
Schulsaniererin Goetsch Die Reform bin ich
In ihrem Büro hat Christa Goetsch einen schönen Blick über die Stadt, deren Bürger bis Sonntag über ihr Herzensanliegen richten werden. "Man könnte meinen, es wäre Wahlkampf", sagt sie im 16. Stock der Hamburger Schulbehörde. Sie spricht von anstrengenden Monaten, die hinter ihr liegen. Von der Anspannung, jetzt, da der entscheidende Tag beim Volksentscheid zur Schulreform unmittelbar bevorsteht.
Die grüne Schulsenatorin wirkt abgekämpft an diesem Nachmittag, die Sätze sprudeln nicht aus ihr wie sonst. Immer wieder blickt sie in den Raum, irgendwohin, auf der Suche nach Worten zu ihrer Idee von Schule, über die sie doch unzählige Reden gehalten und Interviews gegeben hat.
Seit gut zwei Jahren wirbt sie nun für die Reform, die eigentlich schon beschlossen ist. Ein Teil des Gesetzes aber spaltet Hamburg und führte nun zu dem Volksentscheid. Die Einführung der sechsjährigen Primarschule.
Für Goetsch steckt dahinter mehr als eine einfache Verlängerung der Grundschulzeit. Sie will eine Idee durchsetzen, ist beseelt davon, verfolgt sie mit einem besonderen, einem seltenen Engagement: Diese Bildungspolitikerin meint, was sie sagt. Davor haben selbst ihre Gegner Respekt.
Goetsch hat lange als Hauptschullehrerin gearbeitet, Biologie und Chemie unterrichtet. Manche Schüler sprachen kaum Deutsch, hatten kaum Aussicht auf einen Bildungsabschluss, der ihnen Türen öffnen könnte. Sie engagierte sich in der Lehrergewerkschaft GEW für Migranten, sie überlegte, wie Schüler unterstützt werden können, die Unterstützung brauchen.
Länger gemeinsam lernen, bessere Schulen?
Goetsch erzählt oft und begeistert, wie sie selbst erlebt habe, dass längeres gemeinsames Lernen funktioniert: als Lehrerin einer integrativen Real- und Hauptschule. Dass es gelingt, "die Schwachen zu fördern und die Starken zu fordern". Der bisher schönste Moment in ihrer Laufbahn sei gewesen, als das Hamburger Parlament im Juli 2008 die Hauptschulen als eigene Schulform abschaffte - der erste Schritt hin zur großen Reform. "Das hat mich bewegt, auch wegen meiner eigenen beruflichen Erfahrung als Lehrerin."
Doch gelingt gemeinsames Lernen auch, wenn Schüler mit grundlegenden Lücken gemeinsam mit Kindern unterrichtet werden, die schon als Fünfjährige die gesamte "Was ist was?"-Reihe besaßen?
Kann die Primarschule die Chancengerechtigkeit des Schulsystems steigern?
Und kann sie den Leistungsdurchschnitt anheben?
Dafür fehlen Goetsch Erfahrungswerte. Unter Bildungsforschern ist die Frage umstritten. "Aber man hätte viele Dinge im Leben nie machen dürfen, wenn man vorher immer schon alles empirisch belegen müsste", sagt Goetsch. Sie argumentiert mit der Qualitätsoffensive, der Verbesserung der Lehrerausbildung, der Verkleinerung der Klassen.
Auf den Hinweis, dass dies nicht notwendig mit dem längeren gemeinsamen Lernen zusammenhängt, antwortet sie fast patzig: "Das gehört zusammen - die Struktur mit der Qualität, das wird das Erfolgsrezept sein."
Der massive Widerstand schmerzt Goetsch
Die Grünen-Politikerin spricht mit einer für Politiker bemerkenswerten Leidenschaft über das Gemeinwohl, über die gesellschaftliche Verantwortung gerade in Hamburg, wo fast jedes zweite Grundschulkind einen Migrationshintergrund habe.
Am liebsten aber würde sie alle auf die Art von ihrer Idee überzeugen, wie sie selbst überzeugt wurde: Sie bot in den vergangenen Jahren zahlreiche Termine in Schulen an, die längeres gemeinsames Lernen bereits praktizieren. Goetsch kann sich nicht vorstellen, dass dieser Funken nicht überspringen könnte. Schließlich hat das Konzept selbst Ole von Beust (CDU) überzeugt - Hamburgs Bürgermeister hatte vor den Koalitionsverhandlungen mit ihr und den Grünen keine Gelegenheit ausgelassen, sich gegen die Verlängerung der Grundschulzeit auszusprechen.
Goetsch kann aber nicht die ganze Stadt in Klassenräume zerren, nicht alle Bürger mit ihrer Begeisterung mitreißen - und so stolz sie darauf ist, dass Migrantenverbände, Uni-Mitarbeiter, alle Parlamentsfraktionen und viele Organisationen für die Reform sind, so sehr schmerzt sie der massive Widerstand, der in anderen Gruppen entstanden ist.
"Mich treiben die Kinder und Jugendlichen an, die ich aus der Praxis kenne, die ich vor Augen habe", sagt sie. Schulpolitik denkt sie aus der Perspektive von benachteiligten Schülern.
Streitpunkt Elternwahlrecht unterschätzt
Diese Perspektive ist der Grund, warum sie mit solch gewaltigem Protest gegen ihre Reform nicht gerechnet hätte: dass eine Gruppe von wohlhabenden Eltern sich gegen die Beschränkung jener Schulform stemmen würde, auf die ihre Kinder gehen - das Gymnasium.
Goetsch war entsetzt, als im November 2009 das Ergebnis des Volksbegehrens, der letzten Hürde vor dem Volksentscheid, bekanntwurde: Die Initiative sammelte dreimal mehr Unterschriften, als nötig gewesen wären.

Die Aufklärungsarbeit ihrer Behörde sei wohl nicht ausreichend gewesen, sagte sie kurz darauf und spricht noch heute von einer "Reichweitenillusion": dass sie damals dachten, ihre Argumente würden sich in mehr Köpfen festsetzen als jene der Initiative "Wir wollen lernen". Weil die Reform doch im Interesse des Gemeinwohls sei, während die Initiative Partikularinteressen vertrete.
Goetsch würde es akzeptieren müssen, dass es eine Mehrheit gegen ihre Idee geben könnte. Aber verstehen? Nein, verstehen könnte sie das nicht.
Das Volksbegehren war auch deshalb so erfolgreich, weil viele Hamburger die zunächst vorgesehene Abschaffung des Elternwahlrechts ablehnten - diesen Streitpunkt hatte die Senatorin völlig unterschätzt. Goetsch musste einsehen, dass in dieser Frage alle wissenschaftlichen Studien und noch so viel Argumentieren nichts nützen, wenn Eltern das Recht in Gefahr sehen, über den Weg ihrer Kinder zu entscheiden. Inzwischen steht das Elternwahlrecht wieder im Schulgesetz.
Im März haben alle im Hamburger Parlament vertretenen Parteien einen zehnjährigen Schulfrieden geschlossen. Auch die Oppositionsparteien SPD und Linke haben fleißig für die Reform plakatiert. Und schon zuvor, im Januar, haben Hamburger Bürger eine Initiative gegründet, die nach Kräften dafür trommelt. Es wird also nicht an der Reichweite liegen, es wird nicht am Elternwahlrecht scheitern - es wird am Sonntag einfach darum gehen, ob längeres gemeinsames Lernen in Hamburg mehrheitsfähig ist.
Und dann erfahren es auch die Bildungspolitiker und die Ministerpräsidenten der anderen Bundesländer.
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