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Schüler foppen Energieriesen: "Die wollen sich bei uns einschleimen"

Schüler foppen Energieriesen EnBW "Die wollen sich bei uns einschleimen"

Der Stromkonzern EnBW rief gemeinsam mit dem Kultusministerium Baden-Württemberg Schüler dazu auf, Videos zur Energieversorgung zu drehen. Eine Klasse aus Lörrach machte sich ans Werk. Der Film sorgt nun für Wirbel - und ärgert den Energieriesen.

"Jetzt reicht's", dachte Elvira Erdem, 34, als sie das Plakat am Schwarzen Brett ihrer Schule entdeckte. Die Lehrerin hatte sich schon oft geärgert über Aushänge von Unternehmen, die Lehrerfortbildungen oder irgendwelche Workshops und Wettbewerbe für Schüler anbieten. Konzerne haben an Schulen nichts zu suchen, findet Erdem, und nun hatte sie genug.

"Energie-Reporter im Einsatz" stand auf dem Plakat. Das Kultusministerium und die Stiftung kulturelle Jugendarbeit riefen Schüler dazu auf, ein Video zu drehen über die Energieversorgung in ihrer Stadt. Sie taten das aber nicht alleine: Der Wettbewerb wird auch von der EnBW ausgerichtet. Deutschlands drittgrößter Stromkonzern hat die Kosten übernommen.

Als die Aktion startete, war Fukushima noch ein Ort irgendwo in Japan. Die EnBW rechnete nicht mit dem Umschwenken der schwarz-gelben Regierung in Sachen Atomenergie. Und sie rechnete nicht mit Elvira Erdem, Hauptschullehrerin an der Neumatt-Schule in Lörrach, Atomkraftgegnerin, Greenpeace-Mitglied.

Die EnBW will präsent sein an Schulen und nah dran an der Jugend - nun weiß sie, dass das nach hinten losgehen kann: Die Jugend setzt eher auf kritische Distanz.

Rund 100 Schülergruppen meldeten sich an, jede bekam eine Digitalkamera zugeschickt. Wer wollte, konnte Führungen machen in Kraftwerken der EnBW, ein Atomkraftwerk war nicht darunter, Minderjährige dürfen da nicht rein. In einer Handreichung stehen Anregungen für Themen: Die Schüler könnten etwa erklären, wie Windräder Strom erzeugen, oder die Frage beantworten, was Solardächer leisten. Atomkraft ist kein Thema bei den Vorschlägen, an anderer Stelle wird aber ermutigt, auch den Gefahren der Energie-Erzeugung nachzugehen: "Ein prominentes Beispiel hierfür ist die Kernenergie." Richtig hip war sie ja auch vor Fukushima nicht.

"Ihr verseucht unsere Erde, doch das lässt euch kalt, was ist los mit Euch?"

Die Verwaltungsvorschriften erlauben in Baden-Württemberg ausdrücklich, dass Wettbewerbe an Schulen in Zusammenarbeit mit Unternehmen organisiert werden. Selbst wenn die Aktionen "werbenden Charakter" haben, sind sie nicht gleich ausgeschlossen: Dann ist zu prüfen, ob sie "in Anbetracht der wesentlichen Förderung des Erziehungs- und Bildungsauftrags der Schule vertretbar" sind.

Es gibt Länder mit strikteren Regeln, die "Energie-Reporter" sind jedoch keine Ausnahme, auch die RWE hat so einen Wettbewerb, "Energie mit Köpfchen" heißt der. In vielen Kultusministerien sinkt die Hemmschwelle bei Kooperationen mit der Privatwirtschaft mit dem Kassenstand. Aus dem Ministerium in Stuttgart heißt es, man müsse das im Einzelfall prüfen, grundsätzlich sei es aber wünschenswert, wenn ein Austausch zwischen Schülern und der Wirtschaft stattfinde, schließlich müssten die Jugendlichen auch auf den Beruf vorbereitet werden.

Am Mittwoch endete beim EnBW-Wettbewerb die Einsendefrist, in der kommenden Woche sollen die Videos online gestellt werden, per Voting wird der Gewinner ermittelt. Auch Erdem hat mit ihrer Klasse ein Video eingeschickt, obwohl sie die Nase voll hatte, oder eigentlich: genau deswegen.

Sie sei mit dem Plakat in ihre 9a gegangen, habe den Wettbewerb kurz vorgestellt und dann gefragt, wieso die EnBW wohl dieses Projekt anbiete. Die Antwort eines Schülers: "Mit dieser Aktion wollen sie sich bei uns einschleimen." Bingo, dachte Erdem und machte sich mit ihren Schülern an die Arbeit.

Die Schüler schauspielerten, filmten, schnitten, arbeiteten auch nachts. Heraus kam ein knapp 13 Minuten langes Video, es beginnt mit der nachgestellten Szene im Klassenzimmer, als der Schüler seinen Einschleim-Verdacht äußerte. Es fährt fort mit einem nachgespieltem Atomalarm, die Schüler rennen aus dem Raum, kommen später wieder, einer rappt: "Ihr verseucht unsere Erde, doch das lässt euch kalt, was ist los mit Euch? Man, euch geht es nur ums Geld". Es folgen eine Straßenumfrage, Werbung für Solarenergie, eine von zwei Schülern gespielte Wahlkampfveranstaltung (Buh-Rufe für AKW-Befürworterin, Jubel für AKW-Gegner) und schließlich ein Schlussappell: "Steigen Sie um auf erneuerbare Energie!"

"Ein gutes Beispiel, wie Jugendliche mit Medien wirksam werden können"

Erdem hatte im letzten Jahr mit der Klasse das Thema Atomkraft besprochen. Als Beamtin ist sie zur Neutralität verpflichtet, doch bei diesem Thema fällt ihr das schwer. Erdem engagiert sich für Greenpeace, vor zehn Jahren demonstrierte sie das erste Mal gegen das AKW in Fessenheim. "Ich habe den Schülern die Vorteile von Atomkraftwerken durchaus genannt: dass sie Strom liefern", sagt sie.

Hat die Greenpeace-Aktivistin ihre Schüler instrumentalisiert, um eine Kampagne gegen die EnBW zu starten? Klar, der Eindruck könne entstehen, sagt Erdem. Sie beteuert aber: "Die Ideen für das Video kamen alle von den Schülern." Überhaupt interessiere die Schüler das Thema sehr, und die Motivation wurde noch größer, als während der Produktion die Katastrophe in Japan geschah und mit ihr Fukushima weltbekannt wurde.

Ein Schüler sei es auch gewesen, der das Video auf YouTube stellte. Erdem erzählte einer befreundeten Medienpädagogin davon, die kennt viele Blogger. Einige nahmen das Thema auf, so wurde das Video bekannt, noch bevor die Einsendefrist von "Energie-Reporter im Einsatz" endete. Inzwischen gibt es schon die Facebook-Gruppe "Kritische Energie-Reporter", eingerichtet vom Dresdner Medienpädagogen Daniel Seitz. "Das ist ein gutes Beispiel, wie Jugendliche mit Medien wirksam werden können", sagt Seitz, der "MB21" leitet, den deutschen Multimedia-Preis für Kinder und Jugendliche.

Das hat auch Nico gemerkt. Der 16-Jährige textete und sang den Rap zum Film. Bisher beschäftigte er sich in seinen Liedern mit seinem Heimatland Libanon, mit Krieg und Frieden. "Das war mein erster Song zum Thema Atomkraft", sagt er, nun schreibe er am nächsten Lied zur Umwelt. "Ich habe gemerkt, dass es die Leute interessiert."

Das Lörracher Video wird wohl nicht beim Voting dabei sein

Auch die EnBW wurde auf das Video aufmerksam. Auf kritische Twitter-Nachrichten reagierte das Unternehmen inzwischen auf seinem eigenen Kanal: "Das Thema erfordert einen differenzierten Dialog und mehr, als sich nur oberflächlich damit zu beschäftigen", schrieb die PR-Abteilung.

"Ist doch klar, dass unser Unternehmen von dem Wettbewerb profitiert", sagt Ulrich Schröder, Konzernsprecher der EnBW. Dass der Wettbewerb allerdings alleine der PR diene, weist er zurück. "Wir wissen, dass Energieversorgung ein sehr wichtiges aber auch komplexes Thema ist." Mit der Aktion gebe man Schülern die Möglichkeit, sich intensiv mit dem Thema auseinanderzusetzen.

"Dass ein nicht wettbewerbstauglicher Film nun verwendet wird, um unseren Wettbewerb in Zweifel zu ziehen, ist schon merkwürdig", sagt Schröder noch. Denn das Video der Lörracher Schüler war zu lang, über zwölf Minuten, die maximale Länge sind fünf Minuten. Und am Ende war Gema-pflichtige Musik zu hören.

Die Schüler haben den Film noch einmal gekürzt und die Musik rausgeschnitten, in der Nacht auf Donnerstag luden sie ihn auf dem Wettbewerbsportal hoch. Beim Voting wird er voraussichtlich trotzdem nicht zu sehen sein. Die Schüler stellten den Film nach 0 Uhr auf den Server, zu spät, die Einsendefrist war abgelaufen.

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