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Medienführerschein für Grundschüler: Bernd, der dumme Blogger

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Medienführerschein für Grundschüler Bernd, der dumme Blogger

Das Bayerische Kultusministerium möchte Kinder fit für den Umgang mit Medien machen. Ein "Führerschein" soll dabei helfen. Dessen Botschaft wirkt veraltet und wird ausgerechnet vom Verband der Zeitungsverleger herausgegeben: Zeitungen haben recht, das Internet nicht. Blogger sind empört.

Wer als Grundschüler in Bayern von Löwe Leon einen Medienführerschein für den richtigen Umgang mit Nachrichten bekommen möchte, der sollte lieber Zeitung lesen. Denn Leon liest gerne Zeitung. Das Internet hingegen mag der Löwe nicht so gern. Wenn der bayerische Comic-Löwe aus dem Unterrichtsmaterial "Schau genau hin!" den Kindern erklärt, wie Geschichten in die Zeitung und in das Internet gelangen, dann ist sein Fazit klar: Im Internet steht Quatsch.

Das verärgert nun die Leute, die sich schon länger für Qualität im Web einsetzen: "Unter dem Vorwand einer guten Sache, nämlich Kinder dafür zu sensibilisieren, dass nicht jeder Information zu trauen ist und dass Quellen unterschiedlich vertrauenswürdig sind, erzählt der bayerische 'Medienführerschein' ihnen das Märchen von der Überlegenheit gedruckter Nachricht", schreibt etwa der Journalist Stefan Niggemeier in seinem Blog.

Grundschule

Dabei will das bayerische Kultusministerium mit einer Urkunde zum Medienverständnis in der eigentlich die kritische Auseinandersetzung mit Zeitungen und dem Internet fördern. Seit November 2010 wird das Begleitmaterial zum Medienführerschein flächendeckend an den Schulen zur Verfügung gestellt.

Einmal sind es drei, einmal vier Schritte

In einem Comic soll anhand eines Handtaschenraubs den Dritt- und Viertklässlern erklärt werden, wie ein typischer Nachrichtenweg verläuft. Und das geht so: Während die Zeitungsmeldung erst nach Gesprächen mit einem Eisverkäufer und dem Telefonat mit der Polizei ("Ist es richtig, dass...") ins Blatt kommt, setzt sich der Blogger Bernd einfach an seinen Computer "und schreibt, was ihm zum Überfall so einfällt".

Im Begleittext heißt es dazu: "Die Kinder sortieren die einzelnen Schritte der vorgeschlagenen Nachrichtenwege. Danach vergleichen sie: Einmal sind es drei, einmal vier Schritte. Welcher Schritt fehlt bei dem Nachrichtenweg ins Internet im Vergleich zum Weg in die Zeitung? Antwort: Es ist die Überprüfung der Information."

Der Comic rät dazu, Informationen aus dem Internet nicht zu trauen. Laut Führerscheinprüfung ist dies dann ein fundiertes Bild der Medienwelt. Das ärgert die Blogger-Szene: "Mit einem ungleichen Vergleich wird den Kindern vorgegaukelt, auf die Zeitung könne man sich immer verlassen (...). Dass Zeitungen häufig Informationen verschweigen, die Sorgfalt oft ohne rechtliche Konsequenzen verletzt werden kann, das wird auch den Schülern nicht gesagt", schreibt der Blogger Ulrich Fries auf seiner Web-Site.

Hier der schlaue Reporter, dort der Blogger Bernd

Die Diskussion über die Verlässlichkeit von Internet-Nachrichten ist nicht neu. Häufige Kritik ist der leichtfertige und ungeprüfte Umgang mit Informationen. Dabei bezieht sich die Kritik der Blogger nicht auf die Unterscheidung zwischen professionellem Journalismus und privaten Internet-Tagebucheinträgen, sondern auf die konsequente Aufteilung von Print und Online in gut und böse.

"Natürlich können auch Journalisten etwas falsch verstehen", heißt es im Begleitmaterial für Lehrer. "Sollte dies vorkommen, werden dort in der Regel aber Falschmeldungen korrigiert." Diverse Medienblogs würden allerdings zeigen, dass das nicht immer so laufen muss, halten Blogger dagegen.

Die pauschale Argumentation von Löwe Leon zum Thema Zeitung vs. Internet wirkt in der Tat veraltet. Hier der schlaue Reporter, dort der Blogger Bernd. Damit wird für Stefan Niggemeier "die Mär vom Internet als rechtsfreier Raum schon Drittklässlern vermittelt", schreibt der Medienkritiker.

Löwe Leon und der Verband Bayerischer Zeitungsverleger

Hinzu kommt ein nicht unwesentliches Detail, auf das Blogger wie Ulrich Fries verweisen: Herausgeber der Broschüre ist ausgerechnet der Verband Bayerischer Zeitungsverleger e.V. (VBZV). Dass dort ordentlich gegen das Internet angeschrieben wird, sei also kein Zufall.

Die Broschüre des VBZV selbst lehrt Schulkinder, Veröffentlichungen genau unter die Lupe zu nehmen. Quellenkunde ist ein Thema, an einer Stelle lernen die Kinder, dass Firmen "vor allem sich selbst oder ihre Produkte ins rechte Licht rücken".

Beim VBZV will man von einer bewussten Diffamierung nichts wissen: "Es mag ja sein, dass es bei der Gegenüberstellung zu einer etwas holzschnittartigen Darstellung gekommen ist", sagt Markus Rick, Geschäftsführer des VBZV. Schuld daran sei aber die inhaltliche "Eindampfung" auf 90 Minuten Unterrichtszeit. Der Inhalt hätte deshalb gestrafft werden müssen. Markus Rick möchte deshalb "nicht ausschließen, dass man das auch besser machen kann".

Ob nun etwas am Lernmaterial verändert werden soll, kann der VBZV nicht sagen. Man habe aber dazu "alle 99 Kommentare unter dem Niggemeier-Text gelesen" und werde die Vorwürfe und das Material nun "genau prüfen". Eine pointierte Darstellung könne bei einem Drittklässler allerdings "auch nicht schädlich sein", sagt Markus Rick.

Das Bayerische Kultusministerium sieht kein Problem darin, dass die Broschüre eines Interessenverbandes im Unterricht eingesetzt werden kann. "Es ist kein Schulbuch sondern nur ein Angebot, das nicht eingesetzt werden muss", so Ministeriumssprecher Ludwig Unger.

Er hat sich die Broschüre noch einmal genauer angeschaut: "Die darin vorgenommene Unterscheidung ist sicher kein ideales Beispiel", so Unger. Es sei ein überzeichnetes Bild, da könnten "Lehrer durchaus noch einmal nacharbeiten". Im Gegensatz zu einem Blog im Internet sei das bayerische Presserecht aber sehr gründlich und eindeutig formuliert. "Wenn bei einer Zeitung etwas nicht stimmt, weiß man immer sofort, wo man anrufen kann", sagt Unger.

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