Prügel an Waldorfschule Acht Lehrer vor Gericht
Kempten - Am Donnerstag beginnt der erste von mehreren Prozessen gegen Waldorf-Pädagogen, die unter anderem Ohrfeigen ausgeteilt haben sollen. Nach Angaben des Gerichts muss sich zunächst ein 35-jähriger Kemptener Lehrer verantworten. Ihm wird vorgeworfen, zwischen September 2001 und Juli 2003 einen Schüler mehrfach traktiert zu haben. So soll er den Schüler von seinem Stuhl hoch gezerrt und dann heftig wieder nach unten gestoßen haben. Nach Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Kempten erlitt dadurch der Schüler eine Steißbeinprellung und verspürte mehrere Stunden lang Schmerzen. Danach soll der Lehrer den Schüler auch noch an die Tafel gezerrt und mit dem Kopf dagegen gestoßen haben.
Ähnliche Vorwürfe, von Ohrenziehen über Ohrfeigen bis hin zu kräftigem Am-Nacken-Packen, haben mehrere Eltern den Ermittlern über das Unterrichtsgeschehen an der Waldorfschule berichtet. Der Geschäftsführer der Kemptener Waldorfschule, Roland Birk, wies die Vorwürfe zurück. "Wir haben Sammelanzeige wegen übler Nachrede und Verleumdung erstattet", sagte Birk. Es habe zwar eine Ohrfeige gegeben und auch das Zurückstoßen auf den Stuhl. Das aber hätten die entsprechenden Lehrer erklärt. Für die Ohrfeige habe es auch beim Schüler und seinen Eltern eine Entschuldigung gegeben. Der Schüler habe zuvor bei einem Schulausflug einen Lehrer mit Farbe bespritzt.
Dem leitenden Oberstaatsanwalt Herbert Pollert zufolge kamen die Ermittlungen durch mehrere Briefe von Eltern eines ehemaligen Schülers an das Staatliche Schulamt, die Staatsanwaltschaft und die örtliche Zeitung in Gang. Später folgten weitere Schreiben und Leserbriefe, so dass die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen ausweitete. Insgesamt müssen sich sieben Lehrer und eine Lehrerin der Waldorfschule vor Gericht gegen die Misshandlungsvorwürfe verteidigen.
"In Liebe erziehen, in Freiheit entlassen"
Die "Allgäuer Zeitung" berichtete bereits im August 2005 über die Vorwürfe gegen Lehrer der Waldorfschule. Darin sprach ein Vater von "Blutergüssen" an den Wangen seines Sohnes und auch von schwerer körperlicher Arbeit von Schülern auf dem Schulgelände. Nach Darstellung von Roland Birk auf der Schul-Homepage hatte die Schule den Vertrag mit den Eltern eines Schülers zum Ende des Schuljahres 2004/2005 gekündigt, weil sich die "Vereinbarungen zum Gedeihen der Zusammenarbeit als leider nicht trägfähig erwiesen" hätten. Daraufhin habe der Vater "uns unter Druck setzen" wollen und angekündigt, die Schule beim Kultusministerium und bei der Staatsanwaltschaft anzuzeigen und die Presse einzuschalten. Andere "ehemalige Eltern unserer Schule" nennt Birk auf der Webseite "Trittbrettfahrer" der "Angriffe".
Waldorfschulen sind Schulen in freier Trägerschaft, an denen nach der von Rudolf Steiner entwickelten Waldorfpädagogik unterrichtet wird. Ein Motto der Schulen lautet: "Das Kind in Ehrfurcht aufnehmen, in Liebe erziehen und in Freiheit entlassen." Bundesweit lernen derzeit knapp 80.000 Schüler an 192 Waldorfschulen, die meisten in Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Bayern.
Eltern entscheiden sich oft für Waldorfschulen, weil sie erwarten, dass ihre Kinder dort einem geringeren Leistungsdruck ausgesetzt sind und dass intensiver auf die Schüler eingegangen wird als an staatlichen Schulen. Zu den Besonderheiten der Waldorfschulen zählt, dass sie von der ersten bis zur zwölften Klassen als Gesamtschulen organisiert sind, dass ein Klassenlehrer bis zur achten Klasse alle Fächer unterrichtet, es viel künstlerischen und handwerklichen Unterricht und kein Sitzenbleiben gibt. Die pädagogischen Konzepte und Wertvorstellungen sind allerdings ebenso umstritten wie die Weltanschauung des Anthroposophie-Begründers Rudolf Steiner.
An der Freien Waldorfschule Kempten", 1981 eröffnet, gibt es 13 Klassen und sieben Kindergartengruppen mit insgesamt rund 500 Kindern und Jugendlichen. Nach eigener Darstellung ist sie 1987 nicht mehr Mitglied in der Dachorganisation Bund der Freien Waldorfschulen, weil es "tiefgreifende Differenzen" über die Autonomie einer Waldorfschule gegeben habe. Der Bund der Freien Waldorfschulen teilte mit, dass er die Kemptener Schule ausdrücklich nicht anerkenne. Aufgrund des zur Zeit der Gründung der Schule fehlenden Namensschutzes dürfe sich die Schule dennoch Waldorfschule nennen.
jol/ddp