Mikrofone für Lehrer Jetzt rede ich

Kaum etwas strapazieren Lehrer so sehr wie ihre Stimmbänder. In Nordrhein-Westfalen bekommen sie an einigen Schulen jetzt Headsets für den Unterricht. Erste Erkenntnis des Pilotprojekts: Je lauter die Pädagogen-Stimme tönt, desto leiser werden die Schüler.
Lehrerin Wernsing mit Schülern: Microphone check, one, two

Lehrerin Wernsing mit Schülern: Microphone check, one, two

Foto: Bernd Thissen/ dpa

Vormittags brüllen, nachmittags heiser nach Hause - für einige Lehrer ist das Alltag. Nicht, weil sie cholerisch sind; auch nicht, weil ihre Schüler so unverschämt laut sind. Sondern weil die Akustik in vielen Schulen so schlecht ist. Die Pädagogen dringen mit normaler Sprechlautstärke einfach nicht durch. "Die Leute, die Schulen planen, Architekten etwa, haben die Akustik einfach nicht auf dem Schirm", sagt der Akustik-Professor Jürgen Tchorz von der Fachhochschule Lübeck. Tchorz und einer seiner Studenten begleiten in Nordrhein-Westfalen ein Pilotprojekt: In 60 Klassen unterrichten Lehrer jetzt mit Mikrofon.

Eine schallschluckende Decke fehle oft in den veralteten Klassenräumen, der Lärm werde zurückgeworfen, sagt der Experte. "Dadurch ist es in der Klasse lauter, als es ohnehin schon ist. Außerdem ist es noch halliger." Kinder könnten sich schlechter konzentrieren, würden unruhiger, sagt Tchorz. "Ein Hintergrundgeräusch von mehr als 60 Dezibel wird häufig erreicht." Das ist so laut wie ein Gespräch. Diesen Pegel muss der Lehrer noch übertönen. "Ein gravierendes Problem", nennt es der Sprecher der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Nordrhein-Westfalen, Berthold Paschert. "Die Stimme ist mit das wichtigste Werkzeug."

Die Stimme von Grundschullehrerin Ingrid Wernsing klingt aus einem silbernen Lautsprecher: "Am Berghang schmilzt der letzte Schnee." Deutschunterricht an der Graf-Ludwig-Schule im westfälischen Steinfurt. Die Rektorin vor der Tafel spricht in ein Mikro, das vor ihrem Mund am Kopfhörerbügel hängt - eine Art Headset. 23 Drittklässler spitzen ihre Ohren. "Das Bächlein rauscht zu Tal." Wernsings Stimme schwingt mit jedem Versfuß. "Es grünt die Saat, es blinkt der See im Frühlingssonnenstrahl." Die neunjährigen Kinder lauschen alle still dem Droste-Hülshoff-Gedicht.

Wie das Lehrermikro zur Wanze wird

Das Mikrofon vor dem Mund kennt man sonst aus Rockkonzerten oder Managerseminaren. Die Kinder fänden das toll, sagt die Lehrerin. "Das ist wie Fernsehen." Die 50-Jährige kann nun ihre Kräfte schonen. Denn das Mikro pegelt ihre Stimme hoch, wenn die Kinder Lärm machen. "Ihr dürft - Halt, Halt, Halt...". Schon wird die Übertragung laut, die Gruppe leiser - "...leise auf den Flur."

Früher habe er öfter einmal nachfragen müssen, wenn er hinten saß, erzählt Cedric, 9 Jahre alt. "Jetzt ist es viel besser." Klassenkameradin Hannah sagt: "Manchmal vergisst sie es auszumachen. Dann hören wir alles aus dem Lehrerzimmer."

Die Studienergebnisse gingen alle in die gleiche Richtung, sagt Tchorz: "Dass es nicht lauter wird durch Lautsprecheranlagen. Zwar wird die Lehrerstimme verstärkt, aber die Kinder werden im Gegenzug auch etwas leiser. Das gleicht sich mehr als aus." Die Schüler seien oft erst irritiert, sagt der Professor. "Aber da gewöhnen die sich schnell dran."

Rektorin Wernsing ist von der Headset-Technik jedenfalls angetan. Ihre einzige Sorge: "Wenn man sich daran gewöhnt hat, muss man das irgendwann wieder abgeben." Die Tage des Probelaufs sind gezählt. In den Sommerferien sollen die Anlagen in allen acht Klassenräumen der Schule abgebaut werden. Jeweils wären 2500 Euro bis 3000 Euro dafür aufzubringen. Die Rektorin hofft auf Gespräche mit Sponsoren und Förderverein, um wenigstens eine Anlage zu leasen.

Von Christof Bock, dpa/otr
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