Schüler-Lotto Bildungsforscher fordert anonyme Tests für Knirpse
Nach der vierten Klasse erhalten Grundschüler Empfehlungen für weiterführende Schulen. Häufig liegen die Lehrer dabei falsch. Dieter Lenzen, Präsident der FU Berlin, plädiert für anonyme Diagnosen, damit Lehrer nach Leistung statt nach sozialer Herkunft urteilen.
Grundschüler: Willkür bei der Auslese
Mit diesem Vorschlag will Lenzen sicherstellen, dass Grundschüler eine möglichst objektive Empfehlung für die weitere Schullaufbahn erhalten. Denn nach einem am Mittwoch veröffentlichten Ländervergleich der Internationalen Grundschul-Leseuntersuchung (Iglu) werden die Weichen für Gymnasium, Real- und Hauptschule in fast der Hälfte der Fälle falsch gestellt - und dann meist unwiderruflich und für den Rest der Schulzeit, weil das deutsche Schulsystem wenig durchlässig ist.
Iglu-Forscher Wilfried Bos hält das für einen "bildungspolitischen Skandal". Vor allem wird nach seinen Beobachtungen zu häufig nach sozialer Herkunft statt nach Leistung entschieden. "Der Sohn eines Chefarztes hat auch bei mittlerer Leistung eine viel höhere Chance auf das Gymnasium zu kommen, die Tochter einer türkischen Putzfrau hat es auch bei sehr guter Leistung schwer", so Bos.
"Nur anonyme Diagnosen erlauben vernünftiges Urteil"
Der Präsident der Freien Universität Berlin sieht den Ausweg in Leistungsanalysen, bei denen der Name des Schülers dem Gutachter nicht bekannt ist: "Nur mit anonymen Diagnosen, die nicht von den Klassenlehrern, sondern von unbeteiligten Dritten gestellt werden, ist ein vernünftiges Urteil über die Fähigkeiten des Schülers möglich", betonte Lenzen in der "Berliner Zeitung". So könne vermieden werden, dass die soziale Herkunft die Empfehlung beeinflusst, ob ein Kind das Gymnasium, die Realschule oder die Hauptschule besuchen sollte. "Der Wert der bisherigen Grundschul-Gutachten ist gering", kritisierte der Erziehungswissenschaftler.
Dieter Lenzen: Geringer Wert der Gutachten
In der Frage der Schulempfehlungen sind sich Bildungsexperten allerdings keineswegs einig. Während Iglu-Leiter Bos die Übergangsempfehlungen für ein Riesenproblem hält, nimmt sein Kollege Jürgen Baumert die Grundschullehrer in Schutz: "Sie kennen ihre Schüler. Ihre Empfehlungen sind das Beste, was wir haben können", besser etwa als Aufnahmeprüfungen oder IQ-Tests, so Baumert in der "Zeit". Er ist Direktor am Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung und leitete den deutschen Teil der Pisa-Studie. Baumert glaubt nicht, dass eine bessere Sortierung nach der Grundschule deutlich mehr Gerechtigkeit im Schulsystem bringen könnte - jede Übergangsempfehlung gehe notwendig mit Fehlentscheidungen daher.
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