Lernen in Südafrika Vom Township in die Privatschule

Kinder in Südafrika: Viele begabte Schüler kehren staatlichen Schulen den Rücken
Foto: DAVID GRAY/ REUTERSDintle Zulu wollte etwas Besseres für ihre Tochter als die abgenutzten Klassenräume, unmotivierten Lehrer und trotzigen Kinder. Das kannte sie aus ihrer eigenen Schulzeit noch zu gut. Sie meldete ihre Tochter Samantha daher an einer angesehenen in Johannesburg an. Dort gab es zwar ein gutes Bildungsangebot, die Familie - Dintle Zulu ist Köchin, ihr Mann Verkäufer - konnte aber das Schulgeld kaum aufbringen. Die Lösung war eine bescheidene private Schule in der Nähe von Zulus Arbeitsplatz. Von diesen Schulen gibt es inzwischen zahlreiche in .
Solche "Privatschulen für Arme" füllen die Lücke zwischen den oft schlechten staatlichen und den für viele unbezahlbaren privaten Schulen. Denn während an den Eliteeinrichtungen ein Schulgeld von umgerechnet rund 740 Euro monatlich keine Seltenheit ist, fielen an Samanthas neuer Schule lediglich knapp 40 Euro im Monat an.
Zwar gibt es an den billigen Privatschulen weder schicke Sportplätze noch mit neuester Technik ausgestattete Klassenzimmer. Aber der Lernerfolg und die von den Eltern geforderte Disziplin im Unterricht stimmen.
An vielen Schulen in Südafrika gebe es schlechten Unterricht, räumte Bildungsministerin Angie Motshekga kürzlich ein. Die Schulen seien oft nicht gut organisiert und es fehle an Führungsstärke und Engagement, das System sei "häufig ineffizient". Viele Eltern handeln daher, statt "auf den Tag zu warten, an dem sich das Bildungssystem verbessert", wie die Wissenschaftlerin Ann Bernstein vom Centre for Development and Enterprise erklärt. In den vergangenen zwei Jahren zählte ihr Team mehr als hundert Privatschulen in armen Vierteln von Johannesburg und ländlichen Gebieten im Osten Südafrikas. Die meisten bestanden schon seit mehr als zehn Jahren.
Unterricht in leeren Fabrikhallen und Büros
Etwa jede vierte dieser Schulen war nicht beim Bildungsministerium eingetragen und bot damit illegal Unterricht an. Für die Kinder bedeutet das: Sie haben keine Garantie, dass sie entsprechend dem Standard staatlicher Schulen unterrichtet werden oder dass ihr Abschluss anerkannt wird. Als Klassenräume dienen mitunter verlassene Fabrikhallen oder leere Bürogebäude.
Häufig werden Lehrer auch von Eltern ermutigt, selbst Schulen zu eröffnen. Samanthas Schule Progressive Primary beispielsweise wurde im Jahr 1991 eröffnet, als eine christliche Schule in der Innenstadt von Johannesburg schließen musste, und Eltern mehrere Lehrer drängten, doch selbst eine neue zu eröffnen.
Das Schulgeld liegt im Schnitt bei etwa 700 Rand pro Monat (72 Euro). Das ist deutlich weniger, als teure Privatschulen fordern, liegt aber zugleich wesentlich über dem Betrag von 100 Rand, die staatliche Schulen in der Nachbarschaft kosten. Das Team von Bernstein kam zu dem Schluss, dass das Angebot der privaten Schulen nicht schlechter ist als das der staatlichen - und in einigen Gebieten sogar wesentlich besser.
Kleine Klassen und hohe Anforderungen an Lehrer und Schüler
Wenn die Noten der Kinder oder deren Disziplin nachlassen, würden sie von ihren Eltern kurzerhand ab - und an einer anderen Schule angemeldet, sagt die Wissenschaftlerin Bernstein. Die Folge sind daher kleine Klassen und hohe Anforderungen an die Lehrer. Dass viele von ihnen gar nicht für den Unterricht an staatlichen Schulen qualifiziert seien, tue ihrem Engagement keinen Abbruch, sagt sie.
Sonja Kruger von der Progressive Primary verdient nach 15 Jahren Dienst 7.000 Rand im Monat, das ist etwa die Hälfte des Durchschnittsgehalts eines Lehrers in Johannesburg. Angefangen hat Kruger als Sekretärin, seit sechs Jahren erteilt sie inzwischen Unterricht. "Ich würde sagen, dass jeder einzelne Lehrer hier mit Leidenschaft dabei ist", sagt sie. "Und das muss er auch, denn niemand macht es des Geldes wegen."
Die Progressive Primary ist in der früheren Geschäftsstelle einer Kaffeehauskette untergebracht, zwischen einem Copyshop und einem Parkhaus. In der Nähe gebe es eine Reihe anderer Schulen, sagt Kruger und scheint mit der Konkurrenz zufrieden. Eine große Auswahl komme den Kindern zugute, sagt sie. "Ich sehe nicht ein, warum ihre Bildung nicht so gut wie die jedes anderen sein sollte, nur weil sie kein Geld haben."
Kritiker weisen den Staat auf seine Verantwortung hin
Samantha ist mit ihrem Lehrer überaus zufrieden: "Er ist immer da und ist noch nie zu spät gekommen", sagt sie. Fehlende Lehrer sind an vielen staatlichen Schulen ein Problem. Samanthas Mutter hat dafür Verständnis, denn das Gehalt ist gering und die Motivation oft noch niedriger. Viele Schwarze hatten während der Apartheid außerdem selbst nur die für sie vorgesehene schlechtere Schulausbildung und haben nun Schwierigkeiten, den höheren Standards gerecht zu werden.
Ein weiteres Problem sind schlecht ausgestattete Klassenzimmer und aufbegehrende Kinder. In den siebziger und achtziger Jahren seien junge Demonstranten gefeiert worden, sagt Dintle Zulu. Manche Schüler hätten daher heute das Gefühl, Protest sei sozusagen ihr Geburtsrecht.
Kritiker werfen den billigen Privatschulen vor, die Schere zwischen einigermaßen Wohlhabenden und Armen noch weiter auseinanderzutreiben. Die engagiertesten Eltern und die begabtesten Kinder kehrten den staatlichen Schulen bereits den Rücken, heißt es. Außerdem bestehe die Gefahr, dass die Regierung die Verantwortung für die Bildung der Kinder an Privatschulen übertrage, ob Elite oder nicht. "Staaten müssen verstehen, dass sie die Verantwortung dafür haben, qualitativ hochwertige Bildung für jedes Kind zu ermöglichen", sagt Wongani Grace Nkhoma von der Open Society Initiative for Southern Africa.
Samantha wechselt demnächst an eine Oberschule mit Schwerpunkt Wissenschaft und Technik - eine staatliche Schule. Den Herausforderungen fühle sie sich nach fünf Jahren an der Progressive Primary gewachsen, sagt sie. "Mir ist klar, wie viel Glück ich habe."