Strafen an US-Schulen Hart, härter, Mississippi

Verweise wegen falscher Schuhe, Jugendarrest wegen Pupsens: An den Schulen des US-Bundesstaats Mississippi wird bei kleiner Flegelei knallhart durchgegriffen. Schon Zweit- und Drittklässlern droht bei Disziplinlosigkeiten Verhaftung.
Polizeiauto in den USA (Symbolbild): Land der strengen Sitten, vor allem für Schüler

Polizeiauto in den USA (Symbolbild): Land der strengen Sitten, vor allem für Schüler

Foto: © Eduardo Munoz / Reuters/ REUTERS

Die Mutter eines fünfeinhalbjährigen Schülers in Holmes County, Mississippi, staunte nicht schlecht, als sie die Haustür öffnete und vor ihr ein Polizist stand. Über dessen Schulter hinweg konnte sie ihren Sohn auf dem Rücksitz des Polizeiautos sitzen sehen. Sein Vergehen? Er hatte gegen den Dresscode seiner Schule verstoßen. Dort sind schwarze Schuhe Pflicht. Da die Schuhe ihres Sohnes nicht komplett schwarz waren, hatte die Mutter die roten und weißen Stellen mit einem Marker übermalt. Doch das reichte der Schulleitung offenbar nicht - sie rief die Polizei und ließ den Jungen abtransportieren.

Ein solch hartes Vorgehen und das Einschalten der Polizei bei kleinsten Vergehen von Schülern ist im Bundesstaat Mississippi keine Seltenheit. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie mehrerer Bürgerrechtsorganisationen , unter anderem von der Amerikanischen Bürgerrechtsunion ACLU, die 115 Schulbezirke des Bundesstaats unter die Lupe genommen hat. Vergehen, die andernorts mit einem Anruf bei den Eltern oder einem Termin beim Schulleiter erledigt sind, führen in Mississippi zu Schulverweisen, Polizeieinsätzen und Jugendarrest.

Laut der Studie, deren Fallsammlung aktuelle Sanktionsexzesse genauso auflistet wie krasse Beispiele in den vergangenen 15 Jahren, werden in Mississippi anderthalbmal so viele Schüler der Schule verwiesen wie im US-Durchschnitt. In einigen Schulbezirken sind es sogar neunmal, in einem Beispiel sogar 17-mal so viele Jugendliche.

In einem der Schulbezirke würden im Jahr drei Prozent der Schüler verhaftet oder in Jugendarrest genommen. Die Verhaftungen beträfen auch Zweit- und Drittklässler. Nur selten rechtfertige das Vergehen eine Verhaftung: In einem Bezirk erfolgten nur vier Prozent aufgrund einer Straftat. Der häufigste Grund für die Inhaftierung durch die Polizei sei schlicht "Disziplinlosigkeit" gewesen.

Verhaftet wegen falscher Socken

Mit zahlreichen Beispielen zeigen die Studienautoren die Unverhältnismäßigkeit solcher Maßnahmen auf. So seien an einer Highschool im Distrikt Jackson Schüler für Stunden mit Handschellen an ein Rohr gefesselt worden, weil sie beispielsweise keinen Gürtel trugen. In einem anderen Fall aus dem Jahr 2000 hätten sich Schüler im Schulbus gegenseitig mit Erdnüssen beworfen. Eine Nuss habe die Busfahrerin getroffen. Die Konsequenz: Fünf schwarze Schüler wurden wegen eines strafbaren Übergriffs, einem felony assault, festgenommen. Vor Gericht konnte der Anwalt der Jungen zwar erreichen, dass die Anklage fallengelassen wurde, doch ihre alte Schule konnten die 17- bis 18-Jährigen nicht weiter besuchen. "Diesmal waren es Erdnüsse, aber wenn wir es nicht in den Griff bekommen, gibt es nächstes mal Leichen", sagte Sheriff Bridges einer Lokalzeitung.

2009 reagierten zwei Polizeibeamte auf den Streit dreier schwarzer Schüler einer Highschool in Southaven im Schulbus mit der Verhaftung von sechs schwarzen Fahrgästen , wobei sie eine schwarze Schülerin würgten und bedrängten und drohten, den anderen Schülern zwischen die Augen zu schießen.

In einem anderen Fall sei ein Jugendlicher in Arrest genommen worden, weil seine Socken die falsche Farbe hatten . Er habe damit gegen seine Bewährungsauflagen verstoßen, die wegen Beteiligung an einer Schlägerei verhängt worden waren. Seit seiner Verurteilung von 2008 sei er nach eigenen Angaben rund 30-mal aus Gründen wie Zuspätkommen von der Schule suspendiert oder sogar in Jugendhaft gesteckt worden.

Ein Schüler musste fünf Wochen lang der Highschool fernbleiben, weil er in seiner Freizeit einen Rap-Song über die Schule geschrieben hatte .

Was die Studie laut den Autoren ebenfalls sehr deutlich macht, ist, dass vor allem Angehörige von Minderheiten - insbesondere schwarze Schüler - unter der Law-and-Order-Politik der Schulen leiden. So würden dreimal mehr schwarze als weiße Schüler der Schule verwiesen oder ganz ausgeschlossen. Und das, obwohl sie nur die Hälfte der Schülerschaft ausmachen.

Die Null-Toleranz-Politik an Schulen, die es neben Mississippi zum Beispiel auch in Texas oder Florida gibt, war ursprünglich eingeführt worden, um Schüler zu schützen - auch im Zusammenhang mit einem Amoklauf an einer Highschool in Pearl unweit der Hauptstadt Jackson Ende der neunziger Jahre. "Inszwischen wird sie verwendet, um Schüler wegen trivialer Vergehen abzutransportieren, die eigentlich mit der Schulleitung geklärt werden sollten", sagt Mitglied Nancy Kohsin-Kintigh von der ACLU, eine der Leiterinnen der Untersuchung, in einer Mitteilung.

"Eine Art Taxi-Service zur Jugendstrafanstalt"

Die Bürgerrechtsorganisationen weisen darauf hin, dass das harsche Vorgehen auch für die schlechten schulischen Leistungen und eine der höchsten Abbrecherquoten des Landes mitverantwortlich sind. In zwei Bildungsstudien landete der Staat zuletzt auf dem letzten Platz.

Judith Browne Dianis von der Bürgerrechtsorganisation Advancement Project, eine der Mitinitiatorinnen der Studie, erklärt, eine angemessene Reaktion auf Verstöße gegen die Schuldisziplin sei dem rigorosen Bestrafen und Verweisen vorzuziehen. Die Schulen sollten sich auf die Prävention von Fehlverhalten konzentrieren und unterstützend intervenieren. "Das hat sich vielfach bewährt, um eine sichere, effektiven Lernumgebung zu schaffen", so Browne Dianis.

Als besonders berüchtigt gilt das County Lauderdale im Osten des Staats. Widerworte oder unpassende Kleidung von Schülern führten hier in der Vergangenheit besonders oft zur Verhaftung. Nach zahlreichen Beschwerden untersuchte die Bundesstaatsanwaltschaft die Vorgänge in Lauderdale.

In einer Mitteilung des Büros des stellvertretenden Generalstaatsanwalts im August  teilweise drastisch: An den Schulen würden routinemäßig Schüler ohne ersichtlichen Grund und nur auf Geheiß des Schulpersonals von der Polizei festgenommen. So seien Schüler wegen Verstößen gegen den Dresscode, der Benutzung von Schimpfwörtern, Flatulenz und respektlosen Verhaltens eingesperrt worden.

Lauderdale betreibe "eine brutale Schule-Gefängnis-Pipeline". Polizisten der Distrikthauptstadt Meridian gaben zu Protokoll, sie seien eher "eine Art Taxi-Service von Schule zu Jugendstrafanstalt". Im Oktober erhob die US-Staatsanwaltschaft Anklage gegen die Stadt Meridian, den Distrikt und den Bundesstaat Mississippi.

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