Dramatischer Rektorenmangel "Ich leite drei Schulen gleichzeitig"

Unterricht (Symbolfoto)
Foto: Oliver Berg/ picture alliance / dpaSchulleiter Gunter Fischer freut sich über Ferien, dann hat er endlich genug Zeit, die Arbeit zu erledigen, die während der Schulzeit liegenbleibt. Er leitet das Clara-Schumann-Gymnasium Dülken in Nordrhein-Westfalen. Die Schule hat etwa 800 Schüler. Die Region ist eher ländlich, die nächste größere Stadt ist Mönchengladbach. "Es ist hier schon schwer, Lehrer zu finden, da können Sie sich ja vorstellen, wie es bei Schulleitern aussieht", so Fischer.
In Nordrhein-Westfalen ist derzeit etwa jeder achte Schulleiterposten nicht besetzt, bei den Hauptschulen ist es sogar fast jede zweite. In vielen anderen Bundesländern sieht es nicht besser aus. In Baden-Württemberg wurden im Schuljahr 2015/2016 mehr als 540 Schulleiter gesucht. In Niedersachsen fehlt derzeit jeder zehnten Grundschule die Schulleitung. Grundschulleiter und Lehrer haben dort sogar wegen zu vieler Überstunden gegen das Land geklagt.
Laut einer aktuellen Umfrage der "Wirtschaftswoche" sind in ganz Deutschland 1800 Rektorenstellen derzeit nicht besetzt. Die Lehrergewerkschaft GEW kritisiert die Situation von Schulleitern schon seit Langem. "Wir haben immer noch das Problem, dass vor allem die Schulleitungen an den vielen kleinen Schulen behandelt werden, als sei Schulleitung ein Nebenjob. Die Chefinnen und Chefs an der Schule brauchen mehr Zeit und bessere Qualifizierungsangebote", sagt Doro Moritz von der GEW.
Neues Konzept in Mecklenburg-Vorpommern
In Mecklenburg-Vorpommern hat die Landesregierung reagiert. Schulleiter sollen ab dem kommenden Schuljahr bestimmte Aufgaben an Verwaltungspersonal abgeben. Die Idee findet Fischer gut. Er und das Kollegium hätten viele Aufgaben, die seiner Meinung nach nicht vom Schulleiter und Lehrern erledigt werden müssten, beispielsweise wenn es um die Bürokratie bei Klassenfahrten geht. "Da müssen jede Menge Verträge ausgehandelt werden", sagt Fischer.
Doch Hilfskräfte könnten nicht nur die Schulleiter entlasten. "In Frankreich gibt es beispielsweise Assistenten, die schon vor der Physikstunde die Versuche aufbauen, dadurch hat der Lehrer mehr Zeit für die pädagogische Vorbereitung des Unterrichts." Hilfskräfte könnten auch Klausuren beaufsichtigen.

Schulleiter Eichhorn
Foto: Joachim EichhornFischer arbeitet derzeit etwa 60 Stunden in der Woche, wie er sagt: "Meine E-Mails arbeite ich immer schon am Sonntagnachmittag ab, damit ich am Montag nicht so viel Stress habe." Die Arbeitslast habe in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Früher sei beispielsweise die Bezirksregierung für die Personalplanung verantwortlich gewesen, heute sind es die Schulen.
"Das ist natürlich gut, weil die Schulen jetzt mehr Mitsprache haben, auf der anderen Seite ist es viel zeitintensiver." Früher hat Fischer noch 16 Stunden in der Woche selbst unterrichtet - heute nur noch anderthalb.
Im Januar geht Fischer in Pension. "Ich wusste, wie schwierig es werden könnte, deshalb habe ich meinen Stellvertreter gezielt ausgesucht und aufgebaut." Eine Grundschule im baden-württembergischen Maulbronn suchte dagegen zwei Jahre lang vergebens nach einer Schulleitung. Das Städtchen hat etwa 6500 Einwohner und liegt im nördlichen Schwarzwald zwischen Pforzheim und Heilbronn. In diesem Sommer fand sich endlich eine neue Schulleiterin, sie war die einzige Bewerberin, doch leider wurde sie krank.
Nebenjob Rektor
Joachim Eichhorn übernahm die Aufgabe kommissarisch, quasi als Nebenjob. "Ich leite gerade drei Schulen", sagt der 58-Jährige. Er ist Schulleiter der Kirnbachschule in Niefern, zu der eine Grundschule und eine Werkrealschule mit insgesamt 570 Schülern zusammengefasst wurden. Er pendelt zwischen beiden Gebäuden, die etwa fünf Minuten zu Fuß voneinander entfernt sind. Einmal in der Woche fährt Eichhorn nun auch noch zur Grundschule ins etwa 15 Kilometer entfernte Maulbronn, zum "Dokumente unterschreiben", wie er sagt.
"Das funktioniert aber nur, weil die Lehrerinnen sich selbst gut organisieren und wir eine hervorragende Sekretärin haben", sagt Eichhorn. Deshalb müsse er sich beispielsweise nicht um die Stunden- und Vertretungspläne kümmern. Doch manchmal sei eben doch der Schulleiter gefragt. "Wenn akute Probleme auftreten, bin ich immer per E-Mail oder WhatsApp zu erreichen", erzählt der 58-Jährige. Wenn sich das Problem nicht lösen lasse, fahre er selbst zur Schule, etwa wenn er zu einem Elterngespräch dazu gebeten wird.

Schulleiter Fischer
Foto: Gunter FischerEine Entschädigung für die zusätzliche Arbeit gibt es kaum. Eichhorn muss zwar zwei Stunden weniger unterrichten, seit er den kommissarischen Posten in Maulbronn übernommen hat. Allerdings musste er auch schon zuvor kaum noch Stunden geben. Immerhin werden ihm die Fahrtkosten nach Maulbronn erstattet; mit 30 Cent pro Kilometer.
"Ich bin noch in einer vergleichsweise komfortablen Situation", sagt Eichhorn. Meist müssten Grundschulleiter selbst noch 18 Stunden unterrichten. Das sei einer der Gründe, warum der Job so unattraktiv sei. Der andere sei das Geld: Bei kleinen Grundschulen gibt es nur rund 100 Euro mehr Gehalt, bei größeren bis zu 250. Ein weiteres Problem sei das langwierige Verfahren. Es dauere oft Monate, bis ein Schulleiter feststeht. Das schrecke viele ab.
Wie lange Eichhorn die Grundschule in Maulbronn noch leiten muss, weiß er nicht. Sein Kollege aus Nordrhein-Westfalen, Gunter Fischer, genießt indes seine letzten Monate als Schulleiter. Er hat in seinen mehr als 18 Jahren als Schulleiter Tausende Überstunden angesammelt. Ob er es trotzdem wieder machen würde? "Ja, das ist ja das Schlimme", sagt Fischer lachend und fügt hinzu: "Es ist eben auch eine interessante und vielfältige Aufgabe, da man als Chef-Pädagoge einer Schule viele Gestaltungsmöglichkeiten hat."