Pisa-Studie 20 Prozent deutscher Schüler scheitern an Alltagsproblemen

Jugendliche vor Ticketautomat: Eine neue Pisa-Studie zeigt, wie Schüler mit Alltagsproblemen umgehen
Foto: imagoDie U-Bahn fährt ein, schnell noch ein Ticket kaufen: Tageskarte? Kurzstrecke? Ein Ring? Ermäßigt - oder doch nicht? Eine kleine Entscheidung nur, aber sie lässt täglich Tausende rätseln. Für die Pisa-Studie mussten sich weltweit 15-Jährige mit solchen Aufgaben befassen. Bildungsforscher wollten auf diese Weise testen, wie Schüler Probleme lösen.
Jetzt hat die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) die Ergebnisse vorgestellt: Deutschlands Schüler liegen leicht über dem OECD-Durchschnitt, sie blieben allerdings hinter den Erwartungen zurück. Dabei zeigt sich erneut: Die schwächsten Schüler werden hierzulande vernachlässigt (gesamte Studie lesen ).

Pisa-Beispielaufgaben: "Kaufe eine Karte für den Regionalzug"
Alle drei Jahre beteiligen sich weltweit Zehntausende Jugendliche an der Pisa-Studie. Sie schreiben Tests in Mathe und in den Naturwissenschaften, ihr Leseverständnis wird getestet. Die Ergebnisse präsentierte die OECD bereits im vergangenen Dezember. Daneben untersuchten die Forscher diesmal - wie auch im Jahr 2003 - die sogenannte Problemlösekompetenz. Dieses Mal wurden die Aufgaben rund 85.000 Schülern aus 44 Ländern gestellt.
Wer im Alltag und in der Arbeitswelt bestehen will, so die Forscher, der müsse mehr können, als reines Schulwissen anzuwenden. Wer beim kreativen Problemlösen gut abschneiden will, der müsse offen für Neues sein, müsse "Zweifel und Ungewissheit zulassen und es wagen, intuitiv vorzugehen". Der muss auch mal spontan ein fremdes Handy bedienen können, eine Klimaanlage oder einen MP3-Spieler. Weil die Schüler die Aufgaben am Computer lösten, konnten die Bildungsforscher nachvollziehen: Wie kamen sie zum Ziel? Haben sie nur geraten? Oder verglichen und analysiert? Dementsprechend erhielten sie hinterher unterschiedlich viele Punkte.
Besonders gut schnitten bei diesem Test wieder einmal asiatische Länder ab: Singapur, Korea und die chinesischen Städte Macau, Hongkong und Shanghai stehen erneut an der Spitze. Auch Japan landete weit vorn.
Überdurchschnittlich gute Leistungen zeigten neben Deutschland noch Schüler in Kanada, Australien, Finnland, England, Estland, Frankreich, den Niederlanden, Italien, der Tschechischen Republik, den USA und Belgien.
Schon frühere Studien hatten vor einem "Sockel der Abgehängten" in Deutschland gewarnt, der Bundesbildungsbericht aus dem Jahr 2012 beispielsweise. Auch diese Pisa-Auswertung zeigt: Fast 20 Prozent der deutschen Schüler erreicht nicht das Basisniveau (Level 2 von 6), in etwa gleich viele Jungen wie Mädchen. Sie können also nur sehr einfache Aufgaben bewältigen, ohne vorauszudenken; beispielsweise schaffen sie es, das günstigste Möbelstück aus einem Katalog auszuwählen. Im Vergleich: In Japan und Korea erlangten weniger als 7 Prozent nur das Basisniveau.
Spitzenwerte hingegen erzielten rund 13 Prozent der deutschen 15-Jährigen. Darunter sind deutlich mehr Jungen (60 Prozent) als Mädchen (40 Prozent), dieser Geschlechterunterschied entspricht dem OECD-Durchschnitt. Er ließe sich damit erklären, vermuten die Forscher, dass die Problemlösekompetenz stärker mit einem Grundverständnis für Mathematik zusammenhängt als mit Lesekompetenzen. Und Jungen schneiden in Mathematik in der Regel besser ab, Mädchen beim Lesen.

Zwei Stunden, dutzende Fragen - der Pisa-Test ist eine harte Prüfung für 15-jährige Schüler. Hier können Sie sich durch Beispielfragen zu Mathematik, Naturwissenschaften und Leseverständnis knobeln.
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Häufig zeigen Studien, dass in Deutschland das Elternhaus stark den Erfolg der Schüler bestimmt: Kinder von wohlhabenden Akademikern erzielen oft die besten Ergebnisse. Diese Pisa-Studie zeichnet ein etwas anderes Bild: Der sogenannte sozio-ökonomische Status wirkt sich nicht so stark auf die Problemlösekompetenz aus wie auf die mathematische Leistung. Die Forscher vermuten, dass Jugendliche nach der Schule in ganz unterschiedlichen sozialen und kulturellen Kontexten ihre Problemlösekompetenz trainieren können.
Die Forscher verglichen die Ergebnisse dieser Pisa-Studie auch mit der ersten: Schnitten Schüler beim Problemlösen besser ab oder schlechter? Die Leistungen deutscher Schüler sind niedriger als die Forscher sie angesichts der Ergebnisse in Mathe, Lesen und den Naturwissenschaften erwartet hatten. Das gelte besonders für das schwächste Drittel, teilt die OECD mit. Nur diejenigen Schüler, die in Deutschland schon in den Mathetests Spitzenleistungen zeigten, bewältigten die Probleme sehr gut. Diese Schüler besuchten meist das Gymnasium.
Besonders die ohnehin schon schwachen Schüler werden demnach in Deutschland anscheinend nicht genug unterstützt. Wahrscheinlich, so die Forscher, würden Jungen und Mädchen hierzulande insgesamt bessere Ergebnisse erzielen, würden sie ansprechender gefördert. Nur: Wie kann das gelingen?
Pisa-Studie 2014 - Problemlösefähigkeiten in ausgewählten Ländern und Regionen
Land / Region | Punkte |
---|---|
Singapur | 562 |
Korea | 561 |
Japan | 552 |
Macau (China) | 540 |
Hongkong (China) | 540 |
Shanghai (China) | 536 |
Chinesisch Taipeh | 534 |
Nordwest-Italien | 533 |
West Australia (Australien) | 528 |
Nordost-Italien | 527 |
Kanada | 526 |
Australian Capital Territory (Australien) | 526 |
New South Wales (Australien) | 525 |
Fläm. Gemeinschaft (Belgien) | 525 |
Victoria (Australien) | 523 |
Australien | 523 |
Finnland | 523 |
Queensland (Australien) | 522 |
Deutschsprachige Gemeinschaft (Belgien) | 520 |
South Australia (Australien) | 520 |
England (Ver. Königreich) | 517 |
Estland | 515 |
Mittelitalien | 514 |
Northern Territory (Australien) | 513 |
Frankreich | 511 |
Niederlande | 511 |
Italien | 510 |
Tschech. Rep. | 509 |
Deutschland | 509 |
USA | 508 |
Belgien | 508 |
Madrid (Spanien) | 507 |
Österreich | 506 |
Alentejo (Portugal) | 506 |
Norwegen | 503 |
OECD-Durchschnitt | 500 |
Irland | 498 |
Dänemark | 497 |
Baskenland (Spanien) | 496 |
Portugal | 494 |
Schweden | 491 |
Tasmania (Australien) | 490 |
Russ. Föderation | 489 |
Katalonien (Spanien) | 488 |
Südliche Inseln Italiens | 486 |
Französische Gemeinschaft (Belgien) | 485 |
Slowak. Republik | 483 |
Polen | 481 |
Spanien | 477 |
Slowenien | 476 |
Süd-Italien | 474 |
Serbien | 473 |
Kroatien | 466 |
Ungarn | 459 |
Dubai (Ver. Arabische Emirate) | 457 |
Türkei | 454 |
Israel | 454 |
Chile | 448 |
Südost-Brasilien | 447 |
Mittlerer Westen Brasiliens | 441 |
Süd-Brasilien | 435 |
Brasilien | 428 |
Medellín (Kolumbien) | 424 |
Manizales (Kolumbien) | 423 |
Malaysia | 422 |
Sharjah (Ver. Arabische Emirate) | 416 |
Ver. Arabische Emirate | 411 |
Bogotá (Kolumbien) | 411 |
Montenegro | 407 |
Uruguay | 403 |
Bulgarien | 402 |
Kolumbien | 399 |
Cali (Kolumbien) | 398 |
Fujairah (Ver. Arabische Emirate) | 395 |
Nordosten (Brasilien) | 393 |
Abu Dhabi (Ver. Arabische Emirate) | 391 |
Nord-Brasilien | 383 |
Ajman (Ver. Arabische Emirate) | 375 |
Ras al-Khaimah (Ver. Arabische Emirate) | 373 |
Umm al-Quwain (Ver. Arabische Emirate) | 372 |
Lehrer könnten mit ihren Schüler häufiger Lösungsstrategien im Klassenraum besprechen, empfehlen die Forscher. Schüler sollten häufiger erklären, wie sie eine Aufgabe bewältigt haben. Bildungspolitiker sollten zudem Lehrpläne überarbeiten, um Jugendliche besser darauf vorzubereiten, ihr Schulwissen auch im realen Leben anzuwenden.