Preis-Panne Merkel kürt IT-Superlehrer - doch der ist keiner mehr
Olaf Kleinschmidt, 45, war mal ordinärer Mathe- und Physiklehrer. Dann bildete er sich fort zum Informatiklehrer, fasziniert von der Idee, "dass Lernen selbstgesteuert und unabhängig von Ort und Zeit möglich sein muss". Das passt exakt zum Sportgymnasium Magdeburg. Dort sind viele Schüler Weltmeister oder Olympioniken. Kleinschmidt entwarf für sie das Projekt "mobiler Unterricht", kurz "moUnt". Über Handys mit Computerfunktion und Handschrift-Display sandte er ihnen die Hausaufgaben in alle Welt nach.
Inzwischen ist "moUnt" fortgeschritten. Auf sogenannten Tablet-PCs notieren zu Hause in Magdeburg Lehrer und Mitschüler die Tafelmitschriften. Weltklassesportler wie Schwimmerin Antje Buschschulte oder Kajak-Goldmedaillist Andreas Ihle rufen sie dann in Peking auf ihren Tablet-PC und büffeln nach. "Danke für alles, Kleini!", steht meist auf den Autogrammkarten, die Olaf Kleinschmidt dann bekommt.
Der FC Bayern hat sich für Kleinschmidts moUnt-Projekt einst interessiert, damit die Kicker seiner Fußballschule mehr als Toreschießen lernen. Und auch für Angela Merkel und Bill Gates hat der Informatiker Kleinschmidt genau das richtige Format. Er hat den Promi-Faktor, er ist ein Held von Computer und Lernen 2.0 und obendrein Lehrer - der ideale Vorzeigemann also für die Initiative "IT-Fitness". Und den Super-IT-Lehrer-Preis, den Gates und Merkel Anfang des Jahres auslobten.
Rollenmodell für die computermüde Lehrerschaft
Nun bekommt Kleinschmidt am Montag tatsächlich 2500 Euro für Hard- und Software. Er ist dann - zusammen mit einem Hauptschullehrer aus dem Allgäu - der IT-fitteste Lehrer Deutschlands. Als Rollenmodell soll er die computermüde Lehrerschaft anstacheln.
Leider hat der Preis einen schweren Makel: Kleinschmidt hat sich beurlauben lassen. Der fitteste IT-Lehrer hat die Schule verlassen - weil sie ihm zu träge ist.
Kleinschmidt ging es in der Schule mit neuem Lernen und dem Einbeziehen des Computers einfach nicht flott genug. Im Streit getrennt hat er sich von der Elitesportschule nicht, aber der Vorzeigelehrer hätte gern viel mehr erreicht. Es blieb dabei, dass er den eigenen Unterricht in Mathe, Physik, Informatik komplett digitalisierte - in anderen Klassen wurde weiter klassisch mit Tafel und Zeigestock unterrichtet. Kleinschmidts Ideen überzeugten zwar viele Schüler, das Sportförderzentrum und Sponsoren, doch sie erreichten nicht die ganze Schule.
Auch wenn es ihm gelang, Projektmittel und prominente Partner, Beamer und andere Geräte aufzutreiben: Kleinschmidt blieb am Ende ein begeisterter Solist und zog sich deshalb zurück. "Mit modernen IT-Techniken ist es nicht anders als mit dem individuellen Lernen", sagte er SPIEGEL ONLINE, "die Schule stellt sich nur sehr langsam darauf ein." Jetzt betreibt er in Magdeburg eine Firma für mobile IT-Lösungen.
Das ist ein herber Verlust - für die Schule wie auch für Angela Merkel. Kleinschmidts Interesse geht viel weiter, als den Computer fürs Fernlernen zu nutzen. Er ist ein Vorreiter des Lernen 2.0. Kleinschmidt schreibt an seiner Doktorarbeit über das mobile Lernen, in der es um intrinsische Motivation und Schwarmintelligenz geht. Er ist vielfach vernetzt, etwa im MDA-Club der Smartphone-Fetischisten; er gehört der Web 2.0-Gemeinde und dem Archiv-der-Zukunft-Netzwerk der Schulneudenker an.
Landesfürsten zeigen Merkel die kalte Schulter
Dass die Schule einen solchen IT-Pädagogen nicht halten kann, sagt viel über bürokratisierte Lehranstalten im Offline-Modus. Immer noch lassen sie ein Drittel der Schüler im Unterricht nicht an den Computer, ergab die jüngste Umfrage der Initiative IT-Fitness, zu der unter anderem Microsoft, Cisco, die Bahn und die Bundesagentur für Arbeit gehören. Sie verkündet Montagmittag in Berlin die Preisträger.
Am peinlichsten ist der beurlaubte Super-IT-Lehrer aber für Angela Merkel. Ihre Bildungsinitiativen sind rhetorisch ganz gut gemacht - etwa wenn sie mit einem abgewandelten Ludwig-Erhard-Zitat "Bildung für alle" fordert. Da liegt sie richtig im Land der Risikoschüler und Schulabbrecher. Aber Merkel wird, sobald es um Gesetze und Geld geht, stets im Stich gelassen.
Vor wenigen Tagen haben die Ministerpräsidenten der Union ihr für den Bildungsgipfel die Gelb-Rote Karte gezeigt. Die Landesfürsten wollen gern das viele Geld nehmen, das die Bildungskanzlerin investieren will, um den notorischen Rückstand Deutschlands bei den Wissensinvestitionen aufzuholen. Aber sie wollen sich keinerlei Vorschriften machen lassen, wo - und ob überhaupt - das Geld in Kindergärten, Schulen oder Hochschulen fließen wird.
Und nun wird im Namen Merkels ein Lehrer zum Vorbild für seine PC-abstinenten Kollegen ernannt, den die Schule bereits vergrault hat: ein Symbol für die Reformunfähigkeit der deutschen Schule seit Pisa. Bildungsrepublik sieht anders aus.