuch. Ich empfand einige der Aufgaben als recht anspruchsvoll und fragte den Professor, ob Sechstklässler diese schon lösen könnten. Seine Antwort: "Ich weiß es nicht, ich hab da keine Erfahrung." Der Professor hatte bereits kurz nach seinem Referendariat eine Anstellung an einer Uni gefunden und somit seit den Neunzigerjahren keinen Klassenraum mehr von innen gesehen.
Ich möchte mir nicht anmaßen zu behaupten, jeder Dozent, der selbst nicht an einer Schule gearbeitet hat, sei inkompetent und könne kein Wissen vermitteln. Doch: Wir Studenten brauchen Leute, die uns sagen können, wie man für ein positives Klassenklima sorgt, welche Methoden sich bei ihnen im Unterricht bewährt haben und wie man verdammt noch mal an dem Job nicht kaputtgeht. Nie wurde uns erklärt, in welchem Rahmen man Schüler reglementieren darf und soll oder wie ich Klassen in unterschiedlichen Situationen am besten motivieren kann.
Aber ich verspreche, ich werde als Lehrerin mein Bestes geben.
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