Lexikon der Jugendsünden Wir sammelten Schnuller und liebten Diddl-Mäuse

War kein Glasschnuller zur Hand tat es auch ein Plastikschnuller, Hauptsache niedlich
Foto: Fredrik von Erichsen/ picture-alliance/ dpaEs gab diese Mädchen, die auf eine kokette, lolitahafte Art und Weise niedlich und kindlich gefunden werden wollten. So war es eine Zeitlang modern, Babygläschen der Geschmacksrichtung Birne-Pfirsich als Schulverpflegung aus dem Ranzen zu ziehen, die völlig debile und aufdringliche Diddl-Maus süß zu finden oder sich Tigerenten an den Rucksack zu hängen.
Dieser mädchenhafte Hang zum Infantilismus fand seinen traurigen Höhepunkt in Glasschnullern verschiedener Größe, die plötzlich - manchmal einzeln, manchmal aber auch neben fünfzig anderen Schnullern - an Ketten um jeden Mädchenhals hingen und dort süß aussehen sollten. Diese Schnuller waren aus gefärbtem Glas, es gab sie in allen erdenklichen Farben, und sie wurden bei jenen Händlern in den Innenstädten gekauft, von deren Bauchläden man schon ein Sortiment an "Peace"-Ohrringen sowie einen farbvariierenden "Stimmungsring" erstanden hatte und später sein "Pali-Tuch" kaufen würde.

Peinlichkeiten von früher: Das Lexikon der Jugendsünden
Irgendwann machte die Schreckensnachricht die Runde, die Glasschnuller enthielten giftige, ja tödliche Inhaltsstoffe, und dürften keinesfalls mehr getragen, geschweige denn in den Mund genommen werden. Eltern verboten daher die Schnuller, welche die Ankunft ihres Kindes durch anhaltendes, nervtötendes Klimpern bereits lange vor dem tatsächlichen Erscheinen ankündigten. Vielleicht haben sich Eltern das Gerücht über die giftigen Inhaltsstoffe ausgedacht, um die Schnuller loszuwerden. Es wäre ihnen nicht übelzunehmen.
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