Konzepte gegen Amokläufe So sicher sind Deutschlands Schulen

Polizist vor Gymnasium (Archiv): Diskussion um die Festung Schule
Foto: Michael Reichel/ dpa"Tun wir genug, um unsere Kinder zu schützen?", fragte Barack Obama. Er habe in den vergangenen Tagen darüber nachgedacht - und die ehrliche Antwort sei: nein. Das sagte der US-Präsident in Newtown, wo ein 20-jähriger Amokläufer am Freitag an einer Grundschule zwanzig Kinder, sieben Erwachsene und schließlich sich selbst erschossen hatte.
Es war der vierte Besuch Obamas am Tatort eines Amoklaufs seit seinem Amtsantritt. Und die Fragen nach einer solchen Tat sind immer dieselben: Wie konnte das passieren? Was muss getan und verändert werden, damit sich so etwas nicht wiederholt?
So war es auch in Deutschland, nach Erfurt, nach Winnenden und nach den anderen ähnlichen Fällen. Als im März 2009 ein ehemaliger Schüler der Albertville-Realschule in Winnenden 15 Menschen erschossen hatte, forderten Experten zum Beispiel Warnsignale an Schulen: Wenn bestimmte Lautsprecherdurchsagen oder Klingeltöne zu hören sind, sollen alle Schüler und Lehrer wissen, was zu tun ist. Sie forderten auch spezielle Türschlosssysteme, mit denen die Klassenzimmer automatisch von innen verriegelt werden. Was hat sich seither an deutschen Schulen getan? Wie sicher sind deutsche Klassenräume?
Klar ist: Kaum jemand will Schulen zu Festungen machen. Politiker und Lehrerverbände lehnen es überwiegend ab, Schulen mit Videokameras, Eingangskontrollen und Metalldetektoren zu Hochsicherheitstrakten auszubauen. Zumal die Bluttat von Newtown zeigte, dass auch an einer baulich gut gesicherten Schule so etwas möglich ist.
Bereits nach Winnenden kamen Experten zu dem Ergebnis, dass es "keine einzelne Maßnahme und kein Bündel von Maßnahmen" gebe, "die mit hinreichender Sicherheit einen Amoklauf an einer Schule verhindern könnten". Gleichwohl könnten "erkennbare Risikofaktoren für Amokläufe an Schulen reduziert und Schutzfaktoren gegen Amok an Schulen gestärkt werden".
Wer sich jetzt, einige Jahre nach Winnenden, umhört bei Fachleuten und Praktikern, der hört: Es mangelt nicht an Ideen, es mangelt zu oft am Geld. Für sinnvoll halten sie vor allem folgende Maßnahmen:
- Psychologische Vorsorge: Bundesweit kommt ein Schulpsychologe auf 9100 Schüler. Das ist zu wenig, sagt Stefan Drewes, Vorsitzender für Schulpsychologen im Berufsverband deutscher Psychologen. Teilweise dauert es Monate, wenn eine Schule für einen auffälligen Schüler um einen Termin bittet. Zusätzlich gibt es schulinterne und -externe Krisenteams. Sie werden aktiv, wenn Dritte auf dem Schulhof oder im Netz Drohungen mitbekommen haben. Ihre Arbeit hängt also in hohem Maße davon ab, wie rege Schüler, Lehrer und Eltern ihre Beobachtungen, Sorgen oder Fragen mitteilen. Die Versorgung ist allerdings von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich: Schulinterne Krisenteams sind bislang nur in Baden-Württemberg Pflicht - als Reaktion auf Winnenden. Stadtstaaten wie Hamburg, Berlin und Bremen sind Drewes zufolge relativ gut versorgt, so gibt es in Berlin 15 Krisenpsychologen, die hauptberuflich nur eines in der Hauptstadt machen: Prävention und Nachsorge von Gewalttaten an Schulen. Im größten Bundesland Nordrhein-Westfalen sei die Ausstattung mit Schulpsychologen "mittelmäßig" und in anderen Ländern wie Niedersachsen, Sachsen und Schleswig-Holstein "schlecht".
- Vorsorge durch Information: "Nach den Amokläufen in Deutschland wurden bundesweit Notfallpläne eingerichtet. Dazu gehören Materialien für das Verhalten bei einem Amoklauf und Zettel mit den relevanten Telefonnummern", sagt Marianne Demmer, stellvertretende GEW-Vorsitzende. Das reiche jedoch nicht aus, sagt Demmer und fordert zusätzliche Trainingseinheiten für Lehrer, um sie auf Amok-Situationen vorzubereiten.
- Schulumbauten: Baulich ist kaum etwas passiert. Warnsignale sowie Türschlosssysteme sind Ausnahmen, und auch Kameras gibt es nur vereinzelt. "Das ist auch eine Kostenfrage", sagt Demmer. "Erst wenn etwas passiert ist, wird meistens die entsprechende Schule hochgerüstet, das ist natürlich psychologisch bedingt." So wurde die Albertville-Realschule in Winnenden rundherum erneuert und sicherheitstechnisch aufgerüstet, mit Alarmknöpfen, Türverriegelung und einem Alarmsystem wie in einer Bank. Andernorts sei jedoch nur wenig oder gar nichts passiert. "Das Thema wird gescheut, von allen Beteiligten. Dabei setzt man ja auch Brandschutzmaßnahmen um und testet den Feueralarm. Aber bei Amok-Prävention schrecken viele zurück", sagt Drewes.
Auch das "Aktionsbündnis Amoklauf Winnenden" kritisiert fehlende deutschlandweite Standards. Doch die Sicherung von Schulen ist, wie andere Bildungsfragen auch, Ländersache. Und zahlen müssen daher die Kommunen.
Anstatt Einlasskontrollen und dicker Schlösser fordert Demmer einen schärferen Blick - von allen: Schülern, Lehrern, Hausmeistern. "Der Faktor Mensch scheint in solchen Fällen dem Faktor Technik überlegen zu sein. Es gibt bei Amokläufen immer Anzeichen im Vorfeld." Vor allem eine Gruppe steht den Experten zufolge bei der Prävention im Mittelpunkt: die Schüler. "Meistens bemerken die Mitschüler schneller als die Lehrer, wenn ein Klassenkamerad komisch wird. Sie brauchen dann jemanden, an den sie sich wenden können", sagt Drewes.
Angriffe an Schulen
Ein klassischer Beratungslehrer reicht da oft nicht aus, in so einem Fall sind professionelle Schulpsychologen gefragt. Die Schüler müssen das Gefühl haben, dass schnell reagiert wird und dass sie weder uncool noch eine Petze sind, wenn sie sich melden. Dafür sei laut Drewes aber auch ein soziales Klima an der Schule wichtig. "Wenn es nur um Leistung geht, aber wenig um ein Miteinander, werden sich die Schüler auch weniger umeinander sorgen und kümmern."