
Hilfe für Lehrer: Tyrannen im Klassenzimmer
Aufmüpfige Kinder Was Lehrer tun können, wenn Schüler partout nicht auf sie hören
Am Ende schreien sich alle an. "Halt deine Fresse", brüllt ein Schüler. "Du Arschloch", erwidert der andere. Dazwischen bäumt sich Lehrer Rudi Rhode auf, versucht mit seinem Körper einen Sichtschutz zwischen den Kontrahenten herzustellen. Die Mitschüler feuern den Streit an. Der Lehrer braucht mehrere Minuten, um die Situation in den Griff zu bekommen.
Rhode ist in Wirklichkeit gar kein Lehrer, sondern Coach. Und die Schüler, die sich hier anschreien, sind auch keine Schüler, sondern Lehrer, die an Rhodes Seminar über einen besseren Umgang mit aufmüpfigen Schülern teilnehmen. Schüler, die im Unterricht herumschreien, ihre Smartphones nicht wegstecken oder aufeinander einschlagen. Immer wenn Rhode coacht, schlüpft er in andere Rollen und verlangt das auch von den Teilnehmern seines Seminars.
An diesem Tag Ende Juni ist Rhode an der Gustav-Heinemann-Schule im hessischen Borken im Einsatz. Rund 500 Kinder und Jugendliche besuchen die integrierte Gesamtschule des 13.000-Einwohner-Ortes. Rhode ist gefragt. Wer ein Seminar bei ihm buchen will, muss viele Monate warten.
Vor allem junge Pädagogen wünschen sich mehr Praxistraining
Christine Sperlich hatte Rhode im vergangenen Oktober angefragt. Die Deutsch- und Englisch-Lehrerin wollte wissen, wie man Konflikte mit Schülern besser lösen kann. "Wir stoßen immer wieder an unsere Grenzen", sagt sie. Schüler reden die ganze Zeit, verweigerten ihre Aufgaben. "Ich mach' das jetzt nicht", sagten sie dann. Es gebe auch Schüler, die aus Wut ihre Federmappe durch die Luft werfen würden. "Als Lehrer hat man heutzutage einen schwierigen Erziehungsauftrag", sagt Sperlich.
Im Referendariat lerne man nicht, wie man mit Situationen umgeht, die aus dem Ruder laufen. "Auch wir Lehrer stehen unter Druck, manchmal agieren wir dadurch unprofessionell", sagt Sperlich. Vor allem die jüngeren Lehrer wünschten sich mehr Praxiserfahrung - und Anleitung, um nicht ständig allein kämpfen zu müssen.
Rhodes Seminar besuchen an diesem Tag 17 Lehrerinnen und drei Lehrer. Sie tragen Jeans und Pulli. Einige von ihnen unterrichten an der Grundschule nebenan. In der Aula sitzen sie in einem Stuhlhalbkreis vor dem Coach und verfolgen aufmerksam, was er tut.
Denn der drahtige Rhode versteht es, Aufmerksamkeit zu erzeugen. Selbstbewusst und energisch redet er mit den Lehrern. Immer wieder fordert er sie auf, sich an den Rollenspielen zu beteiligen. Darin stellt er Situationen nach, die sich so auch im Unterricht zutragen könnten. Bei jedem Rollenspiel verschärft sich die Situation. Angefangen bei einem Schüler, der ein zusammengeknülltes Blatt Papier neben den Mülleimer wirft und es nicht aufhebt, bis hin zu einem Schüler, der seine Lehrerin massiv beleidigt, mit Schimpfwörtern, die man nicht aufschreiben möchte.
"Lehrer müssen auf Regelverstöße reagieren"
Deeskalation und Konfrontation: Das sind Rhodes zwei Bausteine der Konfliktlösung, die er den Lehrern beibringen möchte. Der Coach, Jahrgang 1957, war im Nachklapp der 68er-Bewegung selbst aufmüpfig in der Schule, gehorchte nicht, rebellierte lieber. Erst als er zwei Lehrer einer neuen Generation bekam, die ihm mit Respekt gegenübertraten, auf Augenhöhe mit ihm redeten, Halt und Sicherheit gaben, hörte Rhode mit seiner persönlichen Revolte auf.
"Lehrer müssen auf Regelverstöße reagieren, sonst verlieren sie Autorität und Status", sagt Rhode. In erster Linie sollten sie versuchen, Situationen zu deeskalieren. Das funktioniere über persönliche Ansprache und Freundlichkeit, über Zulächeln oder Zwinkern. Soziale Schmiermittel sagt Rhode dazu. Aber auch über Humor und die Körpersprache. Lehrer sollten sich nicht frontal vor den Schüler stellen, sondern von der Seite zu ihm sprechen. Auch zu langer Blickkontakt übe zu viel Druck aus.
Wenn sich ein Schüler aber im Ton vergreife, müsse man ihn damit konfrontieren. Als Lehrer brauche man dann einen langen Atem. "Stopp. Nicht in diesem Ton!", könne man sagen. Und auch mit Konsequenzen, wie etwa einem Gespräch mit dem Direktor, müsse man drohen. Wichtig seien kurze Botschaften, ein fester Blick, eine feste Stimme und ein fester Stand. Und dann wieder Deeskalation. Das Wechselspiel sei entscheidend.
Die Lehrerin baut zu viel Druck auf
"Uns ist jetzt allen viel bewusster, was wir erleben", sagt Lehrerin Christine Sperlich drei Wochen nach Rhodes Training. Aber noch, so musste die Lehrerin feststellen, wendet sie die Techniken nicht intuitiv an: Einige Tage nach Rhodes Seminar wollte einer von Christine Sperlichs Schülern einfach nicht aufhören zu reden und die Mitschüler zu stören.
Sperlich konfrontierte den Jungen damit, aber die Situation entglitt ihr. "Wenn du jetzt nicht aufhörst, gehen wir zum Schulleiter", sagte Sperlich. Doch damit war sie zu hoch eingestiegen, hatte zu viel Druck aufgebaut - und musste ihre Drohung schließlich umsetzen und den Schüler tatsächlich zum Direktor zerren.
Die Lehrerin findet: "Solche Schulungen müssten regelmäßiger stattfinden, sodass wir automatisch deeskalieren und konfrontieren."
Weitere Informationen zum Lehrer-Coaching von Rudi Rhode finden Sie hier . Die Lehrergewerkschaft GEW empfiehlt unter anderem Lehrer-Coachinggruppen nach dem Freiburger Modell .

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