Pausenloch An Bayerns Schulen bleibt das Handy aus

Nachdem Brutalo-Videos auf Schülerhandys gefunden wurden, zieht Bayern Konsequenzen: Ab sofort dürfen Telefone in Schulen zwar mitgebracht, aber nicht mehr eingeschaltet werden – auch nicht in der Pause.

Enthauptungsvideos, Hardcore-Pornos, "Happy-Slapping"-Attacken – was die Polizei in den letzten Wochen bei Handy-Razzien auf Schulhöfen fand, schockierte Eltern und Lehrer. Im Allgäu wurden Horrorclips getauscht wie Fußballbilder, in Baden-Württemberg zeigte eine 14-Jährige Snuff-Videos auf dem Handy-Display herum.

Am Dienstag hat Bayern als erstes Bundesland Konsequenzen gezogen: Das Kabinett beschloss, dass Mobiltelefone künftig an bayerischen Schulen ausgeschaltet sein müssen. Auch in den Pausen müssen die Displays schwarz bleiben – so will es Kultusminister Siegfried Schneider.

Die Schüler dürfen ihre Handys zwar mitbringen, jedoch nur in begründeten Ausnahmefällen verwenden. Wenn etwa ein Schüler krank wird oder aus anderen dringenden Gründen telefonieren muss, kann er den Lehrer um eine Ausnahme bitten, hieß es. Ein allgemeines Handyverbot, wie es  CSU-Generalsekretär Markus Söder gefordert hatte, lehnte das Kabinett allerdings ab.

Mit dem "grundsätzlichen Nutzungsverbot für Handys an unseren Schulen" reagiert Bayern auf die Sicherstellung dutzender Schüler-Handys mit extremen Gewalt- und Porno-Bildern in Immenstadt und Augsburg. "Die Schule ist nicht der Ort zum Telefonieren und schon gar nicht für die Verbreitung jugendgefährdender Machwerke", erklärte Kultusminister Schneider.

Die bayerische SPD begrüßte die Entscheidung, die Grünen sprachen dagegen von einer "völlig unzureichenden Antwort" auf die an Schulen kursierenden Gewaltvideos. "Damit wird das Gewaltproblem nur aus dem Unterricht in die Freizeit verlagert", so die Abgeordnete Simone Tolle.

Handyverbot findet in den Ländern kaum Freunde

Die meisten anderen Bundesländer haben über ein Nutzungsverbot bislang nicht entschieden, lehnen einer Umfrage der Nachrichtenagentur ddp zufolge aber ein generelles Handy-Verbannung aus Schulen ab. Eine derartige Regelung sei weder sinnvoll noch rechtlich durchsetzbar, erklärten Kultusministerien in elf Ländern. Neben Berlin und Brandenburg sind auch Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und das Saarland sowie Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen gegen ein vollständiges Handyverbot.

Die Hamburger Schulbehörde betonte, dass jede Schule in der Hansestadt schon länger Restriktionen verhängen könne. Bislang werde ein Handyverbot jedoch erst an gut einem halben Dutzend der insgesamt 412 Hamburger Schulen umgesetzt, besonders an Schulen in sozial schwachen Stadtteilen mit einem hohen Migrantenanteil, so der Behördensprecher. Auch in den übrigen Bundesländern hieß es, dass die Schulen das Mitführen von Handys in Hausordnungen selbst regeln und gegebenenfalls eigene Verbote oder Einschränkungen erlassen sollten.

Jugendforscher geben zu bedenken, dass Schüler auch schon vor 20 Jahren nicht nur Fußball-Abziehbilder ausgetauscht haben. Auch damals hätten indizierte Brutalo-Videos wie "Gesichter des Todes" die Fantasie und Neugier nach Verbotenem beflügelt und entsprechend die Runde gemacht. Der wesentliche Unterschied zu heute sei die viel einfachere Verfügbarkeit und Verbreitung über das Internet. Per Computer auf das Multimediahandy heruntergeladen und später per Bluetooth-Schnittstelle mal eben in der Schulhofpause von Handy zu Handy weiterverbreitet, bekämen auch schon 14-Jährige oder noch Jüngere die schlimmsten Szenen zu sehen und zu hören.

Hochsicherheitstrakt Schule?

Um das zu verhindern, könne man aber nicht die Schulen einspannen, kritisiert Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes. Vielmehr seien bei dieser Aufgabe in erster Linie die Eltern in der Verantwortung. Sie hätten den direkten Zugriff auf den Medienkonsum ihrer Kinder. Wenn aber zu Hause weggeschaut und weggehört werde, sei es nur eine Frage der Zeit, bis derartige "Schmuddelangebote" an den Schulen ankämen.

Einem Verbot steht Kraus deshalb gegenüber. Die Schulen könnten schließlich nicht durch Taschenkontrollen oder Metalldetektoren in "Hochsicherheitstrakte" verwandelt werden. Ohne begründeten Verdacht dürften Lehrer zudem gar nicht Handys von Schülern untersuchen oder an sich nehmen. Die Forderungen Söders bezeichnet Kraus als "typischen populistischen Aktionismus". Dass nun die gegen derartige Gewaltdarstellungen "völlig machtlose" Politik die Verantwortung auf die Pädagogen abwälze, sei "lächerlich".

Auch der Deutsche Philologenverband sieht das so. "Wenn wir jedes Medium und jede technische Errungenschaft, womit Missbrauch betrieben werden kann, gleich verbieten lassen, dann müssten wir nicht nur Handys an Schulen verbieten, sondern auch sämtliche Computer und alle schulischen Internetanschlüsse kappen", sagte der Vorsitzende Heinz-Peter Meidinger. Allerdings müsse allgemein schärfer gegen Gewaltdarstellungen und Pornografie vorgegangen werden, fordert er. Vor allem so genannte Snuff-Videos, in denen gestellte oder tatsächliche Morde zur Befriedigung des Geschlechtstriebes gefilmt würden, dürften keine Verbreitung finden.

cpa/ddp/dpa/ap

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