Neuer Pisa-Test Wie sozial benachteiligte Schüler erfolgreich werden

Grundschüler
Foto: Peter Steffen/ picture alliance / Peter Steffen/dpaIn der ersten Pisa-Studie im Jahr 2000 gehörte Deutschland zur weltweiten Spitzengruppe - allerdings mit einem schockierenden Ergebnis: In kaum einem anderen Land waren soziale Herkunft und Bildungserfolg so stark aneinander gekoppelt. Wer aus einem ärmeren Elternhaus stammte, vielleicht noch mit Migrationshintergrund und Eltern ohne eigenem Studium, hatte nur geringe Chancen, das Abitur zu erreichen.
Chancengleichheit? Das war plötzlich nicht mehr als ein deutscher Bildungsmythos. Dabei gibt es Möglichkeiten, wie trotz der unterschiedlichen familiären Startbedingungen Schulerfolg gezielt gefördert werden kann. Wie das gelingen kann, haben Bildungsforscher der OECD, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, herausgefunden, die im Auftrag der Vodafone Stiftung die Pisa-Datensätze neu ausgewertet haben. Der Fokus lag dabei auf der Förderung benachteiligter Schüler. Die Studie wurde am Montag in Berlin vorgestellt.
Solide Leistungen - ohne Unterstützung aus dem Elternhaus
Dabei zeigte sich: Schüler aus benachteiligten Elternhäusern sind heute bei Pisa-Tests in Deutschland deutlich erfolgreicher. Waren es im Jahr 2006 gerade mal 25 Prozent sozial benachteiligter Schüler, die trotzdem erfolgreich in der Schule waren, ist die Zahl bei der letzten Pisa-Studie 2015 schon auf 32,3 Prozent gestiegen - ein bemerkenswerter Trend.
Wie schaffen es diese Schüler und ihre Lehrer, den Schulerfolg von der sozialen Herkunft zu entkoppeln? Als "Resilienz" bezeichnen die Wissenschaftler "die psychische Widerstandsfähigkeit des Einzelnen und damit die Fähigkeit, Krisen zu bewältigen und sie als Ausgangspunkt für Entwicklungen zu nutzen".
Im Fall der Schule heißt das: Resilient ist, wer solide Leistungen bringt, obwohl es aus dem Elternhaus kaum Unterstützung gibt. Obwohl zum Haushalt nur wenige Bücher gehören. Obwohl zu Hause eine andere Sprache gesprochen wird als in der Schule.
Welche Faktoren fördern also diese psychische Widerstandskraft in der Schule?
- Einen "entscheidenden Beitrag zur Resilienz benachteiligter Schüler" haben die Forscher in der Zusammensetzung der Klassen ausgemacht. "Benachteiligte Schüler profitieren vom gemeinsamen Unterricht mit bessergestellten Schülern", heißt es in der Untersuchung - ein klarer Hinweis in Richtung eines längeren gemeinsamen Unterrichts.
- Als weiterer "Schlüsselfaktor" kommt das Schul- und Unterrichtsklima hinzu: "Schulen, an denen Schüler den Unterricht als geordnet wahrnehmen, haben einen höheren Anteil resistenter Schüler", so die Wissenschaftler.
- Die oft geführt Debatte um die Größe von Schulklassen sei dagegen weitgehend sinnlos, schreiben die Forscher: "Die Ressourcenausstattung der Schule etwa mit Computern oder die Klassengröße spielen eine untergeordnete Rolle."
SPIEGEL TV über Bildungsnotstand in Deutschland
Was die Forscher raten
Das Fazit der Bildungsforscher: "Der Schulentwicklung kommt eine zentrale Rolle bei der Förderung von Chancengerechtigkeit zu." Sie weisen darauf hin, dass "Aktivitäten jenseits des Unterrichts, wie sie vor allem in Ganztagsschulen angeboten werden, einen positiven Effekt" auf benachteiligte Schüler haben.
Und sie formulieren klare Empfehlungen an die verantwortlichen Bildungspolitiker und Schulleitungen: Ein positives Schulklima lässt sich demnach "durch eine geringe Fluktuation bei den Lehrkräften" sowie einen Führungsstil der Schulleitung erreichen, "der Lehrkräfte, Eltern und Schüler von einer gemeinsamen Mission überzeugt".
Daran, dass trotz aller positiven Entwicklungen der vergangenen Jahre die Chancengleichheit an deutschen Schulen verbessert werden muss, lassen die Forscher allerdings keinen Zweifel. Zwar sei die soziale Herkunft nicht mehr so entscheidend für den Schulerfolg wie noch vor zehn Jahren. Deutschland liege auch beim Anteil resilienter Schüler über dem Schnitt aller OECD-Länder.
Aber: "Die Chancengerechtigkeit in Deutschland hat sich erhöht, liegt aber noch immer unter dem OECD-Durchschnitt."