
Allein auf Recherche: Das Gefühl der Freiheit
Abenteuer-Stipendium für Jugendliche "Das hat mich unheimlich wachsen lassen"
Was haben Schafe, Flügelanzüge, Atomkraftwerke und Clowns gemeinsam? Sie sind Forschungsthemen von Jugendlichen, die ihre Sommerferien mit Recherchereisen verbracht haben. Sie zogen als Wanderhirten durch die Alpen und lebten bei Atomgegnern. Sie spielten Clown in einer Zirkusschule und blickten mit Base-Jumpern in den Abgrund. "Diese Reise hat mich unheimlich wachsen lassen", findet die 19-jährige Stephanie. Sie ist eine von knapp 40 Stipendiaten der ZIS-Stiftung, die eine vier- bis sechswöchige Studienreise zu einem selbst gewählten Thema unternahm.
Was sie in Frankreich, Norwegen und der Schweiz erlebt haben, erzählen hier Michael de Mourgues, Luna Boden, Stephanie Horak und Miriam Schmidt.
Michael in Frankreich: Fakten, Fakten, Fakten

Michael, 19, studiert Physik und Philosophie in München
Foto: Michael de Mourgues"Ich war in Frankreich zum Thema Atomkraft unterwegs. Ist die Kernenergie für uns alle eine große Bedrohung? Oder ein Segen? Ich wollte alle Argumente kennenlernen. Mit den 600 Euro Budget bin ich locker ausgekommen. Die ersten Wochen habe ich bei Atomkraftgegnern gewohnt. Unser Essen holten wir vom Bauernhof und kochten viel selbst. Wir haben fachliche Gespräche über die Atomkraft, Energieversorgung und Unfallrisiken geführt. Es waren leidenschaftliche Menschen, sie achteten auf die Herkunft von Produkten und auf ihren Stromverbrauch.
Einen weiteren Teil meines Aufenthalts verbrachte ich mit Studenten der Elitehochschule École Polytechnique. Sie absolvierten gerade ein Atomkraft-Praktikum in Cadarache, dort wird ein neuer Kernfusionsreaktor für internationale Forschungszwecke gebaut. Die Menschen hier waren wissenschaftlich-distanziert, das gefiel mir, aber sie gingen teilweise unverantwortlicher mit Energie um. Doch jede Seite, Gegner und Befürworter der Atomkraft, stellte ihre Argumente überspitzt einseitig dar. Ich habe durch die Reise ein paar positive Aspekte an der Atomkraft kennengelernt, von denen ich in Deutschland noch nicht gehört hatte. Der größte Gewinn meines Trips nach Frankreich war aber das Gefühl der Freiheit: Nie zuvor war ich morgens aufgestanden, komplett auf mich allein gestellt und selbst verantwortlich für mein Tun. Ich fühlte mich stark und frei."
Stephanie in Norwegen: Leuchtende Gesichter

Stephanie, 19, plant ein Multimedia-Studium in Ansbach
Foto: Stephanie Horak"Ich hatte mir schon oft vorgestellt, ich würde mit guten Freunden eine Aktion planen: Wir würden uns heimlich vom Nürnberger Fernsehturm werfen. Benebelt von den Glücksgefühlen nach der sicheren Landung würden wir uns abklatschen, mit dem Fluchtauto davon fahren und uns nicht erwischen lassen. Base-Jumper, das sind Leute, die mit einem Fallschirm von Objekten springen, von Häusern oder Klippen. Es gibt vielleicht ein paar Tausend von ihnen. Sind das Draufgänger? Oder stille Helden?
Ich wollte es herausfinden und fuhr nach Norwegen, gerade mal zwölf Stunden nach meiner letzten Abi-Prüfung. Dort gibt es steile Fjorde, von denen sich die Baser mit speziellen Fallschirmen hinabstürzen, dabei tragen manche auch einen Wingsuit, einen Flügelanzug. In Lysebotn traf ich die Extremsportler im Stavanger Base Klubb und sah die vor Glücksgefühlen leuchtenden Gesichter derjenigen, die nach einem Sprung wieder gelandet waren. Auch auf einem großen Base-Jumping-Event war ich, bei dem die Springer in kürzester Zeit mit Helikoptern zu den Exits geflogen wurden, die man ansonsten erst nach mehrstündigen Aufstiegen erreicht. Es waren wunderschöne, magische Orte.
Diese Reise und ihre Regeln haben mich unglaublich wachsen lassen. Die meiste Zeit der Reise habe ich wild gezeltet, auf dem Campingkocher Nudeln, Reis und Tomatensuppe zubereitet. Ich wusch mich im eiskalten Fluss, eine Toilette gab es im 500 Meter entfernten Fährhäuschen.
Einen Nachmittag lang schrieb ich einen Brief an meine Eltern, in dem ich ihnen erklärte, dass auch ich später in diesen Sport einsteigen möchte, und bat sie um ihr Verständnis. Aber bis zum ersten Sprung möchte ich mir noch ein paar Jahre Zeit lassen."
Miriam in Frankreich: Die Welt der Clowns

Miriam, 21, studiert Kulturwissenschaft in Hildesheim
Foto: Miriam Schmidt"Seinen eigenen Clown zu finden, braucht viel Zeit. Nur durchs Spielen findet man ihn, und manche sagen, es dauert mehr als zehn Jahre, bis man seinen Clown gefunden hat. Bei der Clown-Kultur geht es nicht um tollpatschige Tölpel, wie viele denken. Der heutige Clown in Frankreich ist eine Meditation, eine psychologische Gestalt, er reagiert auf den Moment. Traurigkeit, Einsamkeit und das Menschsein spielen dabei eine große Rolle.
Ich bin diesen Clowns nachgereist - ich war in Lyon, Toulouse, Nantes, Montreuil und Paris. In einigen Städten schlief ich bei Studenten oder bei Clowns, in Paris hat mich spontan eine französisch-algerische Familie aufgenommen. Improvisation war mein großes Thema: Spontan bin ich etwa nach Toulouse zu einer Zirkusschule getrampt, weil die mir empfohlen worden war. Als ich den Schriftsteller Francois Cervantes, der Theaterstücke für Clowns schreibt, interviewen wollte, stellte er mir mehr Fragen als ich ihm. In Marseille lebte ich eine Woche bei dem Zirkusdirektor Daniel Gulko und sah bei der Probenarbeit mit einer Tänzerin zu. Sie banden mich spontan ins Spiel mit ein, und ich konnte selbst eine clowneske Gestalt spielen.
Nach einigen Wochen war ich selbst eine bekannte Figur und wurde in der Clownszene regelrecht herumgereicht: "Von dir habe ich schon gehört", sagten die Leute, wenn ich mich in einer neuen Stadt mit meinem Studienprojekt vorstellte. Der kreative Input der Reise wirkt immer noch nach und ist eine Bereicherung für mein Studium und mein eigenes künstlerisches Schaffen."
Luna in der Schweiz: Unter Schafen

Luna, 21, macht ein Freiwilliges Soziales Jahr in einem Berliner Kindergarten
Foto: Luna Boden"Als ich mich für das Stipendium bewarb, wollte ich zunächst mit dem Fahrrad durch Norwegen. Dann aber sah ich einen Film über Wanderhirten. Bisher kannte ich Hirten nur aus dem Religionsunterricht und hatte eine romantische Vorstellung davon. Ich hatte keine Ahnung von der Verantwortung für eine Herde, oder davon, was es heißt, immer draußen zu sein. Ich habe in der Schweiz drei Bauernhöfe besucht, Wanderhirten getroffen und lebte zusammen mit Hunderten Schafen, es waren Bündner Oberländer und Waliser Schwarznasenschafe.
Wem für eine ausgefallene Sommerreise in den Ferien das nötige Kleingeld fehlt, kann sich bei der ZIS-Stiftung für Studienreisen bewerben. Jedes Jahr werden bis zu 60 Jugendliche zwischen 16 und 20 Jahren gefördert, deren Recherche-Ideen und Reisepläne von einer ehrenamtlichen Jury ausgewählt werden. Allerdings gibt es Auflagen: Die Stipendiaten dürfen weder mit einem Flugzeug reisen noch im Hotel wohnen, insgesamt dürfen sie für die Reise, die mindestens vier Wochen dauern soll, nicht mehr als 600 Euro ausgeben.Die Zis-Studienreisen
Es war eine harte körperliche Arbeit: Wenn man etwa 700 Tieren die Klauen schneidet, dauert das mehrere Tage. Im Frühjahr und im Herbst wird geschoren, und ich packte mit an. Dabei lag das Tier auf dem Rücken, und ich klemmte die Vorderläufe zwischen meine Beine. So hatte ich das Schaf unter Kontrolle und gleichzeitig die Hände frei, um Po-, Bauch- und Halspartie zu scheren. Der ganze Hof war mit einer dicken Schicht Fell bedeckt. Ich weiß nun auch, wie man kranke Tiere pflegt, die etwa Schafräude haben, Würmer oder entzündete Klauen. Ich habe zarte neugeborene Lämmer bewundert und mich mit sterbenden Tieren auseinandergesetzt. Selbst so zu leben, kann ich mir nicht vorstellen. Vielleicht könnte ein längerer Aufenthalt in den Bergen meine Meinung aber ändern."