Lehrer als Raubkopierer Verlage wollen Schulserver durchsuchen lassen

Schul-Computerraum: Eine Software soll nach illegalen Digitalkopien suchen
Foto: dapdWozu die Schüler ein Buch kaufen lassen, wenn die Kopie eines Kapitels reicht? Wie viel Lehrer für ihre Klassen kopieren dürfen, ist seit 2008 genau festgelegt. Die Weitergabe von höchstens zwölf Prozent, aber maximal 20 Seiten eines Buchs, ist Pädagogen auf Papier erlaubt, so sehen es die seitdem gültigen Kopierregeln vor, die Kultusminister der Bundesländer mit der Interessenvertretung der Schulbuchverlage (VdS-Bildungsmedien) ausgehandelt haben.
Bei digitalen Kopien wie PDF-Dateien sind die Regeln noch strikter. Ohne Genehmigung des Verlags ist das Speichern oder Verteilen von digitalem Lehrmaterial komplett verboten. Schon wenn ein Lehrer einen Buchscan über einen Schulserver zugänglich macht, verstößt er gegen das Urheberrecht. Und das könnte ihm künftig schneller Ärger einbringen - denn die Verlage gehen in die Kontrolloffensive.
Noch wissen die Lehrbuchanbieter zwar nicht, ob und wie viel urheberrechtlich geschütztes Material illegal auf deutschen Schulrechnern lagert, aber wozu vertrauen, wenn man genau nachschauen kann? Mit Hilfe eines Computerprogramms wollen die Buchverkäufer den Schulträgern, also Ländern und Gemeinden, einen tiefen Einblick in die digitalen Bibliotheken der Schulen ermöglichen. Ab Frühjahr 2012 sollen mit einer eigens zu erstellenden Software Schulrechner nach illegalen Digitalkopien durchsucht werden, berichtet das Politikblog Netzpolitik.org .
Grundlage der geplanten elektronischen Kontrollen ist der auf Dezember 2010 datierte "Gesamtvertrag zur Einräumung und Vergütung von Ansprüchen nach § 53 UrhG", der unter anderem bei Netzpolitik.org, aber auch auf mehreren anderen Web-Seiten einzusehen ist. Unterzeichner des Vertrags sind demnach ein Ministerialdirektor des bayerischen Kultusministeriums im Namen aller 16 Bundesländer, die Verwertungsgesellschaften VG Wort und VG Musikedition , die zusammen als "Zentralstelle Fotokopieren an Schulen" (ZFS) auftreten, und der VdS-Bildungsmedien , Interessenvertreter von mehreren Dutzend Schulbuchverlagen.
Ein Prozent der Schulen soll überprüft werden
Das Computerprogramm, das die Verlage den Ländern bereitstellen wollen, wird im Vertrag als "Plagiatssoftware" bezeichnet. Im Schulnetzwerk soll sie nach Digitalkopien, etwa aus Lehrbüchern oder Arbeitsheften, suchen. "Zur Zeit existiert die Software noch nicht", sagt Christoph Bornhorn, Leiter der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit des VdS-Bildungsmedien. "Der Auftrag ist noch gar nicht vergeben." Nach Angaben seines Verbands soll das Programm die Schulserver überprüfen, die Privat- oder Arbeitsrechner der Lehrer dagegen nicht.
Ein Techniker, der für die Bildungsmedien Service GmbH (BMS) an der Entwicklung des Programms beteiligt ist, erläutert die geplante Funktionsweise so: "Die Software wird vor Ort im Schulnetzwerk eingesetzt und gleicht die dort gespeicherten Texte mit einer Online-Datenbank mit Textbausteinen aus Schulbüchern ab - wo diese Datenbank liegt, ist noch unklar. Gibt es identische Texte, informiert eine Auswertungsdatei den Schulträger darüber." Von der Schule zum Verlag gebe es keinerlei Datenübertragung. "Wir wissen später nicht, welche Schule wie geprüft wurde."
Dass die Schulträger, etwa Städte und Gemeinden oder das Land, die Überprüfungen selbst durchführen, ist vertraglich geregelt. Dort heißt es: "Die Länder wirken - die technische und datenschutzrechtliche Unbedenklichkeit der Software vorausgesetzt - darauf hin, dass jährlich mindestens 1 Prozent der öffentlichen Schulen ihre Speichersysteme durch Einsatz dieser Plagiatssoftware auf das Vorhandensein solcher Digitalisate prüfen lässt." Die Auswahl der Schulen soll dabei "auf Basis eines anerkannten statistischen Verfahrens" erfolgen. Starten sollen die Überprüfungen "ab Bereitstellung der Software, frühestens jedoch im 2. Schulhalbjahr 2011/2012".
Die Trojaner-Angst geht um
Für den Fall, dass die Software auf den Schulservern illegale Kopien entdeckt, heißt es im Vertrag vage: "Die Länder verpflichten sich, bei Bekanntwerden von Verstößen gegen die in diesem Gesamtvertrag festgelegten Vorgaben für das Vervielfältigen von urheberrechtlich geschützten Werken gegen die betreffenden staatlichen Schulleiter und Lehrkräfte disziplinarische Maßnahmen einzuleiten." Wie diese Maßnahmen aussehen sollen, ist noch nicht bekannt. Verantwortlich dafür seien die Länder, heißt es von Seiten des VdS-Bildungsmedien.
Bezüglich des Datenschutzes verweist der Verband ebenfalls auf die Schulträger. Sie seien dafür verantwortlich, dass bei den Überprüfungen alle datenschutzrechtlichen Vorschriften eingehalten werden. Man gehe selbstverständlich davon aus, dass dies gelinge.
Im Netz sind viele Nutzer skeptisch, dass die Überprüfungen der Computer mit dem Datenschutz vereinbar sind. Auf Plattformen wie Twitter läuft die Diskussion um das Computerprogramm bereits unter dem Schlagwort "Schultrojaner". Das Blog Netzpolitik.org hatte die Software am Montagmorgen in Anlehnung an den Staatstrojaner so bezeichnet. "Irreführend", findet die Bezeichnung Christoph Bornhorn vom VdS-Bildungsmedien. "Natürlich handelt es sich nicht um eine heimliche Überprüfung, sondern um eine ganz offizielle", sagt er.
"Schulleiter sind keine Hilfspolizisten"
Kritik am geplanten Einsatz des Programms äußert unter anderem die Piratenpartei. Sie spricht in einer Stellungnahme von einem "Vertrauensbruch zwischen Land und Lehrerschaft" . "Schulleiter und Landesregierungen sind keine Hilfspolizisten der Verlegerlobby", sagt ihr Bundesvorsitzender Sebastian Nerz.
Kritisch äußerte sich auch Lars Klingbeil, netzpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion: "Die vorgesehene stichprobenartige Überprüfung von Rechnern und Speichersystemen der Schulen halte ich aus rechtlicher und technischer Sicht für völlig unhaltbar", sagt Klingbeil. "Offensichtlich gehen die Verlage davon aus, dass die Schulrechner voll sind von unzulässigen digitalen Kopien, anders ist dieses Misstrauen ja kaum erklärbar." Der VdS-Bildungsmedien wollte keine Schätzung darüber abgeben, wie viele unzulässige digitale Kopien derzeit auf Schulservern liegen.
Laut Vertragstext beginnt die Kooperation von Ländern und Verlagen mit Vertragsschluss, müsste also bereits laufen. Die öffentlichen Schulen sollen den Ländern innerhalb des ersten Schulhalbjahres 2011/2012 bestätigen, dass sich auf ihren Rechnern keine illegalen Kopien befinden. Wie sie das feststellen, stehe den Ländern frei, so der Sprecher des VdS-Bildungsmedien. Zwei von SPIEGEL ONLINE schriftlich angefragte Landesschulbehörden gaben am Montag keine Stellungnahme zum Inhalt des Vertrages und zur Umsetzung der Vereinbarung ab.