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Schüler in Japan: Jugend ohne Schlaf

Foto: © Toru Hanai / Reuters/ REUTERS

Schüler in Japan Schlaflos in Tokio

Nach Mitternacht ins Bett, um fünf Uhr wieder raus: Nirgendwo schlafen Schulkinder so wenig wie in Japan, viele lernen sogar schon vor Unterrichtsbeginn. Die Regierung hat nun einen schlauen Ratschlag parat.

Eine Mutter macht sich Sorgen um ihre Tochter. Um 5 Uhr morgens stehe das Kind auf, um zu lernen. "Sie zieht sich an, frühstückt und lernt, bis sie zur Schule geht", schreibt die japanische Mutter in einem Onlineforum der Tageszeitung "Yomiuri Shimbun". Die Tochter besucht noch die Grundschule und bereitet sich auf die Aufnahmeprüfung für eine angesehene Junior High School vor.

"Nach der Schule macht sie Hausaufgaben, kurz nach vier isst sie ein bisschen, geht dann zur Paukschule" - so heißen in Japan außerschulische Nachhilfeeinrichtungen, die viele Schüler besuchen. Auch wenn kein Unterricht mehr stattfinde, bleibe sie bis 22 Uhr, "bis die Schule schließt, und lässt sich von den Lehrkräften betreuen". Nachdem sie ihre Tochter abgeholt habe, esse das Mädchen und lerne weiter, "bis ich sie nach Mitternacht ins Bett zwinge".

Was die Japanerin schildert, gehört für viele Schüler in der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt zum Alltag, immer mehr leiden unter einem extremen Schlafdefizit. Nach einer Untersuchung des Kultusministeriums schlafen japanische Kinder im internationalen Vergleich am wenigsten. Etwa 30 Prozent der Kinder unter vier Jahren gehen später als 22 Uhr ins Bett. Gut ein Viertel aller Neuntklässler schlafen erst zwischen 22 und 23 Uhr ein, fast 20 Prozent sogar erst zwischen Mitternacht und 1 Uhr morgens.

Zu erschöpft, um aufzustehen

Als eine Ursache gilt der immer stärker werdende Leistungsdruck. Zwar bescheinigen Experten dem hochindustrialisierten Land, dass es den Kindern materiell und körperlich so gut gehe wie noch nie. Doch Japans Kinder werden immer früher auf schulischen Erfolg getrimmt. Um mithalten zu können, besuchen sie außerschulische Nachhilfeeinrichtungen bereits im Vorschulalter. Viele halten den Druck nicht aus und klappen irgendwann zusammen.

Einer Erhebung der Regierung zufolge gehen in Japan zurzeit 120.000 Kinder unter 16 Jahren nicht mehr zur Schule. Etwa ein Drittel der Betroffenen nennt als Grund ihren gestörten Tagesrhythmus. Sie sagen, dass sie es morgens vor Erschöpfung einfach nicht mehr aus dem Bett schaffen. Das berichtet der TV-Sender NHK in einer Sendung mit dem Titel "Gehirn der Kinder funkt SOS".

Ein weiteres Problem: das Internet

Als weiterer Grund für den Schlafmangel gilt auch die viele Zeit, die Kinder im Internet verbringen. Laut einer Umfrage in der Provinz Kanagawa, in der neben Tokio und Osaka die meisten Kinder leben, verbringt knapp die Hälfte mehr als drei Stunden täglich im Internet. Rechnet man die Zeit in der Schule dazu, in den Paukschulen und den obligatorischen Sportklubs, bleibt kaum noch Zeit zum Schlafen.

Von den Kindern, die nicht einmal auf fünf Stunden Schlaf kommen, verbringen laut Umfrage 73 Prozent täglich mehr als drei Stunden im Internet. Viele verzichten auf das Frühstück. "Ich fürchte, es wird künftig noch mehr solcher Fälle geben", sagt Kinderarzt Teruhisa Miike. Die Eltern seien den schlaflosen Kindern dabei keine Vorbilder. Eine Studie zufolge arbeitet etwas ein Drittel der japanischen Väter elf oder mehr Stunden täglich, in Städten deutlich länger als auf dem Land. In den Städten kommen zudem noch lange Pendelzeiten hinzu.

Experten machen deshalb auch den Lebensstil der Erwachsenen mitverantwortlich für den Schlafmangel ihrer Kinder. Sie raten davon ab, kleine Kinder noch spät abends mit zum Videoverleih oder in die rund um die Uhr geöffneten Nachbarschaftssupermärkte, die sogenannten Conbini, mitzunehmen. Auch die Regierung hat das Problem erkannt und gab die Lösung aus: "Früh schlafen, früh aufstehen und frühstücken".

Lars Nicolaysen/dpa/mer
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