US-Lehrerin verzichtet auf Hausaufgaben "Ich unterrichte Kinder, keine Roboter"

Brandy Young
Foto: Brandy Young"Ich versuche etwas Neues. Die Schüler bekommen in diesem Schuljahr formal keine Hausaufgaben auf", schrieb die Lehrerin Brandy Young von der Godley-Grundschule in der Nähe von Fort Worth im US-Bundesstaat Texas nach den Ferien an die Eltern ihrer zweiten Klasse.
Die Eltern sollten stattdessen mit den Schülern zu Abend essen, mit den Kindern lesen, draußen spielen und die Kinder früh ins Bett bringen, so Brandy Young.
Eine Mutter aus der Klasse postete den Brief Mitte August bei Facebook - und löste damit virtuelle Jubelschreie aus. Der Beitrag wurde innerhalb weniger Tage mehr als 70.000 Mal geteilt. Kommentare aus den USA, Australien oder Japan reichten von einem schlichten "Wow!" über "Ich liebe sie" [die Lehrerin] bis hin zu blankem "Neid!!!".
Die Reaktionen zeigten, wie sehr das Thema viele Eltern bewegt - quer über den Globus: Mütter machen in den Kommentaren ihrem Frust über den "Albtraum" Hausaufgaben Luft. Sie berichten von Kindern, die wegen der Hausaufgaben weinen und sich bis in den Abend damit quälen. Schließlich wurden Medien wie die "Washington Post" und "CBS News" aufmerksam und berichteten über Brandy Youngs Initiative.
Die Lehrerin freut sich darüber, ist aber auch selbstkritisch.
SPIEGEL ONLINE: Wie kam es zu Ihrer Entscheidung, Ihren Schülern im kommenden Schuljahr keine Hausaufgaben aufzugeben?
Young: Hausaufgaben haben ihre Berechtigung, solange Kinder dabei etwas Wichtiges und Sinnvolles lernen und motiviert werden. Das Paket an wöchentlichen Hausaufgaben, das ich meinen Schülern bisher zugemutet habe, erfüllte diese Kriterien nicht. Damit musste Schluss sein. Ich wollte einfach das tun, was für meine Schüler das Beste ist.
SPIEGEL ONLINE: Und Hausaufgaben sind nicht das Beste?
Young: Ich habe in diesem Sommer viel Zeit damit verbracht, Studien über Hausaufgaben zu lesen. Einige sagen, dass ältere Schüler von einer angemessenen Menge an sinnvollen Hausaufgaben profitieren können. Aber die meisten Studien, die ich gelesen habe, belegen, dass Hausaufgaben bei jüngeren Schülern - so wie meinen Zweitklässlern - nichts bringen.
SPIEGEL ONLINE: Einige Fachleute beharren darauf, dass Schüler ohne Hausaufgaben nicht genug lernen.
Young: Ich achte als Lehrerin ständig darauf, dass meine Schüler etwas dazulernen, und ich weiß, was sie können. Warum soll ich ihnen extra Aufgaben aufhalsen, die wenig bringen? Meine Schüler müssen fast den ganzen Tag in der Schule im Unterricht sitzen. Danach sollen sie den Freiraum haben zu entdecken, was sie interessiert und sich damit beschäftigen. Ich unterrichte sieben Jahre alte Kinder, keine Roboter.
SPIEGEL ONLINE: Nach der Schule ist also nur noch Freizeit angesagt?
Young: Meine Schüler wissen: Das bedeutet jetzt nicht, dass sie außerhalb des Klassenzimmers nichts mehr lernen müssen. Sie werden weiterhin Projekte haben, um ihr Wissen zu Hause weiterzuentwickeln. Aber ich gebe ihnen keine Arbeitsblätter mehr mit. Ich hoffe, dass die Kinder die freie Zeit mit ihren Familien verbringen, ihre Persönlichkeit weiterentwickeln und ausgeglichene, individuelle Menschen werden.
SPIEGEL ONLINE: Ihre Entscheidung gegen Hausaufgaben hat sie berühmt gemacht. Gab es auch kritische Stimmen?
Young: An meiner Schule ist die Stimmung zum Glück so, wie man sie braucht, wenn man alte Muster aufbrechen und Neues ausprobieren will. Schulleitung, Kollegen, Eltern - alle unterstützen mich, und auch die überwältigende Mehrheit der öffentlichen Reaktionen ist positiv. Dass das Interesse so groß ist, überrascht mich, es ist aber auch aufregend! Mein Elternbrief hat eine Debatte darüber ausgelöst, was für Kinder das Beste ist, und das ist gut.
(Lesen Sie dazu auch die Titelgeschichte im neuen SPIEGEL.)