Schulen in NRW Was steckt hinter Spitzelvorwürfen gegen türkische Konsulate?

Schüler im Klassenzimmer (Symbolbild)
Foto: Marijan Murat/ picture alliance / dpaBei fast jedem Anruf ist die Empörung zu spüren: In den türkischen Generalkonsulaten in Nordrhein-Westfalen zeigt man sich am Freitag verärgert und auch schockiert über die Berichterstattung zu Vorwürfen, die Konsulate hätten türkischstämmige Schüler, Eltern und Lehrer dazu aufgefordert, sich in Klassenzimmern als Spitzel zu betätigen. Die Anschuldigungen seien "völlig haltlos", heißt es unisono.
Die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) hatte vor einigen Tagen mitgeteilt, sie wisse aus "unterschiedlichen Quellen", dass es bei Treffen mit Eltern und Lehrern in Konsulaten in Düsseldorf, Köln, Münster und Essen Ende Januar eine Ansage gab: "Die Anwesenden sind gehalten worden, regierungskritische Äußerungen von türkischen Lehrern an die Konsulate weiterzugeben", sagte der stellvertretende GEW-Landesvorsitzende in Nordrhein-Westfalen, Sebastian Krebs, dem SPIEGEL am Freitag.
Diese Informationen sollten demnach an eine Kommission weitergegeben werden, die eigens gegründet werden sollte, sagte Krebs. Bei den Treffen sollte es ursprünglich um die Diskriminierung von türkischen Schülern in deutschen Schulen gehen, aber dann sei die Tagesordnung geändert worden. Er selbst sei bei den Treffen nicht dabei gewesen, sondern wisse dies von mehreren türkischstämmigen Lehrern. Die Kollegen, allesamt GEW-Mitglieder, hätten an mindestens zwei Treffen teilgenommen.
GEW: "Die Angst sitzt tief"
Was stimmt denn nun? "Ich habe selbst mehr Fragen als Antworten", sagt GEW-Mann Krebs. Seine Informanten hätten Sorgen wegen möglicher Repressalien gegen sich und ihre Familien. Deswegen könne er nicht sagen, um wie viele Kollegen es sich handelte und in welcher Stadt sie waren. Auch ihm gegenüber hätten sich die Betroffenen deshalb teilweise mit genaueren Informationen zurückgehalten: "Die Angst sitzt tief." Die Aussage, wonach Schüler Lehrer filmen und die Aufnahmen weiterleiten sollten, seien bei nochmaliger Nachfrage weder bestätigt noch dementiert worden.
Alle vier Generalkonsulate dagegen weisen die Anschuldigungen entschieden zurück. Es sei "lächerlich", zu behaupten, dass Konsulatsmitarbeiter nach Äußerungen regierungskritischer Lehrer gefragt hätten, um diese nach Ankara weiterzuleiten, sagt der Kölner Generalkonsul Hüseyin Emre Engin. "Solche haltlosen Vorwürfe, die unserem Ansehen schaden, dürfen nicht ohne Konsequenzen bleiben", sagt die Generalkonsulin aus Münster, Pinar Gülün Kayseri, man behalte sich rechtliche Schritte dagegen vor.
Offene Treffen seit Jahren
Fest steht: Es gibt seit Jahren immer wieder Treffen mit Eltern und Elternvertretern in den vier Konsulaten. Sie seien frei zugänglich und sollten dazu beitragen, türkischstämmige Schüler an deutschen Schulen besser zu fördern, sagt die stellvertretende Düsseldorfer Generalkonsulin Nesrin Tuncay.
Beim letzten Treffen am 8. Januar sei es unter anderem um den muttersprachlichen Unterricht und um ein größeres Engagement türkischer Eltern in den Schulen gegangen, sagt Tuncay. Im Generalkonsulat in Essen fand ein solches Treffen zuletzt am 27. Januar statt, sagte der dortige Konsul Mustafa Kemal Basa. In Köln gab es die letzte Zusammenkunft mit Elternvereinen im November, in Münster liegt sie nach Angaben des Konsulats mindestens ein halbes Jahr zurück. Zunächst war der Eindruck entstanden, es habe am 22. Januar zeitgleich vier Veranstaltungen gegeben.
Alle Konsulate betonen, dabei stehe stets die Beratung der Eltern und die Aufklärung über das deutsche Bildungssystem im Vordergrund. Zum Spitzeln sei niemand aufgefordert worden. "Es gehört nicht zu unseren Aufgaben, regierungskritische Äußerungen zu melden", sagt Kayseri.
Die Schulbehörde hat die Konsulate zu Stellungnahmen aufgefordert und diese den Sicherheitsbehörden zur Verfügung gestellt, heißt es aus dem Ministerium. Bildungsministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) werde in der nächsten Sitzung des Schulausschusses umfassend über den gesamten Vorgang berichten.
Türkischer Elternverein: Aufruf zur Spitzelei abwegig
Die Föderation Türkischer Elternvereine in NRW e.V. bestätigt die Darstellung der Konsulate. Er sei selbst in Düsseldorf und Essen vor Ort gewesen, sagt der Vorsitzende Ali Sak, der auch stellvertretender Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland ist. Neben Problemen mit dem Türkischunterricht ging es auch um "Beschwerden der Elternschaft über die einseitige Unterrichtsgestaltung zu Themenbereichen wie Armenier-Resolution oder Nazi- und Hitlervergleiche", wie es in einer offiziellen Stellungnahme des Elternvereins heißt.
Bei den beiden Treffen seien rund 20 bis 25 türkischstämmige Eltern und Lehrer gewesen, die zu 90 Prozent als Erdogan-kritisch einzuschätzen seien, und das sei den Konsulaten auch bekannt. "Es wäre abwegig, in dieser Runde zur Spitzelei aufzurufen", meint Sak.
Der Elternvertreter vermutet, dass der GEW-Vorstand die türkischen Kollegen falsch verstanden habe - oder dass sich die Gewerkschaft einseitig beraten und politisch instrumentalisieren lasse. "Unter dieser Instrumentalisierung leiden die Lehrer", kritisierte er. In den vergangenen Tagen hätten einige türkischstämmige Lehrkräfte beklagt, dass sie im Kollegium gemieden würden, weil man sie für Spione halte.
Nicht nur in NRW Spionagevorwürfe
Die Aufregung um die Spitzelvorwürfe in Nordrhein-Westfalen trifft auf eine aufgeheizte Stimmung mit mehreren Berichten über mögliche Spionagetätigkeiten für die Türkei. Mitte Februar waren Ermittlungen gegen mehrere Mitarbeiter des türkischen Islamverbands Ditib bekannt geworden. Ditib-Imame sollen demnach im Auftrag des Amtes für religiöse Angelegenheiten Diyanet Gemeindemitglieder sowie deutsche Lehrer bespitzelt und angebliche Anhänger des islamischen Predigers Fetullah Gülen in Ankara gemeldet haben.
Nach SPIEGEL-Informationen lieferten außerdem Mitarbeiter aus türkischen Botschaften oder Generalkonsulaten in mehreren europäischen Ländern Informationen über Gülen-Anhänger nach Ankara. Zu den Vorwürfen gegen die türkischen Generalkonsulate in Nordrhein-Westfalen laufen derzeit noch die Ermittlungen der Polizei, teilt die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft mit. Man prüfe unter anderem die strafrechtliche Relevanz.
Wenig Handhabe gegen private Spitzel
Generell gilt: Deutsche Sicherheitsbehörden haben wenig Handhabe, sollte sich ein Spitzelsystem vor allem auf den Denunziationswillen von Privatpersonen stützen. Schon bei den Ermittlungen gegen mehrere Ditib-Imame mussten sich Polizei, Nachrichtendienste und Justiz sehr strecken.
Ein Verfahren wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit setzt eigentlich voraus, dass die Spitzel "für den Geheimdienst einer fremden Macht" tätig sind, wie es im Gesetz heißt. Doch Ditib ist kein Nachrichtendienst, weshalb die Bundesanwälte sich mit der Formulierung behelfen mussten, dass die Berichte der Imame "mithilfe nachrichtendienstlicher Methoden und zu Zwecken ähnlich jenem eines Geheimdienstes" entstanden seien.
Die Bundesanwaltschaft hatte im Frühjahr 2015 eine Gruppe um den ehemaligen Erdogan-Vertrauten Muhammed Taha Gergerliolu wegen Spionage angeklagt. Die Männer sollten über Jahre Oppositionelle in Deutschland bespitzelt haben.
Doch weil diese nach Ankara übermittelten Informationen sich im Wesentlichen nicht auf Deutsche bezogen, kürzte das Oberlandesgericht Koblenz das Verfahren schließlich ab: Das Verhalten der Angeklagten sei nicht als eine gegen die Bundesrepublik gerichtete Spionagetätigkeit zu werten, befand der Senat. Gegen Geldauflagen kamen die mutmaßlichen Spitzel davon.