Religionsstreit an bayerischer Schule "Atheisten sind dumm"

Ein Schulleiter will eine staatliche Realschule bei München auf streng christlichen Kurs bringen: Er hängt Kreuze in die Klassen und möchte tägliche Gebete einführen. Laut Gesetz darf er das - doch Eltern und Schüler wehren sich.
Kreuze im Klassenzimmer (Archivbild): Darüber streiten Eltern und Lehrer mit dem Schulleiter in Geretsried

Kreuze im Klassenzimmer (Archivbild): Darüber streiten Eltern und Lehrer mit dem Schulleiter in Geretsried

Foto: Karl-Josef Hildenbrand/ picture alliance / dpa

Die Aussage soll in einer Vertretungsstunde in der 10e gefallen sein. Der Schulleiter der Realschule Geretsried betrat die Klasse. Es sollte, so schildert es ein Lehrer der Schule, ein Gebet gesprochen werden, einige Schüler wollten aber offenbar nicht. Eine Diskussion entspann sich. Am Ende sagte der Schulleiter den Satz, der Lehrer, Eltern, Schüler aufregt: "Atheisten sind dumm."

Nicht alle Schüler der Schule sind getauft. Einige Lehrer glauben nicht an Gott, etwa der Biologielehrer der 10e; die Schüler wissen davon. Sagt der Rektor also, dass an der Schule dumme Lehrer unterrichten? Dass man glauben muss, um an dieser bayerischen Schule klug zu werden?

In Geretsried geht es längst um Grundsätzliches: Wie viel Religion darf es an einer staatlichen Schule geben?

Seit Oktober 2013 ist der Realschulleiter im Nebenjob Diakon, ein kirchlicher Gemeindehelfer, vom Bischof im Augsburger Dom durch Handauflegen zu geistlicher Tätigkeit ermächtigt. Eltern und Lehrer, mit denen man spricht, beschreiben den Rektor als missionarisch. Ein Vater erzählt, der Schulleiter habe seine Tochter ungefragt gesegnet, als sie mit einem Lutscher im Mund während der Fastenzeit im Schulsekretariat auftauchte. "Man kann nicht an einer staatlichen Schule seine persönliche Glaubensrichtung durchsetzen", findet Peter Schneider, der ehemalige Vorsitzender des Elternbeirates.

"Ich muss das nicht begründen, weil es so in der Bibel steht"

Sind Atheisten dumm? Im November 2014, kurz nach der Vertretungsstunde, kommt der Rektor mit dem Nebenjob als Diakon bei der heiligen römisch-katholischen Kirche noch einmal in die 10e. Er will "Missverständnisse" klären. Doch die Stunde eskaliert.

Der Rektor verteilt einen Artikel von der erzkatholischen Nachrichtenseite kath.net, den die Schüler lesen sollen. Ein Wiener Geistlicher argumentiert in dem Text auf verschwurbelte Art, warum es durchaus legitim sei, Atheisten als dumm zu bezeichnen: Atheisten benähmen sich wie Krebskranke, die freudestrahlend verkünden, dass es keine Therapie für sie gäbe, steht in dem Text.

Ebenso verworren verläuft die anschließende Diskussion mit der Klasse. Der Schulleiter will darlegen, warum er das eine sagt, ohne das andere zu meinen. Warum er Atheisten zwar für dumm hält, damit aber keine atheistischen Kollegen für dumm erklärt haben will.

Er schreibt an die Tafel: "Atheisten sind dumm." Darunter: "Ich wage es nicht, jemanden dumm zu nennen." Das Wort "jemanden" wird unterstrichen.

"Das sind zwei Aussagen, die gegeneinander stehen", sagt eine Schülerin.

"Okay", erwidert der Rektor.

"Wir sagen, die Aussagen widersprechen sich, und Sie sagen 'Okay'?"

"Ich muss das nicht begründen, weil es so in der Bibel steht." Er erwarte so viel Toleranz von der Klasse, dass er aus der Bibel zitieren dürfe.

"Was würden Sie sagen, wenn jemand sagt, Christen oder Katholiken sind dumm?"

"Dann würde ich sagen: Stimmt. Christen sind oft die Dummen. Zum Beispiel die Christen in Syrien."

Wörtlich steht der Dialog in einem Protokoll, das eine Vertrauenslehrerin während der Stunde anfertigte. Der Schulleiter hat es unterschrieben.

Ehrfurcht vor Gott - im Freistaat ein Bildungsziel

Man würde gern mit ihm selbst darüber sprechen, wie er seine Rolle als Geistlicher in einer staatlichen Schule sieht. Doch an der Schule erreicht man ihn nicht, auf E-Mails reagiert er nicht. Ruft man zu Hause an, hebt die Frau ab und sagt, dass es keine Interviews gibt. Dann legt sie auf. Über Gott diskutiert man nicht.

Der Atheismus-Streit ist nicht der erste Fall, in dem der Rektor mit seinen religiösen Ansichten aneckte. Als er seinen Dienst an der Schule antrat, so vertraute der Pädagoge mit geistlicher Zusatzqualifikation einmal einem Lokalreporter an, habe er sich gewundert, dass in den Klassen keine Kreuze hängen. Das wollte er ändern. Viele Lehrer sahen den Vorstoß für mehr christliche Symbolik kritisch, die Schülerschaft sei zu heterogen, die Tradition der Schule eine andere. Doch der Rektor konterte - mit der bayerischen Verfassung. Darin heißt es, Artikel 131, Absatz 2: "Ehrfurcht vor Gott" sei eines der obersten Bildungsziele im Freistaat. Also auch an dieser Schule.

Auf einem Adventsbasar in der Pausenhalle segnete der Rektor, gekleidet in sakrale Tracht, die Kreuze. Eine eigenartige Zeremonie sei das gewesen, sagen einige, die dabei waren. Schüler liefen durcheinander, kaum jemand hörte zu, Jugendliche bekamen Weihwasserspritzer ab. "Nur die wenigsten Schüler und Eltern schenkten der 15-minütigen Segnungs-Zeremonie durchgehend ihre Aufmerksamkeit", notiert ein Lokalreporter lakonisch. Seither hängen die Kreuze in den Klassen.

Der geweihte Rektor ging noch weiter: Er wollte ein tägliches Gebet für die Schüler einführen. Wieder sah er das Recht auf seiner Seite: In den Schulnachrichten verwies er im Dezember 2014 "aus gegebenem Anlass" auf einen Rundbrief des bayerischen Kultusministeriums von 1987 ("hat bis jetzt Gültigkeit").

Eltern protestieren gegen Schulgebete

Darin heißt es: "Wenn auch die unmittelbare religiöse Unterweisung und die Vermittlung von Glaubensinhalten spezielle Aufgaben des Religionsunterrichts sind, so muss der Verfassungsauftrag der Erziehung zur Ehrfurcht vor Gott (Art. 131 Abs. 2 BV) doch auch im übrigen Unterricht wirksam werden." Und außerdem: "Das Staatsministerium weiß es zu würdigen, dass an vielen Schulen das Schulgebet seit jeher regelmäßig, von Schülern und Lehrern aus eigener Überzeugung bejahte und geübte Praxis ist."

Man mag sich darüber wundern, dass sich die Trennung von Staat und Kirche im bayerischen Schulrecht noch immer nicht durchgesetzt hat. Noch mehr verwundert aber, mit welchem Nachdruck ein Schulleiter die Religion ins Schulleben pressen will.

Auch der Elternbeirat protestierte. "Im Religionsunterricht muss jede/r Schüler/in und jede/r Lehrer/in selber entscheiden können, ob er ein Gebet spricht oder daran teilnimmt. In anderen Fächern ist ein Gebet unerwünscht", schreibt das Gremium dem Rektor. Den Brief ließen sie im Januar in den Schulnachrichten abdrucken, sodass alle ihn lesen können. Die Gebete wurden vorerst nicht eingeführt.

Der Konflikt hat nun offenbar Folgen für die Schule: Der "Münchener Merkur"  berichtet, dass laut Kultusministerium die Anmeldezahlen für das kommende Schuljahr zurückgegangen sind. Das Ministerium hat mittlerweile einen Mediator nach Geretsried geschickt, der die Wogen glätten soll. Gesehen habe man ihn, sagt ein Lehrer, aber nur einmal ganz kurz. Von hinten.

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