Schulbücher im Test Auf jeder Seite ein Fehler

Der Uhu frisst Füchse und Marder, der Darm des Blauwals soll 56-mal so lang sein wie sein Körper, eine Flasche Schnaps führt zu 0,002 Promille. Stimmt alles nicht? So lernen es aber deutsche Schüler aus ihren Büchern, hat die Stiftung Warentest herausgefunden.

17 deutsche Schulbücher für Gymnasien hat die Stiftung Warentest untersucht, zehn für Biologie, sieben für Geschichte. In allen Büchern fanden die Tester Schnitzer. In einigen tauchte sogar auf jeder Seite ein Fehler auf - dabei müssen die Bücher ein strenges Zulassungsverfahren durchlaufen, bevor sie überhaupt für den Unterricht freigegeben werden.

Kein einziges Buch bekam die Note "sehr gut", mehrfach setzte es ein "mangelhaft". Es entstehe ein "schwacher Gesamteindruck", sagt Hubertus Primus, Chefredakteur der Zeitschrift "test". Seine Ergebnisse ließen allerdings keinen Schluss auf andere Fächer zu, auch dürfe kein Zusammenhang mit den Pisa-Tests hergestellt werden.

Im Schnitt haben die Tester "auf jeder fünften Seite einen wichtigen Fehler" gefunden. Gemeint ist damit keine Stilblüte, kein fehlendes Komma, keine fehlende Bildbeschriftung - sondern eine falsche Zahl, sachlich falsche Behauptungen. Schulbücher sollen Schülern die Welt erklären, ihr Interesse am Leben wecken und sie im besten Fall für das Lernen begeistern. Doch wenn im Lesestoff Fehler stecken, merken sie sich Blödsinn. Die getesteten Bücher sind in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Baden-Württemberg im Einsatz.

Plötzlich haben Menschen Kaumägen

Die Tester haben einzelne Themen exemplarisch aus den Büchern herausgegriffen, bearbeitet und bewertet. In Biologie waren es die Fotosynthese, die Zelle und die Verdauung; in Geschichte der Alltag in der DDR, die Entwicklung der Europäischen Union, die Weimarer Republik. Die Tester schauten nach Fehlerfreiheit, fachlicher Eignung und Didaktik - am Ende durften auch die Schüler ein Urteil abgeben.

Was sie fanden, ist zum Teil erstaunlich: Ein Biologie-Buch setzt in der Nahrungskette den Uhu über Fuchs und Marder. Der Mensch habe einen Kaumagen, legt ein anderes nahe - alles Quatsch. Kaumägen, in denen "die Nahrungsteilchen aneinander zerrieben werden", haben nur Vögel. Der Uhu fängt gerade mal eine Maus oder einen Hasen, wenn er sich anstrengt.

Und weiter: Der Darm des Blauwals sei 56-mal so lang wie der Wal selbst, nicht vier- bis fünfmal, steht in einem Buch. Mit einer Formel aus dem nächsten sollen die Schüler die Blutalkohol-Konzentration ausrechnen können - wenn der Schüler sein Gewicht eingibt, ergibt sich ein Ergebnis, das um den Faktor 1000 an der Realität vorbei geht: Eine Flasche Schnaps führt so zu 0,002 Promille.

Die Verlage winken ab: Verkürzungen unumgänglich

In den Büchern "Biologie heute entdecken 2" und "Netzwerk Biologie 2" sammelt sich der Unsinn. Bei ihnen stimmt - kleinere Fehler mitgerechnet - auf jeder dritten Seite etwas nicht. Daher bekamen sie in der Kategorie "Fehlerfreiheit" ein "mangelhaft" verpasst.

Beide Bücher kommen aus dem Schroedel-Verlag in Braunschweig. Wie sich die Fehler in seine Bücher geschlichen haben, kann sich Peter Schell, Programm-Geschäftsführer der Verlagsgruppe Westermann/Schroedel/ Diesterweg, nicht erklären: "Der Lehrplan der Schulen stellt nur eine begrenzte Stundenanzahl für die Vermittlung der Inhalte zur Verfügung", sagt er SPIEGEL ONLINE. Um diesen Zeitplan einzuhalten, seien Verkürzungen unumgänglich.

Die falsche Nahrungspyramide zum Beispiel sei im zugehörigen Text des Biologiebuches erklärt worden, "da wird deutlich, dass der Uhu nicht den Fuchs frisst, sondern nur weniger natürliche Feinde hat als dieser". Und im Übrigen: "Fehler werden uns relativ häufig gemeldet. Eltern und Lehrer rufen hier an und weisen uns darauf hin - in der Neuauflage korrigieren wir." Im Schnitt würden beim ersten Nachdruck eines Schulbuches rund zehn Fehler pro 200 Seiten gefunden, sagt Schell.

Pressesprecherin Christine Jesse vom Verlag Cornelsen hält den Zeitdruck für die entscheidende Fehlerquelle: "An den Schulen wird ständig reformiert - der Druck durch die Pisa-Ergebnisse führt dazu, dass immer schneller immer neue Konzepte umgesetzt und erarbeitet werden müssen."

Geschichtsbücher mit falschen Jahreszahlen

Auch einige Geschichtsbücher sind wegen ihrer hohen Fehlerquote aufgefallen. "Geschichte und Geschehen" aus dem Klett-Verlag sowie "Zeit für Geschichte" wiederum aus dem Schroedel-Verlag haben trotz saftiger Fehler gerade noch ein "ausreichend" geschafft. Ein "mangelhaft" wegen falscher Jahreszahlen und unzulässiger Verkürzungen hat das Buch "Horizonte 4" aus dem Westermann-Verlag bekommen.

Moderne Geschichtslehrer lassen ihre Schüler zwar sowieso nicht mehr nur Jahreszahlen pauken. Trotzdem wird's blöd, wenn die Zahlen falsch sind, die da auf den Seiten stehen. So lässt ein Buch Erich Honecker einen Monat zu früh zurücktreten - "wäre Honecker tatsächlich am 18. September 1989 zurückgetreten, hätte er am 7. Oktober nicht noch das 40-jährige Bestehen seines gerade zusammenbrechenden Staates feiern können", sagte Holger Brackemann von der Stiftung Warentest. Honeckers Nachfolger Egon Krenz entlässt das gleiche Buch dagegen einen Monat zu spät in den Ruhestand.

"Für den Schüler schlimmer", so Brackemann, "sind aber einseitige Darstellungen" in den Geschichtsbüchern - wenn zum Beispiel der Alltag für Frauen in der DDR auf das reduziert wird, was das sozialistische Idealbild sagte. Manchmal fehlen auch ganze Kapitel, die wichtig gewesen wären, zum Beispiel zum europäischen Einigungsprozess oder zur EU-Ost-Erweiterung.

Gnädige Schüler: Ein Mal "sehr gut", kein Mal "mangelhaft"

Auch was die Aufmachung der Bücher angeht, wird den Schülern einiges zugemutet. Häufig werden ihnen reine Bleiwüsten angeboten oder die Texte sind zu wissenschaftlich, also unverständlich, geschrieben. Vielfach gibt es zu wenig Lernhilfen, unbeschriftete und darum unverständliche Grafiken. Die Spannweite der Bewertungen reicht von "gut" bis nur noch "ausreichend".

Außer den Warentestern schaute auch noch die Zielgruppe selbst in die Bücher: 550 Berliner Schüler lasen die Biologiebücher, weitere 330 steckten ihre Nase in die Geschichts-Schinken. Danach füllten sie einen Fragebogen aus. Sie bewerteten insgesamt deutlich gnädiger: Einmal gab es sogar ein "sehr gut", keines der Bücher fanden sie schlechter als "befriedigend".

So eine "Schere" sei bei einem Produktest normal, heißt es im "test"-Heft. Auch Bücher mit Schwächen seien für den Unterricht nicht ungeeignet. Sie halten durchweg ein mittleres fachliches Niveau und enthalten eine hohe Informationsdichte, sagen die Tester. Fast alle arbeiten aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse ein.

Schavan wird es freuen: Die Tester wollen das Einheits-Buch

Die Verlage arbeiten mit Fachredakteuren zusammen, jedes Bundesland hat seine Schulbuch-Kommissionen. Doch trotzdem treten Fehler auf. Jedes Buch muss sich am Lehrplan des speziellen Bundeslandes orientieren. Nimmt man alle Schularten, Bundesländer und Fächer zusammen, gibt es in Deutschland 3000 Lehrpläne. Von einem Titel produzieren die größeren Verlage bis zu 16 Ländertitel.

Aus welchem Buch die Schüler lernen, entscheidet die Schule. Lehrer berichten, dass aus Zeitdruck oft übereilt entschieden wird. Schüler sind an der Entscheidungsfindung nur in absoluten Ausnahmefällen beteiligt. Häufig begrenzt ein Preislimit der Schulleitung die Auswahl von vornherein. Ein Fehlgriff muss dann über Jahre ausgebadet werden. Kommunen und Länder fahren die Ausgaben für Lernmittel seit Jahren herunter.

Einheitliche Schulbücher könnten für mehr Qualität sorgen, man könne die Fehler "auf diese Weise besser in den Griff bekommen" sagte Hubertus Primus. Er rief die Kultusminister der Länder dazu auf, Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) zu folgen und sich auf einheitliche Bücher zu einigen. Weil jedes Land und jedes Fach seinen eigenen Lehrplan habe, "müsse hastig produziert werden, für eine gründliche Überarbeitung fehlt die Zeit". Fehler ließen sich auf diese Weise besser in den Griff bekommen, Schüler könnten bei Umzügen an den Unterricht anknüpfen.

Mit Material von AP, ddp und dpa

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