Quereinsteiger Böses Blut im Lehrerzimmer

Die Kultusminister werben massiv und bisweilen mit falschen Versprechungen um Quereinsteiger in den Lehrerberuf. Doch denen droht ein Höllenritt: Viele berichten über regelrechtes Mobbing und geben entnervt wieder auf, weil Kollegen sie als "Störenfriede" oder "Hilfslehrer" beschimpfen.
Von Marion Schmidt

Einen "Beruf mit Zukunft" wollte Manuela Garnier ergreifen, so wurde es ihr angepriesen. Einen Beruf, der auch "attraktiv" ist für Seiteneinsteiger wie sie. Garnier hat zwar Pädagogik auf Diplom studiert, ist aber nicht staatlich geprüfte Lehrerin für die Sekundarstufe. Sie glaubte den Versprechungen der Kultusbehörden in Nordrhein-Westfalen, dass sie innerhalb eines Jahres berufsbegleitend für den Schuldienst fit gemacht, danach verbeamtet und gut bezahlt werde.

Von wegen.

Die 45-jährige Pädagogin berichtet, dass sie vom ersten Tag an in den Unterricht voll eingebunden und sogar als Klassenlehrerin eingesetzt wurde. Zeitweise habe sie eine 70-Stunden-Woche gehabt und bis zu sechs Fächer unterrichten müssen, die sie überhaupt nicht studiert hat, obwohl ihre Fächer Musik und Religion als Mangelfächer gelten. Obendrein sei sie eine Gehaltsstufe niedriger eingestuft worden als die anderen Lehrer.

Manuela Garnier beschwerte sich, weigerte sich, weiter fachfremd zu unterrichten und wurde abgemahnt. Sogar ein Disziplinarverfahren sei ihr angedroht worden, falls sie sich öffentlich äußere. Deshalb heißt Manuela Garnier auch anders als hier.

Heiß umworben und kalt abgeblitzt

Das Beispiel zeigt: Den von den Kultusministern heiß umworbenen Quereinsteigern wird mitunter übel mitgespielt. Sie werden nicht nur wie Manuela Garnier mit falschen Versprechungen gelockt, sondern stoßen obendrein auch im System Schule auf massive Akzeptanzprobleme.

Marietta Anton zum Beispiel wollte gern zur Berufsschullehrerin umsatteln. Als die gelernte Betriebswirtin sich im Internet zum Thema informierte und Kontakt zu Lehrern suchte, wurde sie als "Störenfried" beschimpft und musste sich vorhalten lassen, sie sei nicht qualifiziert für den Unterricht und nur an einer sicheren Stelle interessiert. Außerdem würde sie voll ausgebildeten Lehrern eine Stelle wegnehmen. Ein angehender Berufsschullehrer prophezeit ihr gar: "Für Quereinsteiger ist die Berufsschule ein Höllenritt!"

Damit hatte Marietta Anton nicht gerechnet. "Eigentlich sollten die Lehrer doch froh sein, dass Seiteneinsteiger den Unterrichtsausfall beheben", sagt sie, "wenn die Überstunden machen müssten, wären sie bestimmt sofort dafür." Stattdessen müsse man sich als Quereinsteiger von "neidigen Kollegen" mobben lassen.

"Die bringen es eben nicht"

Jetzt überlegt Mariettea Anton, ob das Lehramt überhaupt die richtige Wahl ist: "Ich habe wohl zu wenig Beamtenmentalität und zu viel Marktwirtschaft im Blut", meint sie.

Auch Manuela Garnier denkt schon darüber nach, wieder in die Wissenschaft zu gehen. Immer mehr Quereinsteiger fühlen sich offenbar abgeschreckt. Rund 80 Prozent, sagt der Ulmer Erziehungswissenschaftler Ulrich Herrmann, geben bald wieder auf.

Kein Wunder: In den Lehrerkollegien wird hinter vorgehaltener Hand über die "Hilfslehrer" gelästert, ihnen fehle die pädagogische Qualifikation. Und wenn sie mal mit Schülern nicht klar kommen, heißt es gleich: Die bringen es eben nicht. Ein Bremer Lehrer etwa wettert in einem Online-Forum gegen "diplomierte Fachkräfte als Ersatzlehrer" und fragt polemisch: "Oder würden Sie sich von einer Krankenschwester auch operieren lassen?"

Voll ausgebildete Lehrer reagieren neidisch

Die Quereinsteiger müssen nun ausbaden, was die Kultusminister mit ihren hektisch zusammengeschusterten Notprogrammen angerichtet haben - und als "Lückenbüßer für eine verfehlte Bildungsplanung" herhalten, schimpft Torsten Fust von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Weil bis zum Jahr 2010 etwa 300.000 Lehrer in Ruhestand gehen und die frei werdenden Stellen nicht annähernd durch ausgebildete Lehrer besetzt werden können, werben die Länder seit etwa zwei Jahren massiv Diplom-Absolventen an. Allein im letzten Jahr wurden nach Berechnungen der Kultusministerkonferenz 1152 Seiteneinsteiger zu Lehrern.

Das sind zwar nur 4,3 Prozent aller Neueinstellungen, aber die Steigerungsraten sind enorm: Im Vergleich zum Vorjahr wurden 36 Prozent mehr Seiteneinsteiger ins Lehramt geholt. In Nordrhein-Westfalen ist bereits die Hälfte aller neu eingestellten Berufsschullehrer ohne Staatsexamen. "Das ist einfach zu viel", sagt der Erziehungswissenschaftler Ewald Terhart von der Uni Münster. Und Günter Besenfelder vom Berufsschullehrerverband ortet Akzeptanzprobleme und "Verwerfungen" in den Kollegien.

Manche Referendare fühlen sich um ihre längere Ausbildung betrogen, wenn an ihnen Quereinsteiger mit fester Stellenzusage vorbeiziehen. Dringend benötigte Fachlehrer, etwa für Informatik, werden nicht selten sofort mit A12-Besoldung angeworben, während Studienreferendare mit 950 Euro manchmal weniger verdienen als die Lehrlinge, die sie unterrichten. Da macht sich dann schnell Frust über die Quereinsteiger breit.

Klagen über gebrochene Zusagen

Die wiederum fühlen sich als Lehrer benachteiligt und von Kultusbeamten schikaniert. So sei umsteigewilligen Diplom- und Magister-Absolventen in Nordrhein-Westfalen beispielsweise erst eine Verbeamtung in Aussicht gestellt und dann wieder zurückgezogen worden, erzählt die ebenfalls betroffene Dörte Dierkes, die an einer Hauptschule Musik und Englisch unterrichtet. Auch seien Quereinsteiger entgegen der Auskunft dann doch eine Besoldungsstufe niedriger eingeordnet worden, was immerhin rund 300 Euro Unterschied im Monat bedeutet.

Dörte Dierkes fühlt sich von der Landesregierung schlicht "gelinkt". Und will jetzt gemeinsam mit 13 weiteren Quereinsteigern aus dem Schulbezirk Detmold gegen diese Benachteiligungen klagen. "Wir haben in der freien Wirtschaft 20 Jahre gut gearbeitet und verdient - warum soll uns das jetzt anders gehen?", fragt die 45-Jährige, die vorher in der Geschäftsleitung eines Maschinenbauunternehmens tätig war.

Inzwischen hat die NRW-Landesregierung ihr Quereinsteiger-Programm nachgebessert. Eine neue Ausbildungsverordnung der Schulministerin Ute Schäfer (SPD) soll zum 1. August in Kraft treten. Danach wird der berufsbegleitende Vorbereitungsdienst für Quereinsteiger demnächst zwei Jahre dauern und mit der Zweiten Staatsprüfung abschließen. Anschließend hätten, so Schäfer, die Seiteneinsteiger dieselben laufbahn- und besoldungsrechtlichen Perspektiven wie andere Lehramtsanwärter.

Das hilft Dierkes und ihren Mitstreitern aber auch nicht mehr: Rückwirkend soll die Verordnung nicht gelten. "Wenn wir jetzt alle kündigen würden, könnten wir zu viel besseren Bedingungen wieder anfangen", meint Dierkes, "aber das ist doch absurd."

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren