Jobchancen für Geringqualifizierte Abschluss schlägt Können

Lesen bildet - es zahlt sich aber oft nur aus, wenn auch ein Abschluss dabei rumkommt
Foto: CorbisZeugnisse, Nachweise, Bescheinigungen - für die Deutsche Bahn soll all das seit einiger Zeit bei der Lehrlingssuche nebensächlich sein: Wer sich für eine Ausbildung bewerbe, kündigte der Konzern Mitte 2013 an, solle online einen Eignungstest absolvieren. Die Schulnote soll dagegen nicht länger ausschlaggebend sein. "Wir wollen nicht die Besten ermitteln, sondern diejenigen, die den jeweiligen Berufsanforderungen am besten entsprechen", sagte Personalvorstand Ulrich Weber damals. Die Botschaft sollte sein: Im Job bei uns zählt mehr, was man tatsächlich kann. Und nicht irgendein formaler Abschluss.
Eine neue Studie des Wissenschaftszentrums Berlin (WZB) legt nun nahe, dass es vielfach auf dem deutschen Arbeitsmarkt in Wahrheit umgekehrt läuft: Eine Stelle findet leichter, wer einen formalen Abschluss vorweisen kann. Wie viel jemand tatsächlich kann, spielt dagegen oftmals eine überraschend geringe Rolle. (Die komplette Studie finden Sie hier.)
Die WZB-Forscher Jan Paul Heisig und Heike Solga haben dafür die PIAAC-Studie ausgewertet, wie der "Tagesspiegel" berichtet . Bei diesem "Erwachsenen-Pisa" hatte die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ähnlich wie bei den internationalen Schulvergleichsstudien vor einigen Jahren erstmals in mehreren Ländern die Kompetenzen der 16- bis 65-Jährigen erhoben.
Keine Ausbildung, aber gut im Rechnen
Die WZB-Forscher schauten nur auf die Erwachsene, die keinen Berufs- oder Hochschulabschluss haben und daher als formal gering qualifiziert gelten. Aus methodischen Gründen beschränkten sie sich dabei auf die Männer.
Eine Überraschung für die Forscher: Die formal Geringqualifizierten verfügen nicht alle zwangsläufig auch über geringe Kompetenzen in Mathematik. Im Durchschnitt erreichten sie in diesem PIAAC-Testbereich zwar schlechtere Ergebnisse, mit 17 Prozent kamen in dieser Gruppe der Geringqualifizierten jedoch relativ viele auf ein Kompetenzniveau, das eigentlich mit eher anspruchsvollen Tätigkeiten verbunden ist. Die Forscher erklären das unter anderem damit, dass sich in der Gruppe auch Studienabbrecher finden können, die keine Lehre angefangen haben.
Erstaunlicherweise haben aber diese 17 Prozent formal Geringqualifizierten mit Mathe-Kenntnissen kaum bessere Jobchancen. Wer keinen Berufs- oder Studienabschluss vorweisen kann, hat in Deutschland offenbar kaum Chancen, das mit seinem Können aufzuwiegen.
Dass es auch anders laufen kann, zeigt der Vergleich mit dem Ausland, den die Forscher ziehen. In Österreich, Dänemark, den Niederlanden und Großbritannien sind Geringqualifizierte seltener arbeitslos, wenn sie trotz fehlendem Abschluss hohe Kompetenzen haben. Nur in den USA ist der formale Abschluss offenbar ähnlich ausschlaggebend wie in Deutschland.