Mein erstes Mal Dem Hai ins Auge geblickt

Jeder normale Schwimmer sucht das Weite, sobald ein Hai in seiner Nähe aufkreuzt. Hobbytaucher Marc Röhlig, 19, allerdings sprang ins Wasser - jetzt hat er Haizahnabdrücke an seiner Flosse.

Mein Vater und ich sind verrückt nach gemeinsamen Tauchurlauben. Ich bin außerdem verrückt nach Großfischen. Von Zackenbarschen, Stachelrochen und Haien kann ich nicht genug kriegen - Hauptsache, die Fische passen nicht in das Aquarium zu Hause. Ägypten ist für Riesenfische eine sichere Nummer. Wir wollten deswegen im Roten Meer nach ihnen suchen.


Unter Tauchern erzählt man sich viel vom ägyptischen "Elphinstone Reef". Dort soll es Hammerhaie, Blauhaie und Delphine geben. In den Tauchermagazinen steht unter den Hai-Abbildungen: "Aufgenommen am Elphinstone Reef". Das Riff liegt wie ein riesiger Stoßzahn in Nord-Süd-Richtung im Roten Meer. An seinen Längsseiten fällt "Elphinstone" senkrecht bis in 300 Meter Tiefe ab. Die Spitzen im Norden und Süden nähern sich stufenweise dem Meeresgrund.

In der Tauchbasis zeigten wir Vereinskarte und Logbuch vor, schraubten die Atemregler an unsere Pressluftflaschen und zwängten uns in Neopren und Taucherflossen. Der Plan war klar. Vier Taucher, dazu zwei Tauchlehrer und ein einheimischer Bootsführer. Jeder taucht nur mit seinem Partner und jeder auf eigene Verantwortung.

Mit dem Carcharhinus Longimanus im Wasserballett

Gemeinsam fuhren wir im Zodiak, einem Schlauchboot, aufs Meer hinaus. Wir tauchten 30 Meter tief, schwammen unter Wasser Richtung Süden und hielten Ausschau nach grauen Schatten, die die Form von großen Fischen hatten. Nach einer halben Stunde tauchten wir wieder auf und versammelten uns etwas enttäuscht im Schlauchboot. Weder mein Vater und ich noch der Tauchlehrer, der uns geführt hatte, waren einem Hai begegnet.

Doch dann tauchte ein zweites Pärchen wild gestikulierend aus dem Wasser auf und rissen sich die Taucherbrillen vom Gesicht: "Ein Hai, mindestens drei Meter, gleich hier vorne." Jeder normale Mensch wäre jetzt schnellstmöglich aus dem Wasser verschwunden. Doch der jüngere Tauchlehrer und ich ließen uns mit einer Rückwärtsrolle wieder über Bord fallen. Leider ohne Sauerstoffflasche, aber noch mit Brille und Schnorchel, schwammen wir an der Wasseroberfläche und suchten nach dem Tier.

Plötzlich war ich allein. Das Boot trieb ab. Der Tauchlehrer verschwand, ohne mir Bescheid zu geben. Das Riff war schon lange nicht mehr zu sehen. Ich schwebte im Blau. Und da war er, der Hai. Er zog tief unter mir seine Bahnen. Ich war wie gelähmt von dem Anblick. Der Augenblick, das Tier, alles war viel zu majestätisch, als dass ich irgendeine Form der Angst hätte verspüren können.

Es war ein Carcharhinus Longimanus, ein Weißspitzen-Hochseehai. Bronzefarben, mit weißem Bauch und weißgesprenkelten Flossenspitzen. Drei Meter lang, fast zweimal ich, und unglaublich elegant. Und eigenwillig: Diese Art ist berühmt für ihr untypisches Verhalten. Ein Hai hat normalerweise Respekt vor Menschen und umrundet ihn daher mit gebührendem Abstand. Ein Longimanus pfeift auf solche Diplomatie und schießt direkt auf alles zu, was ihn interessiert. Vielleicht fand er auch mich appetitlich?

Riesige Rückenflosse neben dem Schnorchel

Der Hai und ich umrundeten uns mit nur einem Meter Abstand wie in einem Wasserballett. Ich hatte keine Angst. Ich vertraute dem Raubtier und fand die Situation recht harmonisch. Ich war kurz davor, meine Hand auszustrecken, um das schöne Tier zu berühren.

Das war wohl der Moment, in dem sich mein Vater entschloss, mich zu retten. Vom Boot aus hatte er, schon seemeilenweit entfernt, die große, dreieckige Rückenflosse neben meinem kleinen blauen Schnorchel gesehen und war ins Wasser gesprungen. Mit Panik und Entschlossenheit im Blick packte er mich von hinten im Rettungsgriff.

Er umschlang meinen Brustkorb und fing an zu strampeln, immer dem Boot hinterher. Winkend und rudernd kämpften wir uns auf das kleine Schlauchboot zu, das in der Ferne auf einem Wellenkamm schaukelte. Neben uns schwamm ganz ruhig der Hai und eskortierte uns auf unserem Weg zum Boot. Das glänzende Dreieck, groß wie mein Kopf, zog neben uns durchs Wasser. Er verspottet unsere hektische Flucht, dachte ich.

Erst als ich schon fast ins Boot geklettert war, schnappte das Raubtier zu: Der Hai fuhr mit seiner spitzen Schnauze durch die Wasseroberfläche, zeigte seine rasiermesserscharfen Zähne und grub sie in meine Gummiflosse. Zum Glück saß ich bereits im Boot. Für einen kurzen Zeitpunkt schien es mir, als blickten wir uns tief in die Augen.

Heute erinnere ich mich nicht mehr an meine Angst, sondern an meine Freundschaft mit dem Hai. Die rechte Flosse mit dem Zahnabdruck im Gummi soll mich von nun an auf meinen Tauchausflügen immer begleiten.

Von Marc Röhlig

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