Rappen als Schulfach "In fünf Minuten sind wir wieder fresh"

Rafael Szulc alias Spax: "Mir geht es nicht darum, dass die Schüler alle Rapper werden"
Foto: Birk GrülingGerade hat es zur großen Pause geklingelt, als Rafael Szulc, wie Spax im richtigen Leben heißt, mit seinem Auto auf den Lehrerparkplatz einbiegt. Wie ein großer dunkler Klotz erhebt sich die Realschule in einem sozial schwachen Viertel Hannovers. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, und die Häuserblocks der Nachbarschaft sind grau.
Schon beim Aussteigen fällt Spax auf, mit seinen knallgrünen Sneakern und dem nicht weniger grellen T-Shirt wirkt er wie ein belebender Farbklecks im Straßengrau. Mit einem breiten Grinsen und einer kleinen Mappe unterm Arm steuert er auf den Eingang zu. Hier und da einen Schüler grüßend, geht er hoch zum Musikraum. Auf dem Flur riecht es nach Putzmittel, und ein paar Kinder aus der Klasse warten schon vor der Tür. Alles wirkt wie ganz normaler Schulalltag, außer dass hier hinter der weißen Tür des Klassenraums nicht Mathe oder Deutsch unterrichtet wird, sondern Rap.
Nach dem zweiten Klingeln trudeln die Schüler langsam ein. "Hallo, Herr Spax", grüßt ein Junge und wirft seinen Rucksack auf den Tisch. Schon eine Minute später herrscht völlige Stille, und Spax fragt nach den Erkenntnissen der letzten Wochen. "Ich hasse und ich liebe" ist das Thema, dazu sollen die 17 Schüler des Wahlpflichtkurses einen Rapsong schreiben.
"Bist du auf einem Wörterbuch eingeschlafen?"
Der Text ist schon fast fertig, gemeinsam mit ihrem rappenden Lehrer soll heute nur noch an Feinheiten gearbeitet werden. Die Reime kommen von den Schülern, Spax selbst gibt nur die Hilfestellungen beim Finden der richtigen Worte. Auf die Frage, was sie gelernt hätten, kommt die Antwort eines Schülers: "Wir haben gelernt, dass Rap nicht nur Beleidigung ist." Sein Sitznachbar fügt hinzu: "Wir haben versucht, unsere Gefühle zu erkennen." Spax nickt zustimmend: "Ich sage immer, es gibt keine schlimmen Worte, entscheidend ist nur der Umgang mit ihnen. Ich vergleiche das gern mit einem Messer: Man kann jemanden damit verletzten, aber gleichzeitig auch Brot schneiden."
"Ich hasse Eltern, die ihre Kinder schlagen und die Zukunft stören und eine Sünde tragen" - über diese Zeilen brüten die Schüler, als es zur Pause klingelt. Spax unterbricht die Arbeit und verkündet: "Pause! In fünf Minuten sind wir wieder fresh." Während die Schüler aus dem Raum eilen oder sich auf den Tisch des Nachbarn legen, ist Spax zufrieden: "Jede Stunde ist anders, man muss sich immer wieder auf die Schüler einlassen. Zum Glück habe ich einen Vorteil. Ich bin flapsiger als ein normaler Lehrer und darf ganz anders mit den Schülern umgehen."
Obwohl es bereits die sechste Stunde ist, kommen die Schüler erstaunlich motiviert in die Stunde zurück. Immerhin geht es ja um ihr eigenes Lied. "Ich hasse es, mich selbst unter Druck zu setzen und mein wahres Ich falsch einzuschätzen", reimt Emre, 15, gleich drauflos. Für die Zeile bekommt er Lob von seinen Mitschülern. "Bist du auf einem Wörterbuch eingeschlafen?", fragt auch Spax begeistert.
Damit ist der Song fertig, und schon bald soll er im Studio aufgenommen werden. "Ich finde, dass die Studiosituation eine gute Erfahrung für die Schüler ist. Sie sehen, wie CDs aufgenommen werden, und hören einmal ihre eigene Stimme über das Mikrofon", beschreibt der Rapper. "Nebenbei werden noch Dinge wie Reimschema und Betonung von Gedichten erarbeitet."
Kontinuierliche Musikprojekte an Schulen eher selten
Projekte wie an der Geschwister-Scholl-Schule in Hannover sollte es durchaus häufiger geben, dieser Meinung ist auch Musikpädagogik-Professor Hans Bäßler von der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover: "Alle Genres der Musik können Gegenstand des Unterrichts sein. Als Musiklehrer müssen wir viel stärker danach schauen, in welchen musikalischen Welten die Schüler leben. Musik selbst ist in der Freizeit emotional so positiv besetzt und gleichzeitig der Musikunterricht so unbeliebt, aus diesen beiden Fakten erkennt man schon, wie viel Potenzial ungenutzt bleibt."
Ein Eindruck, der sich schnell bestätigt, so ist Spax zwar als Dozent gefragt und gibt in ganz Deutschland HipHop-Workshops, doch Geld- und Auftraggeber sind meist keine Schulen, sondern Jugendzentren und Vereine. Kontinuierliche Schulprojekte wie in Hannover sind derzeit noch eine Seltenheit.
Nur HipHop im Unterricht zu fördern, wäre natürlich zu einseitig, viel eher geht es um mehr Offenheit im Unterricht für die Lebenswelt der Schüler. "Von Workshops mit Experten, sei es nun zum Thema HipHop oder auch Klassik, profitieren nicht nur die Schüler, sondern auch die Lehrer. Das Gemeinschaftsgefühl ist gerade in der Kunst, ohne richtig oder falsch, sehr gewinnbringend", erklärt Bäßler.
Auch für Spax selbst sind die Ziele klar: "Einen eigenen Song zu schreiben, ist für die Schüler ein großartiges Gefühl und sich selbst Rappen zu hören, etwas ganz Neues. Mir geht es nicht darum, dass die Schüler alle Rapper werden, sondern vielmehr darum, dass sie etwas Neues kennenlernen."
Von Birk Grüling für das Jugendmagazin "Yaez"