Anonymes Lehrergeständnis Warum ich den ersten Schultag herbeisehne

Sechs Wochen frei! Viele Menschen beneiden Lehrer um ihre langen Sommerferien. Dabei ahnen nur wenige, was mancher zu Hause durchmacht - als Vater. Hier erzählt einer anonym, wieso er dringend zur Arbeit will.
Foto: MoMo Productions/ Getty Images

Hurra, hurra, die Schule beginnt! Jetzt ist es bald so weit. Seit wir aus dem Urlaub zurück sind, streiche ich jeden Morgen einen Tag vom Kalender. Bald sind sie endlich vorbei, die Sommerferien, denn Ferienzeit heißt für mich Betreuungszeit.

Als Lehrer bleibt die Betreuung der eigenen Kinder in den Ferien immer an mir hängen. Meine Frau hat einen Beruf aus dieser sogenannten freien Wirtschaft - mit etwas Glück bekommt sie da zwei Wochen Urlaub am Stück. Doch sechs minus zwei macht immer noch vier! Vier Wochen Zoo, Schwimmbad, Minigolf, Stadtpark mit stetig sinkendem Budget. Und immer, wenn wir nach Hause kommen, dieser eine Satz, der mich mittlerweile fertig macht: "Mir ist langweilig!"

Jaa, ich habe auch von dieser Studie gehört, wie wichtig Langeweile doch für Kinder sei, da werden die Kinder anderer Leute anscheinend immer ganz kreativ. Wie sich diese Langeweile für die Eltern anfühlt, davon ist in der Studie leider keine Rede. Ach ja, und dann ist da noch dieser andere schöne Satz: "Und was machen wir jetzt?" Ich reagiere mittlerweile wie der pawlowsche Hund, dem beim Klingeln der Glocke schon der Speichel im Mund zusammenläuft. Nur fange ich stattdessen an zu hyperventilieren, und neuerdings ist da so ein Zucken in meinem linken Auge.

Mehr zum Thema
Foto: Armin Weigel/ DPA

Letztes Jahr haben wir den Kleinen noch ausgetrickst

Die Große ist kein Problem, die kann sich auch mal selbst beschäftigen oder wir spielen ein Spiel, das auch mir Spaß macht - also nicht das Obstgartenspiel! Letztes Jahr haben wir den Kleinen noch ausgetrickst: Wir sind einfach jeden Morgen mit gepacktem Schulranzen zur Kita gefahren und haben ihn abgeliefert. Dann sind wir nicht links zur Schule, sondern rechts nach Hause abgebogen, haben uns ein zweites Frühstück gegönnt, und ich habe Zeitung gelesen.

Zwei Jahre lang hat meine Tochter dichtgehalten. Bis eine Erzieherin bei einem kleinen Hüsterchen meines Sohnes schnippisch meinte: "Es ist besser, wenn Paul* zu Hause bleibt. Aber Sie als Lehrer haben ja frei." Sie muss meinen Gesichtsausdruck gesehen haben und zwinkerte daraufhin meiner Tochter konspirativ zu: "Sonst passt die große Schwester auf, die hat ja auch Ferien."

Tatsächlich benötige ich für meine Arbeit in den Ferien immer so eine Woche: Abitur, Korrekturen, Vorbereitungen, Klassenfahrten, Elternbriefe und so weiter. Seit die Erzieherin mir aber die Tour vermasselt hat, komme ich zu nichts mehr. Und ich bringe es einfach nicht übers Herz, Paul in die Kita zu zwingen, zumal es auch körperlich immer schwieriger wird ihn anzuziehen, wenn er nicht will.

"Du kannst auch den ganzen Vormittag kollidieren", hatte mein Sohn mir in den letzten Herbstferien versprochen und meinte natürlich korrigieren. Leider ist ein Vormittag aus Kleinkindsicht nach einer Viertelstunde vorbei! Aber die ungute Angewohnheit des Zuhausebleibens sind wir seitdem nicht mehr losgeworden.

Drei Wochen Kitaschließzeit!

Diese Sommerferien sollte eigentlich alles anders werden: Ich wollte die gesamte Oberstufe durchplanen und mich voll auf mein neues Fach konzentrieren, das ich seit Kurzem unterrichte. Dafür brauchte ich unbedingt zwei Wochen Kita. Aber eine dunkle Wolke sollte bald am Himmel über mir und meiner Familie aufziehen: eine schicksalhafte Fügung namens Kitaschließzeit. Und diese drei Wochen überschnitten sich dummerweise überhaupt nicht mit unserem Urlaub.

Damit man mich nicht falsch versteht: Ich liebe meine Familie und meine Kinder, aber für so etwas sind wir Menschen einfach nicht geschaffen. Millionen von Jahren lebten wir in Sippen, da gab es immer eine ganze Schar Kinder, ein paar Omas, Onkel oder Tanten, Cousinen, Schwager - so naiv stelle ich mir das jedenfalls vor. Ich dagegen habe keine Eltern vor Ort und wir verbringen die freien Tage sehr intensiv in der Kernfamilie, in den Ferien meist zu dritt ohne Mama.

Und jetzt kommen Sie

Sie sind Lehrer oder Lehrerin und möchten auch etwas gestehen, erzählen, loswerden? Dann schicken Sie uns gern Ihre kurze Geschichte (mit einer Einsendung erklären Sie sich mit einer anonymen Veröffentlichung auf SPIEGEL ONLINE und sämtlichen anderen Medien der SPIEGEL-Gruppe einverstanden) an:E-Mail senden an Lehrer@spiegel.de 

In diesen Sommerferien bin ich dann auch öfter mal schwach geworden und habe Paul das Handy zum Spielen gegeben. Ich weiß nicht, wie er das hinbekommt, er kann nicht lesen, aber in "Township" baut er sich ganze Städte auf. Was für ein Fehler! Denn je länger ich darüber nachdenke, desto mehr wird mir bewusst, was "Mir ist langweilig!" und "Was können wir jetzt machen?" eigentlich bedeuten, nämlich: "Ich will am Handy spielen!"

Jedenfalls freue ich mich sehr auf die Schule und habe mir auch schon einen Begrüßungstext überlegt: "Liebe Schüler, ich hoffe, IHR hattet wenigstens erholsame Ferien. Es ist schön, euch wiederzusehen und ich danke euch, dass ich nicht die Kruste von eurem Schulbrot abschneiden muss und ihr euch in den Pausen selbst beschäftigt! Ein schönes Schuljahr!"

*Die Namen der Kinder sind geändert.
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten