Matussek vs. Friedman "Jetzt will ich meinen Anwalt sprechen!"
Frage: Herr Matussek, Herr Friedman, stellen Sie sich vor, Sie wären Intendant der Deutschen Oper Berlin. Hätten Sie den "Idomeneo" abgesetzt?
Michel Friedman: Nein.
Matthias Matussek: Ja.
Frage: Warum, Herr Matussek?
Matussek: Weil es eindeutige Hinweise gab, dass es zu einer ernsten Situation hätte kommen können. Die tatsächliche Intendantin ...
Frage: ... die Dame heißt Kirsten Harms ...
Matussek: ... hat mir das mal sehr überzeugend dargelegt. Man bedenke die Verantwortung, die man in einer solchen Position trägt. Außerdem: Wenn ich höre, dass in Berlin im Theater Mohammed geköpft wird, mag ich mir gar nicht die Westbank vorstellen. Deshalb rate ich zur Vorsicht.
Friedman: Lieber Herr Matussek, erstens: Wenn wir jedes Mal, wenn etwas aufgeführt, gesagt, geschrieben und auf Grund dessen Gewalt angedroht wird entschuldigen Sie den Ausdruck , den Schwanz in die Hose zurückstecken, dann ist das ein vorweggenommener Angstzustand. Dann brauchen wir gar keine Bomben mehr, denn wir haben schon Angst vor unserer eigenen Angst. Zweitens: Religion wird per se seit der Aufklärung ins Absurde geführt. Was will man in der Religionskritik anders machen, als sie mit ins Absurde zu führen? Das heißt: Religion ist nicht tabuisiert, genauso wenig wie sie ein gedanken- und kritikfreier Raum ist. Man muss damit kritisch umgehen können. Deshalb sage ich: Kritik erst recht dann, wenn eine Drohung kommt.
Matussek: Es ging doch gerade um den konkreten Fall ...
Friedman: ... stellen Sie sich vor, ich würde die Klappe halten, weil die Nazis mich bedrohen!
Matussek: Aber, aber. Es geht doch nicht um die Nazis. Es geht um Frau Harms und den "Idomeneo". Ich hätte ihn auch deshalb sofort abgesetzt, weil die abgeschlagenen Köpfe ein blödsinniger Regieeinfall sind. (wird laut) "Idomeneo" endet mit einer Versöhnungsszene! Was soll der Käse?
Friedman: Wissen Sie was: In Zukunft werden nicht mehr die Muslime mit Gewalt drohen, sondern Matussek! (lacht)
Matussek: Sehr richtig: Kulturkommissar Matussek wird das letzte Wort sprechen! (lacht ebenfalls)
Frage: Im Ernst: Lassen wir uns nicht durch Fundamentalisten unsere freiheitlichen Werte kaputtmachen?
Matussek: Das sagt ja Friedman: Wir dürfen nicht zurückweichen. Ich will Ihnen jetzt was sehr Ernstes sagen: Religion ist das Innigste, was der Mensch hat. Mit ihr entscheidet der Mensch sein Verhältnis zur Welt, zum Leben. Religion ist ein sehr, sehr sensibler Raum der zu schützen ist. Jeder sollte es sich zweimal überlegen, ob er das Sensitivste des Menschen beleidigt.
Friedman: Schön, aber: nur eines gläubigen Menschen. Denn, wie Sie das sagen, könnte man meinen, wir lebten noch im Mittelalter, wo alle bedingungs- und gedankenlos lebten. Das ist aber nicht mehr so. Es gibt für gläubige Menschen tatsächlich einen Respektraum. Der darf aber nicht dazu führen, dass Menschen, die nicht glauben, nicht mehr kritisch mit Religion umgehen können.
Frage: Noch mal zurück zum spezifischen Fall: Ist es, Herr Friedman, nicht das geringere Übel, eine Karikatur nicht abzudrucken auch wenn ich dabei vielleicht unsere freiheitlichen Werte untergrabe , wenn auf der anderen Seite das Risiko steht, dass Menschen ihr Leben verlieren?
Friedman: Man muss es sehr genau und verantwortungsbewusst abwägen. Aber: Das sind ja nun Präzedenzfälle, die nicht nur religiös bedingt sind. Wenn jemand etwas ausdrücken will, es aber nicht kann oder darf, weil es eine Gewaltreaktion der Gruppe gibt, die es betrifft, dann können wir aufhören, zu reden, was wir denken. Zwar muss es für bestimmte Bereiche auch Konsequenzen geben dürfen, aber grundsätzlich gilt: Wenn jemand etwas sagen will, muss er es sagen dürfen.
Matussek: Wie ist das, wenn ich sagen würde: Auschwitz hat es nicht gegeben.
Friedman: Dann müssen Sie das sagen dürfen, wissen aber um die gesetzlichen Konsequenzen, die das für Sie haben wird.
Matussek: Sie würden also das Strafgesetzbuch bemühen, um mir die Klappe zu verbieten ...
Friedman: ... nein, nein ...
Matussek: (wird laut) Aber sicher! Ich würde dafür in den Knast gehen. Also: Redefreiheit hat ihre Grenzen. Ich finde, es gibt Dinge, die darf man nicht sagen.
Friedman: Und ich finde, bevor jemand etwas im kleinen Kreis verbreitet, soll er es lieber in der Öffentlichkeit sagen. Die Gesellschaft muss es hören können!
Frage: Aber es gibt eben auch die Forderung nach Respekt. Was haben Sie denn gegen Respekt, Herr Friedman?
Friedman: Gar nichts, aber Respekt darf nicht zu Verdummung führen.
Matussek über Madonna: "Bei dieser übergeschnappten Hollywood-Schickse könnte ich abkotzen!"
Matussek: Sie sagen, Meinungsfreiheit sei grenzenlos.
Friedman: Nein, das habe ich nicht gesagt. Meinungsfreiheit ist ein Wert an sich, der in Konflikt mit anderen Werten steht. Jeder muss für sich selbst entscheiden können, welchen Wert er persönlich höher stellt soweit er auch zur gesellschaftlichen Konfrontation bereit ist. Übrigens: Vor hundert oder 200 Jahren hätten Dinge, für die Sie heute auf die Barrikaden gehen würden, nie gesagt werden dürfen. So verändert sich das Tabu in der Gesellschaft. Wer also enttabuisiert, setzt Gedankenprozesse in Gang. Auch wenn diese weh tun, das muss möglich sein.
Matussek: Ach, das ist mir alles zu kompliziert ...
Friedman: ... tja, das habe ich vom SPIEGEL gelernt, kompliziert zu argumentieren! (lacht)
Matussek: ... auf der einen Seite sagen Sie: Alles muss gemacht werden dürfen, auf der anderen reden Sie von gesetzlichen Konsequenzen. Das ist der Widerspruch, den Sie nie auflösen werden können. Ich darf nämlich zum Beispiel nicht sagen: Man soll die Juden ermorden.
Friedman: Doch! Sie dürfen es sagen. Sie müssen nur die Konsequenzen daraus ziehen.
Matussek: Moment, also erstens werde ich es nicht sagen, und zweitens: Wenn die Sanktion des Strafgesetzbuchs existiert, wenn ich dafür bestraft werden kann, ist doch meine Freiheit nichts wert.
Friedman: Für mich geht es nicht nur ums Gesetz. Sie können für etwas auf vielerlei Art und Weise bestraft werden, und ich finde, das ist die Konfrontation, die wir aushalten müssen. Es geht darum, dass Meinungen geäußert werden dürfen.
Frage: Noch ein anderes Beispiel: die Rede des Papstes an der Regensburger Universität.
Matussek: Er hat provoziert ...
Friedman: ... und sich danach entschuldigt. Er hat gekniffen ...
Matussek: ... und die Hütte hat gebrannt. Der Papst hat sich eben nicht entschuldigt. Er hat die Wogen geglättet, weil er gespürt hat: Da ist etwas aus den Fugen geraten, was gar nicht beabsichtigt war.
Friedman: Wenn man der Meinung ist, dass der Islam Gewaltelemente enthält, dass er bedrohlich ist für Frieden und Freiheit, (wird laut) dann muss man das sagen dürfen, verdammt noch mal. Und: Wenn es dann sogar zu Reaktionen kommt, die die Aussage ja noch bestätigen, dann muss man diesen Konflikt aushalten.
Frage: Herr Matussek, können Sie erklären, wo die Grenze liegt zwischen Angriff oder Beleidigung und bloßer Kritik?
Matussek: Wenn die Würde des oder der Betroffenen tatsächlich gekränkt, verletzt wird ...
Frage: ... was aber doch beim Papst nicht der Fall war.
Matussek: Nein, der Papst hat einen akademischen Diskurs geführt, nach den Regeln der Logik. Er sagt ja: Auch Vernunft ist ein Gottesgeschenk. Wir müssen unsere Vernunft gebrauchen, auch die Religion darf die Vernunft nicht außer Acht lassen. Und das ist ja der Unterschied zwischen dem Katholizismus und dem Islam: Wir haben das seit dem Mittelalter gelernt.
Frage: Nehmen wir einmal ein christliches Symbol: Die Sängerin Madonna hat sich auf der Bühne ans Kreuz nageln und sich die Dornenkrone aufsetzen lassen.
Matussek: Finde ich empörend. Zwar würde ich es nicht verbieten, aber ganz ehrlich: Bei so etwas könnte ich abkotzen. Das ist eine blasphemische Verrenkung einer übergeschnappten Hollywood-Schickse, die nicht mehr weiß, was sie tut und einem verblödeten Jungvolk mit solchen religiösen Versatzstücken eine Show bietet.
Friedman: Aha. Man merkt, dass Sie nicht mehr jung sind (lacht) Als Sie jung waren, haben Sie doch ebenso kotzblöde Geschichten gedreht, um Ihre Eltern zu provozieren!
Matussek: Gut. Jetzt gestehe ich etwas: Auf meinem ersten LSD-Trip habe ich lauter gehängte Bischöfe gezeichnet, mit Mitra am Galgen ...
Friedman: ... na, sehen Sie. Um das klarzustellen: Es gibt viele Dinge, bei denen ich abkotze. Aber ich bin bereit zu akzeptieren: Mein Maßstab ist nur einer unter Millionen, er ist subjektiv, beeinflusst durch Erziehung, Religion und vieles, wovon ich gar nicht weiß. Deshalb spiele ich lieber den Anwalt und sage: Im Zweifel mehr Großzügigkeit. Wenn man nämlich beginnt, Dinge zu verbieten, entwickelt man am Ende eine Zensurpolizei.
Matussek: Auf der anderen Seite sind wir auf dem Weg in die Blödsinngesellschaft!
Friedman: Ja, da gebe ich Ihnen Recht.
Frage: Und hier kommt der Gesetzgeber ins Spiel: Warum nicht den ganzen Blödsinn, der mit Religion angestellt wird, mithilfe des Blasphemieparagraphen regeln?
Matussek: Nein. Gesetze gegen Verblödung funktionieren nicht. Im Gegenteil: Der Versuch mit den Paragraphen wird schnell zum Windmühlenkampf. Was aber in diesem Blasphemieparagraphen steht und ich in Ordnung finde, ist die Aufforderung zum Respekt vor Religion.
Frage: Was machen wir denn dann gegen die Verblödung?
Matussek: Ich glaube tatsächlich, dass die Respektlosigkeit gegenüber Religion ein Ausdruck der Verblödung ist.
Friedman: Richtig. Die meisten Menschen, die über Religion reden, haben noch nie eine studiert. Dann ist die Gefahr, dass wir eine andere Religion als feindlich bezeichnen, aber gar nicht um unsere eigene Stellung wissen. Wenn ich Christen, die für die christliche Kultur, das christlich-jüdische Abendland kämpfen, frage, ob sie denn jemals in die Bibel geschaut hätten, sehe ich ein leeres Auge und einen gähnenden Mund.
Matussek: Absolut, absolut.
Friedman: Und deshalb sind die meisten, die sich in einem Anti-Religions-Diskurs befinden, nicht nur Ungläubige das wäre ihr gutes Recht , nein, sie sind Unwissende. Und ein Unwissender kann niemals von sich behaupten, er sei gläubig oder ungläubig, denn er weiß gar nicht, wovon er spricht.
Matussek: Wir erleben ja ein Rückpendeln in ein neues religiöses Zeitalter, sei es der islamische Fundamentalismus oder eine Renaissance des Katholizismus.
Frage: Wirklich, Herr Friedman?
Friedman: Die katholische Kirche hat sich gerade dafür gelobt, dass es weltweit mehr Katholiken denn je gibt.
Frage: Lassen Sie uns von Europa sprechen.
Friedman: Nein, Moment: Die Religionsorganisationen waren ja die ersten überhaupt, die global operierten. Da wussten andere noch gar nicht, dass es das Wort global gibt. Natürlich gibt es Westeuropa, das sich regional wiederum untergliedern lässt - aber für die Kirchen ist letztlich entscheidend, wie viele Anhänger sie auf der ganzen Welt haben. Deshalb ist die These richtig, nach der der Bedarf an Schutz von Religion am Steigen ist, nicht am Fallen.
Frage: Trotzdem: Wie tief ist die christliche Religion noch in Deutschland verwurzelt?
Friedman: Täglich dramatisch brutal.
Matussek: Wieso denn brutal?
Friedman: Weil sie nicht gleichberechtigt ist mit anderen Religionen.
Matussek: Ach komm ...
Friedman: Nein - Jom Kippur ist kein gesetzlicher Feiertag, aber Weihnachten ...
Frage: ... Jom Kippur ist das wichtigste jüdische Fest ...
Friedman: ... Sie nehmen es kulturell als selbstverständlich, dass das Land christlich determiniert ist. Wir sind aber auch ein Land, in dem Staat und Religion getrennt sind. Demnach dürfte es, wie zum Beispiel in Amerika, keine religiös begründeten gesetzlichen Feiertage mehr geben oder wenn, dann für alle gleichermaßen.
Matussek: Was ist dann mit Weihnachten?
Friedman: Ich habe nichts gegen Weihnachten, aber was ist mit meinem Jom Kippur?
Matussek: Friedman will uns also Weihnachten wegnehmen!
Friedman: Nein, ich gönne Ihnen Ihr Weihnachten. Warum gönnen Sie mir nicht mein Jom Kippur?
Matussek: Jederzeit. Ich bin für arbeitsfreie Weihnachten ...
Friedman: ... und für arbeitsfreie Jom Kippur ...
Matussek: ... und arbeitsfreie Ostern! Arbeitsfreier Geburtstag des Buddha! Soviel arbeitsfrei wie möglich!
Friedman: Aha. Da sieht man wieder den dekadenten Matussek. (Gelächter) Wir halten fest: Matussek möchte nicht mehr arbeiten und die Religion als Vorwand dafür nehmen, dass niemand mehr arbeiten muss. Aber ernsthaft gesprochen: In einem modernen Staat darf es keine Über- und Unterordnungsstrukturen geben.
Friedmann: "Ich bin ein israelischer Panzer!"
Matussek: Darf ich eine Minderheitenmeinung äußern?
Frage: Jede Meinung.
Matussek: Friedman, Sie sind wie ein deutscher Panzer. Sie überrollen mich.
Friedman: "Matussek von einem deutschen Panzer überrollt" - das ist doch mal eine Schlagzeile! (Matussek lacht) Also wenn, dann bin ich schon ein israelischer Panzer!
Matussek: Im Ernst: Wir leben natürlich in einer christlichen Wertegemeinschaft, in einem christlichen Staat, was ja so grundgesetzlich festgelegt ist ...
Friedman: ... Beckstein lässt grüßen. Matussek und Günther Beckstein!
Matussek: Ich finde es völlig richtig, Gedenk- und Feiertage auch gesetzlich legitimiert abzuhalten.
Friedman: Für alle oder nur für Christen?
Matussek: Egal. Wer mitmachen will, kann mitmachen.
Frage: Verwurzelung des Christentums in Deutschland: Nur noch zehn Prozent der Christen besuchen jede Woche den Gottesdienst. Ist das eine christliche Gesellschaft?
Matussek: Ja, sie ist es trotzdem. Es gibt eine allgemeine kulturelle Überformung. Die Kinder in Deutschland können mit einer Kirche immer noch mehr anfangen als mit einer Moschee.
Friedman: Das ist ein gesellschaftlicher Lernprozess, der in den nächsten Jahren vor uns liegt: Neben der Kirche kann auch eine Synagoge oder eine Moschee stehen. Und vor allem letztere nicht nur im Gewerbegebiet! Wir müssen lernen, dass nicht eine Ideologie die Allgemeinwahrheit bietet. Spannend ist erst die Vielfalt. Und: durch unsere offene Gesellschaft kann jeder für sich persönlich seine Symbiose an Werten, an Maßstäben für sein Leben definieren.
Matussek: Da möchte ich aber Ihren Rabbi mal dazu hören ...
Friedman: Im Gegensatz zu den Christen haben wir keinen Messias. Das heißt: Jeder Rabbiner ist ein Anarch, denn er interpretiert die Thora nach seinem Glauben.
Frage: Wir wollen jetzt nicht über die bessere oder schlechtere Religion streiten.
Matussek: Ja, eine Frage: Warum ist es eigentlich so, dass von den zehn Geboten immer nur neun befolgt werden können?
Friedman: Also dass Sie glauben, dass sie neun schaffen, zeigt ja schon den Wahnsinn von Matussek! (Gelächter) Apropos: Welches ist eigentlich das zehnte Gebot, das Sie nicht schaffen?
Matussek: Das einzige: Begehre nicht deines Nächsten Weib. Über das Begehren hat man keine Kontrolle!
Friedman: Aha ...
Frage: Wie viele Gebote schaffen Sie denn, Herr Friedman?
Friedman: Ich glaube, ich habe schon bei sehr vielen Geboten gesündigt.
Matussek: Vielleicht an dieser Stelle ein Witz, die sind ja sehr wichtig bei Religion. Also: Der gottesfürchtige Herschel kommt in den Himmel und äußert einen großen Wunsch: einmal zum Dinner neben Gott sitzen. Irgendwann schafft es der fürs Protokoll zuständige Engel, und Herschel sitzt neben seinem Schöpfer. Er fragt ihn: Lieber Gott, sag mal, es gibt ja das Christentum, den Islam, den mosaischen Glauben, welcher ist dir denn am liebsten. Da sagt Gott: Ach weißt du, Herschel, eigentlich habe ich mich nie so für Religion interessiert.
Friedman: Dieser Witz zeigt: Man kann in Witzen die Doppelbödigkeit, die Heuchelei von etwas darstellen. Und in punkto Religion stellen Sie eine Art Vermenschlichung von unmenschlichen Maßstäben dar: Man kann nicht immer und überall so handeln, wie es die Bibel von einem verlangt. Übrigens auch nicht so brutal wie die Bibel.
Matussek: Aber die Juden haben es nur mit dem alttestamentlichen Gott zu tun, der ja zum Beispiel auch in Jericho den ersten Holocaust zu verantworten hat.
Friedman: Na, na, na. (wird laut) Matussek sagt, die Juden hätten den ersten Holocaust begangen! Obwohl er während dieses gesamten Gesprächs ständig wiederholt: Es gibt Respektflächen vor der Religion, die man nicht überschreiten dürfe!
Frage: Fühlen Sie sich verletzt, Herr Friedman?
Friedman: Nein, ich weiß ja, mit wem ich es zu tun habe ... (lacht) Aber noch mal, um das ohne Vorwurf festzuhalten: Da sagen Sie als Christ, die Juden hätten den ersten Holocaust begangen. Wenn wir diese Geschichte in den Islam konvertieren und ich Moslem wäre, müsste nun gegen Sie die Fatwa ...
Frage: ... die muslimische Bezeichnung für: jemanden für vogelfrei erklären ...
Friedman: ... ausgerufen werden. Ich stelle fest, dass das jemand sagt, der weiß, dass das Schlagwort Holocaust in Verbindung mit dem Judentum zu einer nicht vorstellbaren Emotionalisierung führen könnte und jemand, der die ganze Zeit sagt: Respekt, Respekt, Respekt.
Matussek: Moment: Holocaust ist der englische Begriff für Gesamtvernichtung...
Friedman: ... wir reden aber nicht über die Langenscheidt-Übersetzung. Holocaust ruft im deutschen Sprachraum eine Assoziation mit der Vernichtung der Juden hervor. Wir Juristen sprechen vom Empfängerhorizont: Der Absender sagt etwas, von dem er nicht einsieht, warum es jemand anderen beleidigen könnte. Der Empfänger aber fühlt sich sehr wohl verletzt. Ich bin dafür, dass beide ihre Ansichten äußern dürfen. Denn wenn es immer nur nach dem Empfänger geht, werden wir bald ein furchtbar schweigsames Land.
Matussek: Jetzt will ich meinen Anwalt sprechen!
Friedman: Aber ich bin doch da, Herr Matussek! (Gelächter)
Frage: Noch mal ein Beispiel: Die MTV-Serie "Popetown". Ist die, Herr Matussek, nicht so lächerlich, dass man sie am besten einfach vergisst?
Friedman: Dann vergessen Sie sie doch.
Matussek: Ich habe sie nur einmal gesehen mit meinem Sohn, der sie zum Schreien komisch findet. Der ist übrigens Messdiener. Ich finde die Serie relativ dämlich, habe aber grundsätzlich kein Problem mit ihr. Auch weil sie ja mit der Person des realen Papstes nichts zu tun hat. Ein Auftritt Ratzingers ist doch so viel stärker, als "Popetown" Schaden anrichten kann. Ich freue mich über diesen Papst.
Friedman: Ich fand den letzten Papst stärker.
Matussek: Tatsächlich? Sie als Mann der Aufklärung bevorzugen den Mystiker?
Friedman: Er hat sehr viel für die Toleranz zwischen den drei monotheistischen Religionen getan.
Frage: Herr Friedman, was, wenn nicht die Religion, ist uns denn am Ende überhaupt noch schützenswert?
Friedman: Alles. Für alles, was Menschen in sich empfinden, haben sie den Anspruch, ernstgenommen zu werden ...
Frage: ... aber wir reden von Schutz!
Friedman: Wir leben eben im Konflikt mit anderen Menschen. Die Herausforderung besteht darin, so viel Freiheit wie möglich anzusetzen. Wir geben uns in Europa, in der Welt, erst seit wenigen Jahrzehnten dieses Maß an Freiheit. Die Religionen dagegen, auch meine, haben seit Jahrtausenden eine Tradition, in der die Freiheit sehr begrenzt ist.
Matussek: Aha, da höre ich heraus: Sie sind durch Ihre Religion geschädigt und verteidigen deshalb so vehement die Freiheit der Moderne.
Friedman: Wenn ich durch eine Religion geschädigt bin, dann wohl durch die Ihre. Die Kreuzzüge ...
Matussek: ... ach, hören Sie doch bitte mit den Kreuzzügen auf. Sie legen doch grundsätzlich jeden religiösen Menschen auf die Couch.
Friedman: Überhaupt nicht. Ich weiß, dass viele Menschen ihre Erlösung in der Religion suchen, und bin da völlig ihrer Meinung.
Matussek: Na also. Religion kann nämlich in Menschen eine unglaubliche Hoffnung auslösen. Ich habe das während meiner Zeit in Rio de Janeiro erlebt, wie die unsere katholische Gemeinde dort in einer Favela mit ihren Gottesdiensten den Menschen mitten in ihrem traurigen und tristen Alltag Hoffnung gemacht hat. Die Leute leben nicht nur von Friedman und Matussek.
Friedman: Trotzdem möchte ich festhalten, welch abscheuliche Verbrechen in der Geschichte von Religionsorganisationen begangen wurden. Die Kreuzzüge sind ja nur ein Beispiel.
Matussek: Die Kreuzzüge bekommt man ja immer um die Ohren gehauen ...
Friedman: ... na ja, das ist eben Ihr Schicksal. Genauso wie jeder Deutsche mit dem Nationalsozialismus leben und umgehen können muss.
Frage: Zum Schluss ...
Friedman: ... wie, schon vorbei? (lacht)
Matussek: ... das kann doch nicht sein!
Frage: Doch, leider. Zum Schluss ein Tipp: Wann brennen das nächste Mal die Barrikaden, wann gibt es die nächsten Karikaturen, die nächste Rede, die nächste Oper?
Friedman: Hoffentlich nie.
Matussek: Ich glaube, dass das ideologische Zeitalter gerade durch das Religiöse abgelöst wird. Und Religion ist eben nun mal ein sehr sensibler Bereich. Ich befürchte, es wird noch sehr viel Unruhe geben.
Friedman: Auch ich vermute, dass das 21. Jahrhundert wieder ein Jahrhundert der Religionen wird natürlich je nach Erdteil in unterschiedlicher Intensität. Ich sehe auch, dass in Bayern eine Partei sagt: Moscheen dürfen nicht höher sein als Kirchen oder dürfen gar nicht erst im Stadtbild hervorstechen. Das heißt, Religion wird erneut für politisches Kalkül missbraucht. Ich befürchte, dass aus solchen Dingen heraus Konflikte entstehen, Kriege entstehen, angefacht ebenso von der völligen Irrationalität der Religionen.
Frage: Vielen Dank Ihnen beiden.
Dieser Artikel erschien zuerst in der Schülerzeitung "Rückenwind" des Adalbert-Stifter-Gymnasiums Passau.