Muslimische Schülerinnen Wie Rektoren das Kopftuchverbot ausweiten wollen

Muslimische Lehrerinnen in Deutschland müssen barhäuptig zum Unterricht erscheinen. Das brachte einen Düsseldorfer Rektor auf die Idee, auch seinen Schülerinnen das Tragen eines Kopftuchs zu untersagen. Das gesetzeswidrige Verbot schockiert Schüler und Eltern - doch es ist kein Einzelfall.
Von Bernd Dicks

Wenn Rektor Bernd Hinke die zwei neuen Bestimmungen der Hausordnung nicht extra fett gedruckt hätte, hätten die neuen Verbote am Ende des vierseitigen Elternbriefes der Düsseldorfer Anne-Frank-Realschule wahrscheinlich kaum Beachtung gefunden. Doch die Regel, die nach den unspannenden Zeilen zur Lernstandserhebung, zum neuen "Lehrerraumprinzip" und zur Schulhofsanierung folgen, hat es in sich:

"Schon jetzt möchte ich aber auf zwei Bestimmungen der Hausordnung hinweisen, die bereits gelten und auch in die veränderte Hausordnung übernommen werden.

a) Die Benutzung von MP3-Playern und Handys auf dem Schulgelände und im Gebäude ist untersagt. (...)

b) Wir sind eine Schule mit Schulkleidung, deren Tragen von uns als verbindlich betrachtet wird. Das Tragen von Kopfbedeckungen während des Unterrichts ist nicht erlaubt. Dies gilt gleichermaßen auch für das Tragen von Kopftüchern aus religiösen Gründen."

Die anschließende Begründung, ebenfalls fett gedruckt, lässt kaum Zweifel am Durchsetzungswillen des Schulleiters:

"Wir leben in einem Land, das an christlichen und demokratischen Werten orientiert ist. Das Kopftuch wird von uns als Symbol der Unterdrückung der Frau und fehlender Gleichberechtigung betrachtet. Es widerspricht somit nicht nur den entsprechenden Bestimmungen des Grundgesetzes, sondern auch den Werten, die wir unseren Schülerinnen und Schülern vermitteln wollen. Das Tragen von Kopftüchern ist deshalb an unserer Schule unerwünscht. Wer unbedingt möchte, dass seine Tochter in der Schule ein Kopftuch trägt, sollte sich gut überlegen, ob die Anne-Frank-Realschule die richtige Schule für seine Weltanschauung und seine Tochter ist."

Davon sind Merve, 15, und Beyza, 13, zwei der 56 muslimischen Schülerinnen von insgesamt 471 Schülern der Anne-Frank-Realschule, regelrecht schockiert. "Ich empfand es als eine Art Angriff auf meine Persönlichkeit. Das Kopftuch ist quasi ein Teil von mir, das ich freiwillig nicht ablegen werde", sagt Merve selbstbewusst. Irritiert reagierten auch Mitschülerin Beyza und ihre Eltern auf den Brief des Schulleiters: "Mein Vater hat bei der Einschulung extra noch gefragt, ob muslimische Mädchen ein Kopftuch tragen dürfen. Der Direktor meinte damals, das sei kein Problem."

Schulleiter hatte einen "Blackout"

Warum Schulleiter Hinke dieses Kopftuchverbot erließ, ist selbst für das nordrhein-westfälische Schulministerium ein Rätsel. Der Rektor mache eigentlich einen "guten Job", sagt Sprecher Thomas Breuer. "Umso überraschter waren wir, als wir von Eltern und der Presse über diesen Elternbrief informiert wurden."

Das Ministerium forderte die zuständige Bezirksregierung Düsseldorf auf, den Schulleiter zum Rapport einzuberufen. Denn "ein Kopftuchverbot für Schülerinnen ist nicht mit dem Prinzip der Landesverfassung und dem Schulgesetz vereinbar", stellt Breuer klar.

Das musste sich Schulleiter Hinke am vergangenen Freitag, dem letzten Herbstferientag, auch von seinen Düsseldorfer Vorgesetzten anhören. "Er gestand ein, dass er voll daneben gegriffen habe, und bezeichnete die Aktion als Blackout", sagt Thomas Hartmann, Leiter der Schulabteilung der Bezirksregierung. Die Schulleitung nahm daraufhin den fragwürdigen Elternbrief wieder von der Homepage der Schule .

Laut Bezirksregierung erklärte der Rektor, er habe bei berufsvorbereitenden Praktika seiner Schüler oft die Erfahrung gemacht, dass die Gesellschaft immer noch große Vorbehalte gegen Muslime mit Kopftüchern habe. Nur deshalb habe er die Schülerinnen ermutigen wollen, in Schule und Beruf auf das Kopftuch zu verzichten. Auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE wollte sich Hinke nicht zu diesem Thema äußern.

Schulleiter zimmern sich Gesetze selbst

Es gebe keine rechtliche Grundlage dafür, Schülerinnen das Kopftuch zu verbieten, stellte die Bezirksregierung am Montag klar - auch der Schulkonferenz-Beschluss pro einheitliche Schulkleidung gebe das nicht her. Diese Schulkleidung ist an der Realschule zwar erwünscht, aber keine Pflicht. Ansonsten lobte die Bezirksregierung die Schule für ihre "erfolgreiche Integrations-Pädagogik".

Die Düsseldorfer Rektor-Ansage ist kein skurriler Einzelfall. Ermuntert durch das Kopftuchverbot für Lehrerinnen zimmern sich Schulleiter ziemlich unbekümmert ihre Regeln offenbar schon mal selbst. Und ignorieren dabei die Rechtslage: Lehrerinnen sind zumeist Beamte, unterliegen damit besonderen Pflichten und haben zudem eine Vorbildfunktion. Bei Schülerinnen liegt die Sache ganz anders. Das Grundgesetz garantiert die Religionsfreiheit wie auch die freie Entfaltung der Persönlichkeit. Was ein Rektor im Schulbetrieb für wichtig hält, muss dahinter zurückstehen. Das bayerische Kultusministerium zum Beispiel hat das bereits 2005 in einem "Lehrerinfo"  deutlich erklärt.

Neben der Düsseldorfer Realschule liegen SPIEGEL ONLINE weitere Fälle vor: So wurden Eltern in Salzgitter per Elternbrief aufgefordert, ihre Kinder nicht mehr mit Kopftüchern in die Schule zu schicken. "Neben der Gefährdung beim Sportunterricht setzen Sie Ihre Kinder auch einer möglichen Isolation aus", heißt es als Begründung.

Eine Dortmunder Schule teilte muslimischen Eltern schriftlich mit, dass ihre Tochter am Unterricht nicht mit Kopftuch teilnehmen dürfe. In der Schulordnung heiße es nämlich: "Wir können gut zusammenleben, wenn wir mit unserer Kleidung keine Zeichen und Symbole für religiöse, politische und weltanschauliche Überzeugungen zeigen." Auch an Schulen in Saarbrücken und Heilbronn hat man mit Beschluss der Schulkonferenz eigenmächtig ein Kopftuchverbot verhängt, ohne verfassungsrechtliche Grundlagen geprüft zu haben.

Grundrechte gehen vor Schulordnung

In der Rechtsabteilung des Islamrates für die Bundesrepublik Deutschland stapeln sich solche Fälle aus dem Schulalltag, die Mitarbeiter Bekir Altas als diskriminierend und willkürlich wertet: "Das ist in den letzten Jahren immer schlimmer geworden." Meist werde bei einer Überarbeitung der Schul- und Hausordnung ein Passus aufgenommen, der "jegliche Art von Kopfbedeckung" verbiete. Oder die Schulkonferenz entscheide einfach darüber, weil man das Verbot "gemeinsam befürworte".

"Ohne rechtliche Grundlage werden die Schülerinnen auf diese Art gezwungen, ihr Kopftuch in der Schule abzulegen", erklärt Altas. Bei Vermittlungsversuchen bekomme er von Schulleitern immer die gleichen Argumente zu hören: Das Kopftuch sei ein "Symbol der Unterdrückung der Frau", es sei ein "Integrationshindernis" und "gefährde das Kindeswohl".

Anders als in Deutschland gilt in der Türkei sowie seit 2004 in Frankreich ein Kopftuchverbot auch für Schülerinnen - was zu heftigem Streit führte. Altas nennt weitere Folgen: "In Frankreich gründen muslimische Eltern und Pädagogen immer mehr Privatschulen, damit sie den Bekleidungsvorschriften des Koran gerecht werden können" - gelungene Integration sei das sicher nicht.

Im laizistischen Frankreich indes ist die Trennung zwischen Staat und Kirche viel strikter als in Deutschland. Und hier können Rektoren - auch nicht im Verbund mit Lehrern, Eltern - und Schülervertretern - keineswegs die Grundrechte kurzerhand aushebeln. Knifflig wird es im Extremfall: Wenn Schülerinnen total verschleiert zum Unterricht kommen, wie es an einer Bonner Schule vor zwei Jahren geschah. Zwei Elftklässlerinnen erschienen in traditionellen islamischen Frauengewändern, waren von Kopf bis Fuß verhüllt und trugen den schwarzen Kopfschleier Niqab. Das wurde als "Burka-Fall" bekannt.

Die Bezirksregierung stellte sich hinter die Schulleitung, die sehr nachvollziehbar argumentiert hatte: Der Rektor der Gesamtschule sah nicht nur den Schulfrieden gefährdet, sondern auch keine Möglichkeit, die "Leistungen der Schülerinnen sachgemäß zu beurteilen". Wegen der Gewänder sei Unterricht in Fächern wie Sport, Chemie oder Werkkunde praktisch ausgeschlossen. Und vor allem: "Die Lehrerinnen und Lehrer sehen sich außerstande, Schüler zu unterrichten, denen man nicht ins Gesicht schauen kann" - weil sie auch Blickkontakt und nonverbale Kommunikation brauchen.

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