
Waffenverbot in den USA: Empörung über Strafe für Sechsjährigen
Null Toleranz gegenüber Sechsjährigem Schlacht ums böse Campingbesteck
Zachary Christie aus Newark, einer kleinen Stadt im US-Bundesstaat Delaware südwestlich von Philadelphia, muss mächtig stolz gewesen sein. Gerade war der Sechsjährige den Pfadfindern beigetreten und hatte ein Campingbesteck bekommen, so eins zum Essen in der freien Natur, mit Klinge, Gabel und Löffel, alles ausklappbar. Weil sich stolze Burschen nur schwer von Lieblingsdingen trennen können, nahm er es an einem Septembertag mit in seine Grundschule. Schließlich taugt es auch zum Mittagessen in der Kantine.
Auf das, was dann folgte, hätten Zachary und seine Mutter gern verzichtet. Ein Lehrer entdeckte das Camping-Utensil. Nun hätte er es Zachary einfach wegnehmen, mit ihm und seiner Mutter reden können - doch der Schulbezirk praktiziert seit geraumer Zeit "Zero Tolerance", die Null-Toleranz-Politik. Als Konsequenz aus Amokläufen wie an der Columbine High School 1999 und an der Universität von Blacksburg 2007 sind jegliche gefährlichen Gegenstände in Schulen verboten, verbunden mit harter Bestrafung, und zwar "unabhängig von der Absicht des Besitzers", lautet die Vorschrift.
Das gilt auch für Sechsjährige, die nichts Böses im Schilde führen.
Also nahm man Zachary weg, was man als Waffe wertete, verwies ihn von der Schule und kündigte an, ihn für 45 Tage in eine Besserungsanstalt für Problemkinder zu stecken. "Eltern wollen doch keinen Anruf der Schule bekommen, mit dem ihnen mitgeteilt wird, dass ihr Kind nicht mehr zwei gut sehende Augen hat, weil es eine Rauferei gab und jemand ein Messer gezückt hat", sagte George Evants, Präsident der Schulbehörde, der "New York Times".
Die Null-Toleranz-Strategie führt zu teils sonderbaren Maßnahmen
"Ich stimme zu, dass man keine gefährlichen Waffen in die Schule bringen sollte, aber die Bestrafung ist zu hart. Das ist nicht fair", sagte dagegen der Junge. Und blieb mit seiner Meinung nicht allein.
"Er ist keine Bedrohung für seine Mitschüler", sagte Mutter Debbie Christie und startete eine Gegenoffensive. Sie gründete die Internetseite helpzachary.com , sammelte Unterschriften für ihren Sohn und gegen die Verbannung von der Grundschule, gegen eine allzu realitätsferne Auslegung des Waffenverbots. Und wer von Zacharys Unschuld noch überzeugt werden wollte, konnte sich einen Film ansehen, den er an der Schule gemacht hatte und der mit einem Preis ausgezeichnet worden war.
Wenn es um Gewalt an US-Schulen geht, können sich Bildungspolitiker meist schnell auf einen Lösungsansatz einigen: null Toleranz. So wurden in Connecticut Polizisten auf Schulhöfe geschickt, um Strafzettel über mehr als 100 Dollar an fluchende Schüler zu verteilen. In Culver City verhängte eine kalifornische Mittelschule eine totale Kontaktsperre: Schüler dürfen einander nicht mehr berühren. Die Regel sollte Prügeleien verhindern, stiftete aber viel Verwirrung - denn Händchenhalten und Umarmungen sind jetzt auch tabu.
Kritiker weisen immer wieder darauf hin, dass die Null-Toleranz-Linie zum Anstieg von Schulverweisen führten. Dann landen Kinder und Jugendliche mitunter auf der Straße oder sonstwo, wo das Problem eher vergrößert wird.
Ein Geburtstagskuchen wurde einer Drittklässlerin zum Verhängnis
Allzu strikte und schematische Regeln verhindern manchmal, dass Schulleiter, Lehrer und Schulbehörden schlicht ihren gesunden Menschenverstand einsetzen. So wurden laut "New York Times" in der Stadt Baltimore im Schuljahr 2006/2007 rund 10.000 Schüler suspendiert - die meisten wegen Ungehorsam und Belästigung. In Milwaukee wurden im gleichen Zeitraum gar 40 Prozent der Neuntklässler mindestens einmal suspendiert.
In Zacharys Schulbezirk hatten schon mehrfach absurde Fälle Eltern erzürnt. So wurde 2007 eine Siebtklässlerin von der Schule verwiesen, weil sie mit einem Messer die Fenster in einem Papierhaus ausgeschnitten hatte. Zuletzt erregte im vergangenen Jahr die gute Tat einer Großmutter Aufsehen: Sie hatte ihrer Enkelin, einer Drittklässlerin, einen Geburtstagskuchen in die Schule geschickt - und zum Teilen ein Messer beigelegt. Der Lehrer meldete das dem Schulleiter, freilich erst, nachdem er den Kuchen geschnitten und verteilt hatte. Das Mädchen sollte der Schule verwiesen werden. Die Gesetzgeber reagierten auf die Sache. Und gaben den Behörden die Möglichkeit, von Fall zu Fall zu entscheiden.
Zachary half das allerdings nicht. Die Gesetzeslockerung betraf nur Schulverweise - nicht den vorübergehenden Ausschluss von der Schule und den Aufenthalt in einer Besserungsanstalt.
"Ich will, dass Zachary weiß, dass er eine Stimme hat"
Der Protestaufruf von Mutter Debbie hatte Erfolg. Viele Eltern schlossen sich ihr an, auf der Internetseite unterschrieben mehr als 40.000 Menschen für Zachary. Die großen Fernsehsender berichteten. Unter einem Bericht auf der Seite der "New York Times" machten Leser in mehr als 1300 Kommentaren ihrer Empörung Luft. Ihre Hauptforderung: Man solle sinnvoll den Einzelfall beurteilen, statt starre Regeln stumpf anzuwenden.
Am Dienstagabend tagte das zuständige Komitee des Schulbezirks. Viele Eltern und Reporter kamen - und die Vernunft siegte. Zachary wurde begnadigt. Er darf wieder auf seine Grundschule.
Außerdem entschied das Komitee, dass künftig Kinder, die Waffen dabei haben oder gewalttätig werden, nur für drei bis fünf Tage ausgeschlossen werden und nicht mehr in eine Besserungsanstalt geschickt werden dürfen, sondern lediglich zu einer Beratung. Das gilt für Kindergartenkinder und Erstklässler.
Die Entscheidung löste Erleichterung aus, allerdings nicht bei allen. Jennifer Jankowski, Mitarbeiterin einer anderen Grundschule in Newark, fragte: "Wenn wir Zachary nicht bestrafen können, was ist dann mit Kindern, die eine Waffe mitbringen, um Böses zu tun?"
"Ich will, dass Zachary weiß, dass er eine Stimme hat und er sie erheben kann, wenn etwas nicht richtig läuft", sagte dagegen Debbie Christie. Ihrer Meinung nach ist die Entscheidung des Komitees nur ein erster Schritt. Nötig sei eine Überarbeitung der Verhaltensregeln im Schulsystem. Eine Sprecherin des Schulbezirks versprach mögliche weitere Änderungen in den kommenden Monaten.
Zachary selbst sagte der "New York Times", er befürchte, dass seine Mitschüler ihn nun vielleicht hänseln, weil er in Schwierigkeiten geraten ist. "Aber ich denke, dass die Regeln falsch sind - und nicht ich."