
Bussi, Bussi: Mit Zunge, ohne oder unendlich lang?
Lexikon der Jugendsünden Leck oder saug an der fremden Zunge
Küssen als Vorstufe von Petting und Geschlechtsverkehr wurde enorme Bedeutung zugemessen. Wer mit einer Person anderen Geschlechts so intim wurde, dass Küssen in den Bereich des Möglichen rückte, wurde von seinen Vertrauten erst mal mit der Grundsatzfrage "Mit Zunge?" bestürmt, um das Geschehen einordnen zu können. Denn wurde mit Zunge geküsst, verkomplizierten sich die Dinge erheblich.
Die "Bravo"-Anleitung für einen Zungenkuss las und liest sich bis heute ähnlich verwirrend wie die schlecht aus dem Japanischen übersetzte Gebrauchsanweisung für einen Kaffee-Vollautomaten:
Tauch deine Zunge in die Mundhöhle des anderen ein und erforsch mit ihrer Spitze die Zahnreihen und den sensiblen Gaumen.
- Leck oder saug zwischendurch an der fremden Zunge und / oder knabber ganz sanft daran. Achte drauf, ob's ihm / ihr gefällt!
- Umschließ mit deinen Lippen die deines Kuss-Partners. Du kannst daran knabbern und lutschen - aber beiß dich nicht fest!
- Stupps die fremde Zungenspitze ein paarmal hintereinander schnell und zart an.
- Küss mal stürmisch und heftig, mal sanft und zärtlich. Du wirst schnell spüren, was dir am besten gefällt.
- Spiel mit und reagier auf die Zungenbewegungen und Knabbereien deines Partners ohne dabei zu übertreiben - erst dann macht's richtig Spaß.

Peinlichkeiten von früher: Das Lexikon der Jugendsünden
Ein derartiges Pamphlet führte natürlich dazu, dass man völlig überfordert die eigene Zunge wie einen schweren, nassen Lappen im Mund des anderen hängen ließ, um zumindest nichts falsch zu machen. Und kein Wunder, dass man ab und zu mit Würgereflexen zu kämpfen hatte, wenn der Kusspartner wie angewiesen versuchte, den "sensiblen Gaumen" zu erforschen.
Waren die Anfangshürden erst mal überwunden, gab es allerdings kein Halten mehr. Wer mit jemandem ging, der wurde die wunde Stelle über der Oberlippe trotz massiven Labello-Gebrauchs nicht mehr los. Knutschflecken fügte man sich mit Absicht gegenseitig im sichtbaren Halsbereich zu und trug sie stolz wie ein Verbindungsmitglied seinen Schmiss. Wer heute aus erwachsener Perspektive solch geschundene Teenager-Hälse sieht, der glaubt im ersten Moment an schwere Misshandlungen, bis er den Ursprung der blauroten Hämatome realisiert.
Das SPIEGEL-ONLINE-Taschenbuch "Wir waren jung und brauchten das Gel" ist beim Fischer Verlag erschienen.