Bizarrer Lehrer-Geschenke-Skandal Wie bei Loriot

Eine Berliner Lehrerin muss 4000 Euro Strafe zahlen, weil sie ein Geschenk angenommen hat - und der Streit geht weiter: Auch gegen Eltern wurde ermittelt, und ein Schüler bekam massive Probleme in der Klasse. Die Rekonstruktion einer skurrilen Affäre.
Loriot-Zeichnung von zwei Männern in einer Badewanne als Briefmarke

Loriot-Zeichnung von zwei Männern in einer Badewanne als Briefmarke

Foto: imago

Würde Loriot noch leben, er hätte die perfekte Vorlage für einen Sketch: Einer beliebten Berliner Lehrerin wird ausgerechnet ein Loriot-Werk zum Verhängnis, auch Eltern und Schüler werden in den Fall hineingezogen. Am Ende gibt es nur Verlierer - und die Loriot-Skulptur verstaubt bei der Staatsanwaltschaft. Doch eines nach dem anderen.

Im Jahr 2011 musste sich eine Klasse des Berliner Heinrich-Hertz-Gymnasiums am Ende der 10. Jahrgangsstufe von ihrer Klassenlehrerin verabschieden - die Schüler und Eltern wollten Dankbarkeit zeigen. Ein Abschiedsgeschenk sollte her. Wenn ihr mir unbedingt etwas schenken wollt, soll die Lehrerin gesagt haben, dann bitte nicht irgendeinen Quatsch. Sie würde sich über eine Figur freuen, soll sie mitgeteilt haben.

Es lief, wie es so in den Klassen der Republik läuft: Zwei Eltern übernahmen die Federführung, ihre Kinder sammelten in der Klasse das Geld ein. Acht Euro sollte jeder bezahlen, der mitmachen wollte, sodass knapp 200 Euro für eine Skulptur zusammenkamen: Loriots Herren in der Badewanne.

Nicht alle Eltern allerdings fanden das gut, manche nahmen nicht teil an der Sammlung. Und ein Vater wies explizit darauf hin, dass die Lehrerin das Geschenk nach dem Beamtenrecht gar nicht annehmen dürfe. Er kennt sich aus, ist selbst Leiter einer Grundschule in Berlin. Die Skulptur wurde trotzdem überreicht. Das Thema schien erledigt.

Streit in der Schule, Streit vor Gericht

Doch einige Monate später wurde es wieder akut. Weil, wie der "Tagesspiegel " berichtet, der Sohn des skeptischen Vaters für einen "wohl schlecht vorbereiteten Vortrag" eine schlechte Note bekam, ausgerechnet von der beschenkten Lehrerin. Es kam zum Streit, sogar ein Verfahren vor dem Verwaltungsgericht soll der Vater angestrengt haben, um die Benotung anzufechten. Er vermutete, die schlechte Note hänge mit seiner Geschenk-Verweigerung zusammen, heißt es in dem Bericht. Der Vater kündigte an, wegen der zu teuren Loriot-Figur Strafanzeige gegen seine Lehrerkollegin zu stellen. Auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE wollte sich der Vater nicht äußern.

Die Berliner Bildungsverwaltung versuchte sich noch in Schadensbegrenzung, lud zu einem Gespräch ein. Es muss eine gespenstische Szene gewesen sein: Die Lehrerin, äußerst beliebt in ihrer Klasse, und der Vater, der auf der strikten Einhaltung der beamtenrechtlichen Regelungen bestand. Die Stimmung soll eisig gewesen sein, die Eskalation konnte nicht mehr gestoppt werden.

Denn nicht nur die Lehrerin wurde von der Staatsanwaltschaft verfolgt. Auch gegen die meisten Eltern der Klasse wurde ermittelt. "Wir konnten aber nicht herausfinden, wer wie viel gegeben hat - deshalb wurden die Verfahren eingestellt", sagt ein Sprecher der Staatsanwaltschaft. Trotzdem hatten sich die meisten Eltern einen Anwalt genommen und mussten entsprechende Rechnungen bezahlen - in der Regel mehrere Hundert Euro pro Einzelfall, sagt ein Vater.

Das Klima in der Klasse war da längst belastet, der Sohn des Klägers wurde ausgegrenzt. "Freundschaften und soziale Beziehungen gingen auseinander, das Klima in der Oberstufe litt", zitiert der "Tagesspiegel" einen Beteiligten. Ende 2013 war das, zum zweiten Mal schien der Fall erledigt, wenn auch mittlerweile mit sehr viel Verbitterung bei den Beteiligten.

"Es ist Amtsträgern verboten, ein Geschenk anzunehmen"

Dann kommen, ein gutes Jahr später, die Medienberichte. Erst regional, dann überregional. Die betroffene Schule wird mit Anfragen überhäuft, die Staatsanwaltschaft, die Bildungsbehörde. Die öffentliche Empörung über die 4000-Euro-Strafe ist so groß, dass Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller den Innensenator anweist, zu überprüfen, ob die Zehn-Euro-Regelung nicht "in einem vernünftigen Rahmen" geändert werden könne. Ein ähnlicher Vorstoß der Bildungsbehörde war nach Informationen von SPIEGEL ONLINE vor einigen Monaten schon einmal gescheitert.

Wichtig ist dem Sprecher der Staatsanwaltschaft noch, dass die 4000-Euro-Zahlung der Lehrerin zur Einstellung des Verfahrens nicht in Bezug zum Wert des Geschenks steht, sondern allein vom Einkommen der Betroffenen abhängt. Denn, so der Sprecher: "Es ist Amtsträgern schlichtweg verboten, irgendein Geschenk anzunehmen. Punkt. Aus. Ende." Dass dies im Schulalltag häufig anders aussieht, zeigen jedoch Erfahrungsberichte von Lehrern und Schülern.

Was bleibt?

Eine Lehrerin, die ihren Beruf mit Begeisterung ausübt und 4000 Euro zahlen musste, weil sie ein zu teures Geschenk angenommen hat.

Ein Vater, der recht bekam - und sein Sohn, der deswegen massive Probleme in der Schule hatte.

Mindestens 20 Eltern, die jetzt wissen, wie es ist, als Beschuldigte in einem Strafverfahren geführt zu werden.

Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft, der um Verständnis dafür bittet, dass seine Behörde gar nicht anders habe handeln können.

Politiker, die jetzt eilig Schadensbegrenzung betreiben.

Und eine Loriot-Skulptur, die erst bei einer Lehrerin, dann bei der Bildungsverwaltung und schließlich bei der Staatsanwaltschaft landete, wo sie jetzt Staub ansetzt.

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