Unterrichtsfach Wirtschaft Wenn Schüler Banker spielen

Soll in der Schule mehr über Geld und Finanzen gesprochen werden? Der Bankenverband wünscht sich das und betreibt eifrig Lobbyarbeit. Kritiker sind empört.
"Nimm deine Finanzen in die Hand": Neben Banken hat auch die Auskunftei Schufa Unterrichtsmaterial im Angebot

"Nimm deine Finanzen in die Hand": Neben Banken hat auch die Auskunftei Schufa Unterrichtsmaterial im Angebot

Foto: Roland Holschneider/ picture alliance / dpa

Anfang des Jahres regte eine 17-jährige Schülerin aus Köln mit einem Tweet eine große Bildungsdebatte an: "Ich bin fast 18 und hab keine Ahnung von Steuern, Miete oder Versicherungen", postete sie bei Twitter. "Aber ich kann 'ne Gedichtanalyse schreiben. In 4 Sprachen." Zu viel Schöngeistiges stehe in den Lehrplänen, zu wenig ökonomisches Alltagswissen.

Mit ihrer Meinung scheint die Kölner Schülerin nicht allein zu stehen, wie eine neue Umfrage des Bankenverbandes  zeigt. 81 Prozent der befragten Jugendlichen wünschen sich demnach, dass die Vermittlung wirtschaftlicher Zusammenhänge in der Schule einen höheren Stellenwert bekommt. 73 Prozent sprechen sich sogar für ein eigenes Schulfach "Wirtschaft" aus. Unter denjenigen, die selbst noch zur Schule gehen, ist die Zustimmung geringer, aber laut Bankenverband immer noch groß: 67 Prozent der Schüler wollen das Fach Wirtschaft (allerdings nahmen auch nur 251 Schüler an der Umfrage teil).

Insgesamt hatte das Marktforschungsinstitut GfK für den Lobbyverband 651 repräsentativ ausgewählte Personen zwischen 14 und 24 Jahren telefonisch befragt. Die Geldinstitute - die in der schulpflichtigen Bevölkerung freilich auch eine potenzielle Kundschaft sehen - sehen sich durch die Zahlen bestätigt: Seit 30 Jahren setze man sich nun schon für das Pflichtfach Wirtschaft ein, sagt Geschäftsführer Michael Kemmer.

Einen Erfolg können die Wirtschaftsverfechter bereits für sich verbuchen. Das grün-rot regierte Baden-Württemberg will ab kommendem Jahr ein Fach mit dem Namen "Wirtschaft / Berufs- und Studienorientierung" einführen, das je nach Schulart ab der siebten oder achten Klasse unterrichtet werden soll. Zuletzt hatte sich auch Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) für mehr Ökonomie an der Schule ausgesprochen.

Ein scharfer Kritiker eines Unterrichtsfachs Wirtschaft ist der Bielefelder Didaktikprofessor Reinhold Hedtke. Forderungen wie die des Bankenverbandes gingen davon aus, dass das Wissen über Wirtschaft erstens besonders wichtig und zweitens besonders schlecht sei, schreibt er . "Tatsächlich wissen wir über die relative Relevanz und die relative Lückenhaftigkeit des durchschnittlichen ökonomischen Wissens fast nichts." Mit dem gleichen Argument könnte man auch ein eigenes Unterrichtsfach Recht, Medizin, Psychologie oder Technik fordern. Und wer weiß? Vielleicht würden sich Jugendliche in einer Umfrage auch diese Fächer in großer Mehrheit wünschen.

Vor allem aber bemängelt Fachdidaktiker Hedtke, dass ein Wirtschaftsunterricht, wie ihn der Bankenverband und andere Lobbygruppen vorschlagen, einseitig die Interessen von Unternehmern und Arbeitgebern in den Vordergrund stellen soll, weniger die von Kunden oder Arbeitnehmern. Der Bankenverband hatte vor einigen Jahren bereits ein fertiges Konzept für ein Schulfach Wirtschaft ausgearbeitet. Den Schülern müsse als Lernziel "auch die vernünftige Inanspruchnahme von unterschiedlichen Finanzdienstleistungen vermittelt werden", heißt es darin etwa .

Das entsprechende Unterrichtsmaterial hat der Bankenverband längst in Umlauf gebracht, etwa das 120-seitige Lehrwerk "Fit for Money", das "die wichtigsten Spar- und Anlageformen" darstellt. Für Grundschüler hält der Bankenverband eine "Schatzkiste" mit Spielgeld bereit. Im Unterricht sollen die Schüler dann in die Rolle der Banker oder Unternehmer schlüpfen. Mehr als 67.000 Lehrer erreicht der Verband nach eigener Angaben mit einem Newsletter; viele dürften das Material auch in der Praxis nutzen.

Die Werbeaktivitäten in den Schulen scheinen zunehmend nötig zu sein, wie Umfrage des Bankenverbandes nun ebenfalls zeigt. 33 Prozent der Befragten haben eine nicht so gute oder schlechte Meinung von Banken und Sparkassen. 2003, vor der Finanzkrise, lag der Anteil der Bankkritiker noch bei 20 Prozent.

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