Schule Pisa-Forscher wollen Lehrer testen
Kein Zweifel, Lehrer haben ein Imageproblem. Seit Pisa ist ihr Ruf noch stärker lädiert. In der Öffentlichkeit wird Pädagogik vielfach nicht als "richtige Arbeit" wahrgenommen; Häme oder gar offener Hass branden Lehrern entgegen. Schließlich haben sie auf den ersten Blick ein flottes Leben: Die Schulferien sind lang, die Präsenzpflicht endet mittags, die Arbeit können sie sich weitgehend frei einteilen. Für Missgunst sorgen überdies die Vorzüge des Beamtenstatus - Unkündbarkeit, ein ansehnliches Gehalt, die stattliche staatliche Pension.
Das riecht nach Dolce Vita auf Steuerzahlers Kosten und macht die Lehrer zu einer erstklassigen Buh-Gruppe. Und dann noch die miserablen Pisa-Ergebnisse - bei der internationalen Vergleichsuntersuchung sammelten deutsche Schüler verheerende Noten ein und landeten auf Platz 21 unter 31 Nationen. Haben also auch Deutschlands Lehrer versagt? Tragen sie letztlich die Schuld an der Pisa-Blamage?
Wild ist der Westen, schwer ist der Beruf
Was im Klassenraum tatsächlich passiert, bleibt für die Öffentlichkeit weitgehend ein Mysterium. Zwar kündet eine Springflut von Thesenpapieren, Fachaufsätzen und Leserbriefen vom Elend der Lehrerschaft, von ihren kollektiven Erschöpfungszuständen. Und auch Untersuchungen etwa zur Arbeitszeit und -belastung der Pädagogen widerlegen durchweg gängige Klischees und dokumentieren im Mittel etwa 45 Wochenstunden, Ferien inklusive. Denn für Schüler wie Eltern bleiben etliche Lehrer-Aufgaben nach Schulschluss unsichtbar - von der Vorbereitung über Elternabende und Klassenfahrten bis zur Fortbildung.
Aber in die Karten schauen lassen sich Lehrer höchst ungern. Sie überlassen es ihren Verbänden, an der Legende vom wackeren Idealisten zu stricken, der zänkischen Eltern und pöbelnden, verwöhnten Konsumkids unerschrocken Paroli bietet.
Wie es zugeht, sobald sich die Tür zum Klassenzimmer schließt, das will jetzt die OECD herausfinden. Pisa-Nachfolgestudien sind derzeit en vogue; die deutschen Rektoren etwa machen sich für ein Hochschul-Pisa stark. Nach dem Programme for International Students Assessment könnte es demnächst ein Teachers Assessment geben - auf Pisa folgt Pita.
Nach dem Pisa-Fiasko der Pita-Schock?
Wie die "Zeit" in ihrer aktuellen Ausgabe berichtet, laufen die Vorbereitungen bereits. "Lehrer dürfen nicht mehr der blinde Fleck des Bildungssystems sein", fordert Andreas Schleicher, der bei der OECD in Paris bereits den Schülervergleich koordinierte.
"Mr. Pisa" Andreas Schleicher ist immer streitbar und hat in den letzten Monaten mehrfach deutsche Bildungspolitiker heftig kritisiert - wegen ihrer Sparprioritäten an den Schulen, wegen ihrer zögerlichen Pisa-Umsetzung, wegen des seltsamen Aussteigens von Berlin und Hamburg. Weltweit sollen nun Wissen, Kompetenz und Kultur der Lehrer auf den Prüfstand. Zwanzig Länder hätten bereits zugesagt, so Schleicher gegenüber der "Zeit".
Die deutsche Kultusministerkonferenz (KMK) indes gibt sich offenbar reserviert. Im Vorfeld der geplanten Untersuchung, die erst in einigen Jahren vorliegen kann, wollen sie sich lediglich an einer Fragebogenaktion beteiligen, nicht aber an einer Vor-Ort-Befragung - die dafür nötigen 35.000 Euro seien "zu teuer", winkte die KMK ab. Für Andreas Schleicher ein Rätsel: "Das ist nicht mal das Jahresgehalt eines Lehrers."
Schlechte Noten in Kooperation und Kommunikation
Nach Schleichers Vorstellungen soll es neben einem Wissenstest auch Videoaufnahmen aus dem Unterricht geben, um die Schulwirklichkeit zu erfassen. Wenn deutsche Lehrer darauf entzückt reagieren, wäre das eine große Überraschung. Bis dato ist ihre Bereitschaft, sich von Forschern oder auch nur von Kollegen über die Schulter blicken zu lassen, nur schwach ausgeprägt.
"Viele Lehrer sehen sich als klassische Einzelgänger, sie sind im Unterricht auf sich allein gestellt und wollen es auch bleiben", konstatierte der Erziehungswissenschaftler Ewald Terhart bereits vor Jahren, "es gibt eine Art Stillhalteabkommen: Man spuckt Kollegen nicht in die Suppe und erwartet im Gegenzug, auch selbst in Ruhe gelassen zu werden. Deshalb sprechen Lehrer in den Pausen viel über Bausparverträge oder lästern über aufsässige Schüler, schweigen jedoch über eigene Schwierigkeiten im Unterricht, über eigene Berufsprobleme."
Schulpädagoge Terhart beschäftigt sich schon lange mit den Berufsbiographien von Lehrern und war Vorsitzender einer KMK-Kommission zur Lehrerbildung in Deutschland. Er sieht bei der universitären Ausbildung beträchtliche Schwächen, vor allem bei der Pädagogik und Didaktik, den "Kernkompetenzen der Lehrer". Terhart fordert eine bessere Verzahnung zwischen Uni und Praxis, etwa durch stärkeren Personalaustausch und mehr eigenverantwortlichen Unterricht von Referendaren.
Mehr Freiräume statt Gängelung
Nach Auffassung von Ewald Terhart gibt es unter den Lehramtstudenten "zu viele eher ängstliche, vorsichtige Charaktere ohne großen Ehrgeiz". Es komme aber darauf an, dass "die Besten angezogen werden", so OECD-Experte Andreas Schleicher in der "Zeit" - und dafür brauche es eine Professionalisierung des Berufs.
An den deutschen Schulen beobachtet Schleicher zu viel Bevormundung: Während skandinavische Schulen die Lehrpläne auf das Nötigste eindampfen, die Leiter sich neue Lehrer aussuchen statt von den Behörden zuteilen lassen und sogar Gehälter aushandeln können, schreiben hierzulande die 16 Bundesländer noch die kleinsten Details vor.
"In Deutschland herrscht Zentralismus, die Lehrer haben die geringsten Spielräume", kritisierte Schleicher. Und gegängelte Lehrer neigen dazu, ihre Schüler zu gängeln - sie setzen auf Schema F, den klassischen Frontalunterricht. Damit schließt sich der Kreis: Wo es um selbstständiges Denken statt um die Wiederholung von formelhaftem Wissen ging, gerieten deutsche Schüler bei Pisa auf die Verliererstraße.