Schülerbild von der DDR Verständnis-Wessi trifft Ostspinner
Über das Wissen von Schülern über die untergegangene DDR zeichnen aktuelle Untersuchungen ein verheerendes Bild: Zehnt- und Elftklässler haben von der SED-Diktatur eine verklärte Vorstellung - kein moribunder Schnüffelstaat, sondern eine Art Sozialparadies mit Rundum-Versorgung, brummender Wirtschaft, sauberer Umwelt. Das zeigen die Studien von Klaus Schroeder vom Forschungsverbund SED-Staat an der FU Berlin. Die Ergebnisse sind verblüffend, streckenweise absurd: So wissen Hauptschüler aus Bayern über die DDR besser Bescheid als Gymnasiasten aus Brandenburg. Auch Berliner Schüler schnitten schlecht ab.
Liegt es etwa daran, dass ostdeutsche Lehrer die DDR verherrlichen? "Ja. Gerade in Ostberlin gibt es mafiöse Zusammenhänge linker Lehrkörper", sagte Bürgerrechtlerin Freya Klier am Freitag auf einer Veranstaltung der CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. Denn während "Margot Honeckers willfährige Erben" zu Beginn der neunziger Jahre noch echte Bereitschaft zum Neuanfang gezeigt hätten, sei dies inzwischen vorbei: "Mit dem Erstarken der Linken ist auch die letzte Hemmschwelle verschwunden. Mehr noch: 80 Prozent junger Westlehrer wurden in Ostschulen weggebissen", so Kliers Verdikt.
Geschöntes Vergangenheitsbild
Mildere Töne schlug ihr Podiumsnachbar Joachim Gauck an. Der Pfarrer, ehemalige Bürgerrechtler und frühere Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen sagte, man solle "die Debatte nicht in ein hysterisches Feld führen". Sicher gebe es bei Ostlehrern oft einen Mangel an Aufklärung und "eine Feindschaft gegen die wirkliche Wirklichkeit". Von "PDS-Seilschaften" könne jedoch keine Rede sein.
Vielmehr sei es wichtig, so Gauck, die Perspektiven des Denkens von Pädagogen aus der DDR zu verstehen. "Viele fürchten sich nämlich, dass sie an ihr Nichtstun oder Desinteresse erinnert werden. Und wenn wir Menschen mit Fakten kommen, kommen wir ihnen schnell zu nah." Gauck bat um Geduld mit alten Kadern: "Aufklärung ist wie eine Schnecke." Für ein neues unrühmliches Phänomen halte er sogenannte "Verständnis-Wessis" - Menschen, die keine eigene Meinung hätten und sich von "Ostspinnern" alles erzählen ließen.
Klaus Schroeder forderte bei der Debatte vor allem Ursachenforschung. Für ihn ist klar: "Mit dem Ende der schnellen Angleichung des Wohlstands Mitte der neunziger Jahre begann im Osten die Nostalgie." Leider beförderten fehlende Perspektiven für Jugendliche eine geschönte Vergangenheitswahrnehmung.
Er kritisierte die Berliner Schulverwaltung: Sie habe ihre Lehrer zwar in den neunziger Jahren auf Fortbildungen geschickt - später aber die auf den aktuellen Wissensstand gebrachten Lehrer nicht eingesetzt. Nunmehr habe man sich mit dem neuen Unwissen der Schüler abgefunden.
"Wer aufklären will, wird gemobbt"
Parallel gebe es in den Ost-Familien eine fatale Überhöhung des sozialen Bildes der DDR und eine Trotzhaltung gegen das offiziell vermittelte DDR-Bild. Dagegen helfen seiner Ansicht nach nur Fakten, die in der Schule vermittelt werden müssten - aber genau da "haben die Schulen versagt", so Schroeder.
Die DDR-Geschichte sei sehr wohl Teil des Berliner Lehrplanes, sagte die Oberstudiendirektorin Christine Sauerbaum-Thieme. Fraglich sei oft nur, wie sich die Lehrer daran halten: "Kollegen, die aufklären wollen, werden gemobbt", sagte sie. Zudem sei die Lehrerfortbildung regionalisiert, jeder Bezirk könne sich selbst organisieren. Die Folgen im Ostteil der Stadt verwunderten sie darum nicht.
SED-Forscher Klaus Schroeder kündigte eine weitere Sammelstudie für das Frühjahr an. Darin soll das Wissen zur DDR bei Jugendlichen in Bayern, Nordrhein-Westfalen, Brandenburg sowie der Ost- und Westhälfte Berlins verglichen werden.
Torsten Hilscher, ddp