Tausende Exemplare des Buches "Schule kann gelingen" wurden vom Ministerium zurückgezogen
Foto: DPA/ Fischer VerlagSchwerin - Mecklenburg-Vorpommerns Bildungsminister Mathias Brodkorb (SPD) hat das an Lehrer verschickte Buch "Schule kann gelingen" zurückgezogen - wegen einer Danksagung an Gerold Becker, der als Schulleiter der Odenwaldschule viele Schüler missbraucht hatte.
Das Buch stammt aus der Feder der bekannten Reformpädagogin Enja Riegel und ist als Handbuch für Schule und Unterricht gedacht. Es kam bereits 2004 auf den Markt und war im Auftrag von Mecklenburg-Vorpommerns Bildungsministerium nachgedruckt worden - quasi als Urlaubslektüre für die 12.000 Lehrer des Bundeslands, die den Band kurz vor den Sommerferien erhalten hatten.
Am Ende des Buches dankt Riegel dem ehemaligen Leiter der skandalumwitterten Odenwaldschule. Die vielen, erst später aufgedeckten Missbrauchsfälle aus den Siebziger- und Achtzigerjahren gehen vor allem auf Becker zurück. Der einstige Schulleiter tat seinen Opfern zum Teil schwere sexuelle Gewalt an. 2010 wurden diese und die Missbräuche von 17 weiteren Tätern enthüllt - also Jahre nach der Ersterscheinung des Riegel-Buches.
Die rund 26.400 Euro teure Rückholaktion von insgesamt 14.000 Büchern geht auf ein Versehen des Verlags zurück. Dieser habe vor dem Nachdruck eine ältere Druckdatei an das Ministerium geschickt, in dem die Danksagung noch enthalten war, sagte eine Sprecherin des Fischer-Verlags.
Das Ministerium hatte den Nachdruck auf Basis einer aktuelleren Ausgabe für den Buchhandel - bereits ohne Danksagung - in Auftrag gegeben und daher die falsch übermittelte digitale Textfahne von 2004 nicht noch einmal bis zur letzten Seite überprüft.
"Durch die Übermittlung der falschen Druckdatei haben wir nun einen Imageschaden, für den wir nichts können", sagte Henning Lipski, Sprecher des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur in Schwerin (hier die Erklärung des Ministeriums). Der Verlag habe sich aber bereit erklärt, alle Kosten für die Rückholaktion zu übernehmen: "Außerdem bedauern wir, dass das erfolgreiche pädagogische Wirken Enja Riegels durch diesen Verweis auf Gerold Becker öffentlich in Mitleidenschaft gezogen wurde."
Die Odenwaldschule in Südhessen tut sich mit der Aufarbeitung der Missbrauchsfälle schwer und leidet seither auch unter finanziellen Folgen - gerade erst hat die Privatschule mit Mühe die Betriebsgenehmigung für ein weiteres Jahr erhalten.
SPIEGEL+-Zugang wird gerade auf einem anderen Gerät genutzt
SPIEGEL+ kann nur auf einem Gerät zur selben Zeit genutzt werden.
Klicken Sie auf den Button, spielen wir den Hinweis auf dem anderen Gerät aus und Sie können SPIEGEL+ weiter nutzen.
Für mehr als 130 Kinder war dies das von ihren Eltern auserwählte Ersatzzuhause: die angesehene Odenwaldschule im hessischen Heppenheim, Kreis Bergstraße
Mit "Die Auserwählten" dreht der WDR jetzt den ersten Film über den systematischen Missbrauch auf dem idyllisch wirkenden Gelände. In den Hauptrollen: Julia Jentsch und Ulrich Tukur.
Tukur spielt Simon Pistorius, den charismatischen und hinterhältigen Schulleiter mit Beziehungen bis in die höchsten Kreise, angelehnt an den verstorbenen Gerold Becker, den Kopf des Missbrauchsnetzwerks.
"Dies hier ist ein Ort - wie ein Paradies für jedes Kind", sagt Julia Jentsch am Set des Films. Umso konträrer sei der systematische Missbrauch, der sich mit diesem "Märchenland" nicht vereinbaren lasse.
Im Frühjahr 2010 erschütterten Berichte die Öffentlichkeit: Ausgerechnet am legendären Vorzeigeinternat vergingen sich der Schulleiter und Lehrer an Schülern.
Vor allem Jungen im alter zwischen zwölf und 15 Jahren sollen so zu Opfern geworden sein. Ausgegangen wird bei einer hohen Dunkelziffer von mindestens 132 Schülern während zwei Dekaden.
Sensibilisierung statt bloßer Aufarbeitung: Regisseur Christoph Röhl will die Täterstrategie und Abwehrmechanismen von Opfern durch den Film thematisieren.
Melden Sie sich an und diskutieren Sie mit
Anmelden